„Bei Erwachsene unvorstellbar“

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Der Kinderarzt und Präsident der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, Klaus Vavrik, im Gespräch.

Die Furche: Was sagen Sie zu Minister Stöger, der sich über Ihren Bericht zur Kinder- und Jugendgesundheit unbeeindruckt gezeigt hat?

Klaus Vavrik: Dem Gesundheitsministerium sind die Fakten schon bewusst und die eigenen Grenzen des Ministeriums. Unser Gesundheitswesen ist so komplex aufgebaut, dass zwischen Sozialversicherungen, Ländern und Ministerium zu wenig Klarheit besteht, wer für welche Bereiche Verantwortung trägt. Zum Beispiel ist die Versorgung mit Therapien eine Sozialversicherungsfrage, die Förderung von Kindern mit Behinderungen Ländersache. Daher bin ich dafür, dass zwischen den beteiligten Playern eine Koordinationsebene eingezogen wird, damit Betroffene und Behandelnde nicht immer als Bittsteller im Rundlauf geschickt werden. Meine Botschaft ist: Dem Gesundheitsministerium soll nicht der Schwarze Peter zugeschoben werden, es geht um eine Zusammenarbeit.

Die Furche: Was sind die größten Probleme im Bereich Kinder- und Jugendgesundheit?

Vavrik: Unsere Erfahrung ist, dass wir eine große Mangelversorgung haben. Kinder warten monatelang auf einen Therapieplatz. Die Kostenbelastung für manche Familien ist zu groß, wenn 40 Euro pro Therapiestunde zu zahlen sind. Es gibt Kontingente bei Therapieplätzen für behinderte Kinder. Es kann in einem Jahr nur eine gewisse Zahl von Kindern behandelt werden, dann ist Aufnahmestopp. Das wäre im Erwachsenenbereich unvorstellbar!

Die Furche: Was fordern Sie?

Vavrik: Wir brauchen aussagekräftigere Daten in der Kinder- und Jugendgesundheit; zudem: mehr Angebote in der Prävention und Gesundheitsförderung sowie die Möglichkeit, therapeutisch interdisziplinär zu arbeiten. Wichtig sind rechtzeitige kostenfreie Therapien für Kinder und Jugendliche. Das wäre auch ökonomisch eine sinnvolle Investition in die Volksgesundheit. Denn moderne Krankheiten wie Bewegungsmangel, Hyperaktivität, Diabetes oder Depression sind später in den Erwachsenenjahren die großen Kostenverursacher.

Die Furche: Was läuft gut?

Vavrik: Die Allgemeinversorgung und Akutmedizin für Kinder und Jugendliche ist gut. Schwierig wird es bei chronischen Erkrankungen, Entwicklungsstörungen und psychosozialen Problemen.

Die Furche: Sie leiten ein Institut für Entwicklungsdiagnostik in Wien. Wie stellt sich die Situation dar?

Vavrik: Wir haben regelmäßig Aufnahmesperren und Wartezeiten für den ersten Vorstellungstermin von zirka drei Monaten, bei manchen Therapieformen bis zu einem Jahr. Stellen Sie sich vor, der Kinderarzt äußert bei Ihrem Kind den Verdacht auf Autismus, und Sie müssen drei Monate in der Ungewissheit leben. Es gibt eine Ungleichbehandlung und ein Verteilungsproblem. Es gibt nicht grundsätzlich zu wenig Geld, sondern es ist schlecht verteilt. 19 Prozent der Bevölkerung sind Kinder und Jugendliche, aber nur sieben Prozent der Gesundheitsleistungen fließen zu diesen Gruppen. Investitionen in frühe Gesundheitsprogramme bringen aber viel, weil sie für das ganze Leben wirksam sind.

* Das Gespräch führte Regine Bogensberger

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