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Für viele Menschen ist der Tod ein Thema, dem sie im Alltag ausweichen, so gut es geht. Mathilde Feger begegnet ihm bei ihrer ehrenamtlichen Arbeit ständig.

Viel zu bieten hat das Nachmittagsprogramm wieder einmal nicht. Die beiden Männer sitzen trotzdem vor dem Fernseher. Vielleicht haben sie sonst nichts zu tun. Vielleicht suchen sie Ablenkung von den immer wiederkehrenden Gedanken an ihre Krankheit.

Mathilde Feger will eigentlich nur den Raum durchqueren. Im angrenzenden Büro sitzt eine Journalistin, der sie von ihrer Tätigkeit hier erzählen will. Aber für ein kurzes Gespräch mit den Patienten, eine freundschaftliche Berührung, eine Frage nach dem Befinden ist immer Zeit. Muss immer Zeit sein. Die gebürtige Tirolerin schaut bei ihrer Arbeit nicht auf die Uhr. "Das einzige, was immer pünktlich ist, ist meine Ankunft hier", erklärt die ehrenamtliche Mitarbeiterin des Hospiz im dritten Wiener Gemeindebezirk, wo es sich die Schwesterngemeinschaft Caritas Socialis zur Aufgabe gemacht hat, die körperlichen und seelischen Leiden unheilbar krebskranker Patienten so gut wie möglich zu lindern.

Zeitlose Unterstützung

Mathilde Feger kommt jeden Donnerstag um 13 Uhr. "Wie lange ich dann hier bin, hängt nicht von der Uhr ab, sondern davon, wie sehr ich gebraucht werde." Und gebraucht werden sie und ihre rund 30 ehrenamtlichen Kollegen immer, denn zu tun gibt es genug. Sei drei Jahren verbringt die Hausfrau einen Nachmittag in der Woche hier, hilft den Patienten beim Essen, liest ihnen vor, geht mit ihnen spazieren oder hört einfach nur zu, wenn sie von ihrem Leben erzählen. Manchmal sind auch Amtswege zu erledigen. Und oft erfüllt sie Wünsche, die sich die Patienten nicht mehr selbst erfüllen können. Zum Beispiel eine Tafel Schokolade besorgen. Aber auch Arbeiten abseits der Patienten erledigt sie, egal ob sie den Geschirrspüler einräumt oder Mucki, die Stationskatze, füttert.

"Die Entscheidung, im Hospiz zu arbeiten, war ein langer Reifungsprozess", erinnert sie sich. Fünf Jahre lang hatte sie die Idee im Hinterkopf, bevor sie beschloss, sie in die Tat umzusetzen und das nötige Vorbereitungsseminar zu besuchen. Vor allem eine Lektion aus dem Kurs ist ihr gut in Erinnerung geblieben: Jeder Teilnehmer musste einem anderen die Zähne putzen. "Da wurde mir erst so richtig klar, was es heißen muss, die Eigenständigkeit aufzugeben und bei den für uns so selbstverständlichen Tätigkeiten auf andere angewiesen zu sein."

Licht und Schatten

Dass sie sich sozial engagiert, ist für die Mutter zweier erwachsener Kinder "moralische Pflicht", wie sie es nennt: "Ich bin auf die Sonnenseite des Lebens gefallen, und das ist mir auch voll und ganz bewusst." Daher sei es selbstverständlich, sich für diejenigen zu engagieren, denen es nicht so gut gehe. Aber warum ausgerechnet mit Todkranken arbeiten, in einer Umgebung, in der das Sterben allgegenwärtig ist, wo doch die meisten im Alltag diesem Thema so gut wie möglich ausweichen? "Vielleicht hat das damit zu tun, dass ich den Tod in meiner Jugend als sehr negativ erfahren habe." Der Vater ist im Krankenhaus verstorben, seine Kinder durften nicht mehr zu ihm. Abschied war keiner mehr möglich, erinnert sie sich. "Das hat mich sehr lange begleitet und letztlich den Anstoß gegeben, hier aktiv zu werden."

Das erste Mal, als sie nach dem Vorbereitungsseminar im Hospiz war und von einer Stationsschwester gefragt wurde, ob sie bereit sei, einen älteren Herrn zu besuchen und ihm beim Essen zu helfen, sei ein mulmiges Gefühl gewesen: "Man weiß ja nie, wie jemand reagiert und was auf einen zukommt", meint sie. Nach kurzem Überlegen fügt sie hinzu, dass dieses Gefühl sich aber auch jetzt noch, nach Monaten und Jahren, immer wieder einstelle: "Sogar, wenn man jemanden schon über längere Zeit hinweg betreut und eigentlich mit ihm vertraut ist, ist die Tagesverfassung ausschlaggebend. Er kann sich einmal über den Besuch freuen, beim nächsten Mal ist er unwirsch und will seine Ruhe haben." Am Beginn jedes Besuches steht also die Ungewissheit, was diesmal auf den Helfer zukommt. Aber das, betont die Tirolerin, sei in der schwierigen Situation, in der die Menschen sich befinden, verständlich. "Das darf man einfach nicht persönlich nehmen. Schließlich geht es hier nicht um mich und meine Gefühle." Als Ehrenamtliche, ist sie überzeugt, habe sie es dabei leichter als die Hauptamtlichen. "Ich gehe am Abend hinaus und komme erst in einer Woche wieder. Die Schwestern, Pfleger und Ärzte sind täglich damit konfrontiert. Das macht die Anstrengung deutlich größer."

Keine Hoffnungslosigkeit

Auch mit der psychischen Belastung durch die immer wiederkehrende Konfrontation mit dem Tod kann sie umgehen, sagt sie: "Ich glaube, das hat mit meiner Einstellung zum Tod zu tun, der für mich keinen Schrecken hat. Natürlich trauert man jedes Mal, wenn jemand geht, aber es ist keine hoffnungslose Trauer, bloß eine Traurigkeit."

Abstand und Pause

Nur manchmal, wenn aus der Betreuung und Zuwendung eine tiefere Beziehung entsteht, geht der absehbare Abschied doch an die Substanz. "Ich habe eine Frau betreut, die fünf Monate bei uns war und dann in ein Pflegeheim gekommen ist, wo ich sie noch zehn Monate lang, bis zu ihrem Tod, weiter besucht habe." Gemeinsam spazierengehen, vorlesen und viele Gespräche haben die beiden Frauen einander in dieser Zeit näher gebracht und das unausweichliche Ende schwer gemacht. "Danach war ich körperlich, seelisch und geistig erschöpft, ich habe Abstand gebraucht", erinnert sich Mathilde Feger. "Ich habe mir danach acht Wochen Auszeit genommen, obwohl ich sonst nur vier Wochen im Jahr pausiere." Auch das ein Vorteil des unentgeltlichen Engagements, wie sie betont.

Was bringt ihr dieses Engagement eigentlich persönlich? "Berge", lacht sie. Und fügt erklärend hinzu: "Ich konnte mir nicht vorstellen, dass eine Tätigkeit so viel Erfüllung bringen kann." Dass genau das der Fall sein würde, bezweifelte ihr Umfeld anfänglich. "Mein Mann machte sich Sorgen, ob ich das psychisch schaffen würde", erinnert sie sich. Und die Freunde? "Die meinten, ich solle mir das doch nicht antun, jetzt, wo die Kinder endlich aus dem Gröbsten heraus seien und ich so viel Schönes tun und erleben könnte." Mittlerweile, sagt sie zufrieden, sei jedoch die Skepsis der Neugier und dem Interesse an ihrer Arbeit gewichen.

Die Frage, ob sie sich schon überlegt habe, ihre Tätigkeit im Hospiz zu beenden, weist sie lachend zurück: "Im Gegenteil. Es wird immer mehr." Denn seit einiger Zeit kümmert sich Mathilde Feger nicht mehr allein um die Kranken. "Es war sehr unbefriedigend, wenn man jemanden monatelang begleitet hat und der Tod ein Schnitt war, der alles beendet hat." Darum ist sie mittlerweile auch in der Betreuung der Angehörigen aktiv. "Einmal im Monat treffen sich Familien von Patienten, da ist auch immer jemand von der Station dabei. Denn nicht nur die Patienten brauchen Unterstützung, auch ihr Umfeld."

Weiterbildung fürs Hospiz

Deshalb kreist derzeit auch ein Teil ihrer Freizeitaktivitäten um das Hospiz. "Meine liebstes Hobby ist Lesen", erklärt sie. "Vor allem über Sachthemen." Aber während es früher hauptsächlich Geschichtsbücher waren, sind es heute Werke über Trauerbegleitung - sie will sich für ihre Arbeit mit den Angehörigen weiterbilden.

Die beiden Männer sitzen noch immer vor dem Fernseher. Mathilde Feger geht auch diesmal nicht einfach vorbei. Sie setzt sich zu ihnen, fragt, ob sie etwas brauchen. Es wird wohl ein langer Nachmittag werden.

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