"Bei Haider helfen nur mehr grotesk-witzige Strategien"

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Ob demonstrierende Schüler, Studenten oder Anarchos: Sie alle sind politisch interessiert - und enttäuscht. Bernhard Heinzlmaier vom Österreichischen Institut für Jugendforschung in Wien über die Protestmotive.

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Ob demonstrierende Schüler, Studenten oder Anarchos: Sie alle sind politisch interessiert - und enttäuscht. Bernhard Heinzlmaier vom Österreichischen Institut für Jugendforschung in Wien über die Protestmotive.

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dieFurche: Was ist neu an der Demonstrations-Kultur dieser Tage?

Bernhard Heinzlmaier: Es ist vor allem bezeichnend, daß wenige Institutionen beteiligt sind. Durch die neuen Medien hat die Selbstorganisationsfähigkeit der Massen extrem zugenommen. Die Masse ist autonom geworden. Sie ist nicht mehr auf die Infrastruktur einer Gewerkschaft oder Partei angewiesen. Früher glaubten die Institutionen immer, es gehe den Mitgliedern um die gemeinsamen Inhalte. Aber die Leute haben einfach beinhart die Infrastruktur ausgenutzt.

dieFurche: Es wird den Demonstranten oft der Vorwurf gemacht, sie gingen "wegen der Hetz" auf die Straße. Inwieweit ist beim Demonstrieren auch Lust im Spiel?

Heinzlmaier: Das Notwendige wird hier einfach verbunden mit etwas, das Spaß macht. Es wird versucht, die Situation erträglicher zu machen.

dieFurche: Wenn man aber die Demonstrationen begleitet, fällt doch ein gewisser Event-Charakter auf: Zum Beispiel begleitete ein Wagen mit einem Discjockey die Demonstranten, es wurde gesungen und getanzt ...

Heinzlmaier: Dieser DJ-Wagen ist nur für Menschen bemerkenswert, die sich nicht mit Jugendkultur beschäftigen. Bei den 68ern war es Woodstock, heute sind es die adäquaten Stars, eben DJs. Bei jeder politischen Aktion gibt es ein entsprechendes Kulturprogramm.

dieFurche: Aber hat sich in der Protestkultur selbst nichts verändert?

Heinzlmaier: Doch, man hat gemerkt, daß die klassischen Protestmuster nicht mehr fruchten. Deshalb entwickelt man neue subversive Strategien - aus moralischer Verzweiflung.

dieFurche: Zum Beispiel eine Gruppe von Punks, die mit "Asozial"-Aufklebern am Rücken den Boden um das Mahnmal bei der Albertina mit Zahnbürsten schrubbt und so gegen die "Zwangsarbeit" demonstriert?

Heinzlmaier: Ja, das halte ich für ein geniales historisches Zitat. Die Jugendlichen wissen, daß eine rationale Diskussion mit Leuten wie Haider nichts bringt. Da helfen nur grotesk-witzige Strategien. Die Jungen sind nicht mehr bereit, in einen ernsten Diskurs mit den Politikern zu treten. Jörg Haider würde auf die Aktion dieser Jugendlichen wahrscheinlich nur antworten, das ist eine biertrinkende, lustorientierte Runde.

dieFurche: Bergen Massendemonstrationen nicht die Gefahr, daß unterschiedlichste Anliegen vermengt werden?

Heinzlmaier: Natürlich, hier gibt es unterschiedlichste Interessen: Es ist eben eine inhomogene Gruppe, doch ein gemeinsamer Gegner hält die Gruppe zusammen. So ist etwa bei den ersten Demonstrationszügen ein Wagen der KPÖ an der Spitze mitgefahren, doch die wurden dann gebeten, nach hinten zu treten. Die Leute wollten sich einfach nicht vereinnahmen lassen.

dieFurche: Wenn am 19. Februar mit einem ganzseitigen Inserat in der "International Herald Tribune" die zuvor dort veröffentlichte Präambel von Wolfgang Schüssel und Jörg Haider konterkariert wurde, welches Signal wollte man damit senden?

Heinzlmaier: Das heißt, die politischen Formen sind entgültig lustig geworden. Es macht viel mehr Sinn, etwas lächerlich zu machen als groß zu argumentieren. Die politische Diskussion wird immer hinterhältiger und raffinierter, die Unehrlichkeit des Politikerwortes war noch nie so arg wie heute. Die Menschen verzweifeln einfach über diese Politik. Man muß jedes Wort abklopfen. Jede politische Äußerung wird zur reinen Spaßmache. Zu Politikern hat einfach keiner mehr Vertrauen.

dieFurche: Was halten eigentlich Jugendliche von der Politik?

Heinzlmaier: In einer Diskussion anläßlich unseres "Focus-Clubs" fragen wir manchmal die Jugendlichen: Wer ist Vorbild und wer der Abturner des Monats. Resultat: Haider erzeugt Angst, für ihn geniert man sich. Vor Schüssel fürchtet man sicht nicht, der erzeugt eher Humor.

dieFurche: Ist überhaupt etwas dran am vielbeschworenen politischen Desinteresse der Jugendlichen?

Heinzlmaier: Das war schon immer ein Blödsinn und wurde vor allem von Politikern behauptet. Damit haben sie ihr eigenes Versagen kaschiert. Entpolitisierung der Jugend wurde zum Etikett für die eigene politische Unfähigkeit. Unser Institut hat jedoch ein gleichbleibendes politisches Interesse der Jugendlichen festgestellt.

Außerdem sind die jungen Leute immer besser ausgebildet, und nachgewiesenermaßen steigt das politische Interesse mit dem Grad der Ausbildung. Auch die Wahlbeteiligung ist bei den Bildungsschichten höher. Man soll also nicht immer so schlecht über die Jugendlichen schreiben.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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