Beim Shoppen gibt’s keine Solidarität

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Die Journalistin Kathrin Hartmann über die Illusion ethisch korrekten Konsums, heuchlerische "Social Businesses“ und ihre Vision guten Wirtschaftens. Das Gespräch führte Doris Helmberger

In ihrem Buch "Wir müssen leider draußen bleiben“ hat die Münchner Journalistin und Autorin Kathrin Hartmann die Abgründe der Konsumgesellschaft anhand akribischer Recherchen und brillanter Reportagen ausgeleuchtet. Im Interview mit der FURCHE erklärt sie, warum sie "ethischen Konsum“ für lächerlich hält.

Die Furche: Frau Hartmann, das Hochfest des Konsumismus, Weihnachten, liegt gerade hinter uns. Wie empfinden Sie diesen jährlichen Kaufrausch?

Kathrin Hartmann: Er macht mich wirklich wütend! Erstens, weil uns eine mächtige Werbe- und PR-Industrie Bedürfnisse einredet, die wir gar nicht haben. Und zweitens, weil Konsum heute als Kompensation für gesellschaftliche Zugehörigkeit und Zufriedenheit betrachtet wird, obwohl die meisten schnell merken, dass Kaufen nicht zufrieden macht und Konsum immer Wettbewerb bedeutet - und zwar gegen andere. Sämtliche Ideen von "ethischem Konsum“ sind lächerlich im Vergleich zu dem, was sich wirklich abspielt - nicht nur zu Weihnachten, sondern jeden Samstag in jeder Fußgängerzone der Welt. Es macht mich auch wütend, wenn angeblich Hochgebildete vor Apple Stores übernachten, um das neueste iPad zu kriegen. Dieser Wahnsinn ist mir nicht begreiflich.

Die Furche: Bei der Lektüre Ihres Buches gewinnt man den Eindruck, dass es so etwas wie "guten“, nachhaltigen Konsum überhaupt nicht geben kann…

Hartmann: Das ist auch richtig: Es gibt kein richtiges Einkaufen im falschen Weltwirtschaftssystem, denn es wird nie eine Mehrheit geben, die sich einem bestimmten Konsumstil unterordnet. Konsum bedeutet ja gerade, etwas anderes als der andere zu kaufen, um sich abgrenzen zu können. Beim Shoppen gibt’s keine Solidarität. Man kann sich in die politische Arbeit oder gesellschaftliche Debatten einbringen, aber man kann sich nicht rauskaufen oder rausverzichten, das hat keinen Einfluss. Eine große Rolle in diesen Strukturen spielen auch die Armen hierzulande, auf die "ethische“ Konsumentinnen und Konsumenten gern mit dem Finger zeigen, weil sie sich, um gesellschaftlich mithalten zu können, jenen Krempel kaufen, den Näherinnen in Bangladesch unter unwürdigen Bedingungen herstellen. Wir müssen also am System arbeiten, nicht am Einkaufsverhalten.

Die Furche: Immer mehr Unternehmen wollen unter dem Schlagwort "Corporate Social Responsibility“ (CSR) mit sozialem und ökologischem Engagement bei den Konsumenten punkten. Sie rechnen auch mit diesen "Social Businesses“ gnadenlos ab. Warum?

Hartmann: Weil sie oft nicht der Wahrheit entsprechen. Ich war einige Wochen in Bangladesch und habe eine "soziale JoghurtFabrik“ besucht, die der Weltkonzern Danone in Kooperation mit Muhammad Yunus, dem "Erfinder“ der Mikrokredite, eröffnet hat. Hier sollten Menschen aus der Umgebung arbeiten, die Milch sollte von Kleinbauern aus der Region stammen und arme Frauen sollten sich ein Einkommen schaffen, in dem sie das Joghurt als "Sales Ladies“ an arme Familien verkaufen. Doch da ist nichts Soziales dran! Große Konzerne verdienen deshalb so viel, weil sie in der ganzen Welt Menschen für kein Geld arbeiten lassen können. Wenn sie existenzsichernde Löhne zahlen würden, bräuchten sie sich nicht wie Entwicklungshelfer aufzuführen. So ist "Social Business“ ein reines Markterweiterungskonzept, wobei Yunus als Sozialmaskottchen dazu dient, selbst unter den Ärmsten Profit zu schlagen.

Die Furche: Für das Konzept der "Mikrokredite“ hat Muhammad Yunus 2006 immerhin den Friedensnobelpreis bekommen…

Hartmann: Erstens war das gar nicht seine Idee: Das Modell gab es schon seit den 1990er-Jahren. Und dass er dafür den Nobelpreis erhalten hat, mag damit zusammenhängen, dass es ein Interesse daran gibt, Millionen armer Menschen als Konsumenten heranzubilden und dazu zu befähigen, am Geldkreislauf teilzunehmen. Es klingt ja so, als hätte man hier eine wirkliche Alternative zu anderen Entwicklungsmodellen gefunden. Aber im Grunde geht es darum, den Kapitalismus und die Idee der Eigenverantwortung in die hintersten Winkel der Welt zu tragen.

Die Furche: Dass Eigenverantwortung nicht ganz unwesentlich ist, hat der mäßige Erfolg der Planwirtschaft gezeigt…

Hartmann: Eigenverantwortung ist dann möglich, wenn die Grundlagen stimmen. Derzeit wird dieser Begriff aber meist dann verwendet, wenn es darum geht, die Menschen ihrem Schicksal zu überlassen. Dass Mikrokredite nicht funktionieren, habe ich jedenfalls im Gespräch mit Betroffenen gesehen: Wenn mehr als ein Viertel aller Kreditnehmer Geld aufnehmen muss, um sich Essen zu kaufen, dann ist das keine Grundlage erfolgreichen Wirtschaftens.

Die Furche: Andererseits spricht man von einer Rückzahlungsquote von 98 Prozent…

Hartmann: Ja, aber die kommt nur durch Umschuldung zustande. Und was zurückkommt, wird oft unter brutalsten Methoden eingetrieben. Man geht davon aus, dass nur fünf Prozent von Mikrokrediten profitieren, 55 Prozent sind danach genauso arm wie vorher und die anderen sogar noch ärmer.

Die Furche: Kommen wir zurück zur Armut im reichen Westen: In Deutschland wie in Österreich schießen vermehrt "Tafeln“ und Sozialmärkte aus dem Boden, die Menschen mit geringem Einkommen mit günstigen Lebensmitteln versorgen. Sie üben auch daran heftige Kritik. Warum?

Hartmann: Erstens ist es demütigend, das angeboten zu bekommen, was sonst im Müll landet: der Überfluss für die Überflüssigen, sozusagen. Zum anderen löst es weder das Armutsproblem noch das Problem des Überschusses, sondern zementiert vielmehr die Zustände ein und setzt Almosen und Brosamen an die Stelle verbindlicher Rechte. Die Recherche in der Tafelindustrie fand ich noch beklemmender als jene in Bangladesch, weil ich mir gedacht habe: Wir leben in einem reichen Land und tun so, als seien wir im Krieg. Das ist zynisch.

Die Furche: Nach all Ihrer Kritik: Was wäre eigentlich Ihr Gegenkonzept?

Hartmann: Ich glaube nicht, dass es einen Mangel an Ideen gibt, wie ein Wirtschaftssystem jenseits von Wachstum, Überschuss und Konsum aussehen könnte. Es gibt etwa das Konzept der nachhaltigen Nutzung von Gemeingütern, den "Allmende“-Gedanken, den ich sympathisch finde; es gibt Essenskooperativen im Kleinen, die auch im Großen funktionieren könnten; und es gibt Ideen aus dem Umfeld der Occupy-Bewegung und von Attac. Der Satz "There is no alternative!“ stimmt also nicht. Die Frage ist nur: Wer hat Interesse daran, dass alles so bleibt, wie es ist? Ich glaube, dass die Marktverhältnisse einfach nicht ausreichend verstanden und hinterfragt werden. Erst, wenn sich der Gedanke durchsetzt, dass wir alle im selben Boot sitzen und die Ungerechtigkeit uns alle betrifft, wird es möglich sein, etwas zu ändern.

Wir müssen leider draußen bleiben

Die neue Armut in der Konsumgesellschaft. Von Kathrin Hartmann. Blessing Verlag 2012,

415 Seiten, kart., e 19,50

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