Werner Vogt: "Beim Wort ,Würde' bekomme ich eine Gänsehaut"

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Seit 1. Oktober 2003 ist Werner Vogt Wiener Pflegeombudsmann. Im FURCHE-Interview spricht der streitbare Mediziner über die Probleme in Lainz, den Sachwalter-Boom und zahnlose Patientenrechte.

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Seit 1. Oktober 2003 ist Werner Vogt Wiener Pflegeombudsmann. Im FURCHE-Interview spricht der streitbare Mediziner über die Probleme in Lainz, den Sachwalter-Boom und zahnlose Patientenrechte.

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DIE FURCHE: Sie sind in Wien mit Ihrem achtköpfigen Team erste Anlaufstelle für Probleme im Pflegebereich. Wie heiß laufen Ihre Telefone?

Werner Vogt: In den ersten zehn Wochen haben die Beschwerden immer zugenommen. Jetzt stagnieren sie. Ich glaube aber, dass sich die Zahl noch stark erhöhen wird, wenn wir direkt nach Lainz gehen, wo wir immerhin für 2.300 Bewohner des Geriatriezentrums am Wienerwald ständig anwesend sind. Wir haben alle zwölf öffentlichen Wiener Geriatriezentren besucht. Insgesamt sind es 6.000 Personen, die in diesen Einrichtungen gepflegt werden. Ich selbst war natürlich am häufigsten in Lainz, weil dort die Probleme am drückendsten sind.

DIE FURCHE: Manche sehen die beste Lösung darin, Lainz zuzusperren...

Vogt: Mit dem Satz "Lainz zusperren" vergisst man aber, dass wir entsprechende Alternativen brauchen: Was macht man mit den 2.300 Menschen, die dort liegen und hilflos sind? Wenn man will, dass pflegebedürftige Menschen möglichst in der Region bleiben, wo sie ihre Freunde und Angehörigen besuchen können, dann brauchen wir zuerst einen verbindlichen Regionalisierungsplan. Welche Einrichtungen brauchen alte Menschen: ambulante, stationäre oder halb-stationäre? Erst dann wird man sehen, ob man Lainz überhaupt noch braucht. Der kürzeste Zeitraum, in dem man dieses Geriatriezentrum entvölkern könnte, wären fünf Jahre. Aber bis dahin muss es trotzdem Änderungen geben, sodass die Bewohner dort gut versorgt sind. Natürlich spielt für eine gute Pflege auch die Architektur eine Rolle, aber sie ist nicht so entscheidend, wie jene Menschen glauben, die sich an dem Wort "Achtbettzimmer" schrecken. Für gute Pflege braucht es vor allem ausreichendes und gutes Pflegepersonal.

DIE FURCHE: Liegt darin das Hauptproblem, dass es zu den Missständen in Lainz gekommen ist?

Vogt: Es gibt mehrere Schuldige, vor allem aber Rechtsprobleme: Man muss diese Geriatriezentren einmal definieren. Es gibt Zentren, wo die Menschen noch in so guter Verfassung sind, dass man die Anstalt als Pflegeheim führen könnte. Und es gibt Zentren, die man als Sonderkrankenanstalt bezeichnen muss. Bei den ersteren ist das Heimgesetz zuständig, das demnächst in Wien kommen soll, bei den anderen das Krankenanstaltengesetz. Momentan haben wir eine heillose Unordnung. Eine Anstalt namens Geriatriezentrum vegetiert so dahin und ist im Grunde nichts.

DIE FURCHE: Den "Lainz-Skandal" hat Harald Haas, ein ehrenamtlicher Mitarbeiter des Vereins für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft ausgelöst. Sie selbst haben kürzlich kritisiert, dass bereits 38 Prozent der Bewohner dieses Geriatriezentrums besachwaltet sind. Doch in ganz Österreich nimmt die Zahl der Sachwalterschaften rasant zu. Wie ist das zu erklären?

Vogt: Das können wir noch nicht schlüssig beantworten. Aber es interessiert mich brennend, weil ich den Eindruck habe, dass oft zu früh besachwaltet wird. Es gibt große Unzufriedenheit der Angehörigen mit Sachwaltern. Es gibt auch große Unzufriedenheit von Mitarbeitern und von den Gepflegten selbst. Wenn man mit Sachwaltern redet, erkennt man sehr rasch, dass schlicht und einfach zu wenig Zeit zur Verfügung steht. Nach dem Gesetz müsste der Sachwalter mit dem Besachwalteten persönlichen Kontakt haben. Das trifft aber oft nicht zu - vor allem wenn Rechtsanwälte zu Sachwaltern bestellt worden sind. Dazu kommt, dass die Demenz in Österreich eine Krankheit ist, vor der sich jeder fürchtet - und die zugleich fast niemand behandelt. Wenn man sie aber behandeln würde, dann könnte man die Patienten sehr lange oder für immer in einer Situation halten, wo sie nicht besachwaltet werden müssten.

DIE FURCHE: Sind 38 Prozent besachwaltete Personen - wie in Lainz - ein besonders hoher Wert?

Vogt: Es gibt auch höhere Werte, ich habe schon von 60 Prozent gehört. Natürlich muss es unser Ziel sein, die Zahl der Besachwalteten möglichst niedrig zu halten. Es ist ja ein Wahnsinnsschritt, jemanden zu entrechten und ihm zu sagen: Du kannst für dich nicht mehr sorgen. Ich glaube aber, dass die Sensibilität für dieses Problem schon wächst. Einen Verdacht habe ich freilich schon - nämlich dass es in Geriatriezentren rascher zu einer Besachwaltung kommt. Wer draußen gepflegt wird, hat auch eine größere Chance, nicht besachwaltet zu werden.

DIE FURCHE: In Geriatriezentren hängt - wie auch in Krankenanstalten - die Patientencharta, die auch das Recht auf einen würdevollen Umgang beinhaltet. Wie zahnlos ist dieses Recht?

Vogt: Das ist völlig unverbindlich - manchmal ist das wie ein Hohn. Die Patientenrechte sind meistens definiert für Rechte in Krankenanstalten. Nur: Ein Geriatriezentrum ist keine Krankenanstalt, aber auch kein Heim. Wenn man das nicht klärt, ist alles unverbindlich - und es kann auch niemand klagen. Bei Floskeln wie "Wahrung der Würde" bekomme ich jedenfalls eine Gänsehaut. Das Wort Würde ist so nebulos. Ich hätte aber gern, dass es konkret wird - wie in Klosterneuburg: Dort wird im Zimmer geschlafen, und draußen gibt es Aufenthaltsräume und Gärten, wo man seinen Tag verbringt. Hier gibt es auch eine klare Tagesstruktur. Wenn man das schafft, dann wird auch die Würde gewahrt. Außerdem darf man die Betreuung von alten Menschen nicht nur reduzieren auf Pflege und medizinische Versorgung. Es muss einen Plan geben, damit Leben in die Bude kommt - weg von der alten, schlechten Versorgungsmentalität nach dem Motto: Zu essen hat er, zu trinken hat er, warm hat er es - und damit hat es sich. So stelle ich mir nicht das Leben von alten Menschen in Geriatriezentren vor. Dazu brauchen wir aber auch ausreichend Personal. Und dann wird sich zeigen, dass es ein falscher Traum gewesen ist zu sagen: Wir schließen Akutstationen und machen Pflegestationen daraus - mit dem Hintergedanken, dass die billiger wären. Das ist völlig falsch.

DIE FURCHE: Wann betrachten Sie selbst ihre Mission als Wiener Pflegeombudsmann als erfüllt?

Vogt: Ich bin unabhängig und kann sagen und machen, was ich will: Daher will ich den Pflegebereich einem völlig nüchternen Blick aussetzen. Wann immer man irgendwo hingeht, hört man im Bürokratendeutsch: Es gibt dieses und jenes Problem. Aber in Wirklichkeit wird es nie gelöst, sondern nur definiert und dann abgelegt. Man muss die Probleme also mit aller Gewalt ans Licht zerren - und dazu brauche ich die Öffentlichkeit. Wenn ich das Gefühl habe, dass dieser Prozess in Gang gekommen ist, dann kann meine Aufgabe ruhig auch jemand anderer übernehmen. Aber jetzt habe ich mich einmal in die Materie hineingekrallt, und da lasse ich nicht so schnell wieder los.

Nähere Informationen unter (01) 4000-82170 und www.pflegeombudsmann.at.

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