Werbung
Werbung
Werbung

Mit modernen Behandlungsmethoden kann vielen Patienten geholfen werden - Primar Dr. Weiss kümmert sich seit 20 Jahren um die Menschen, die nicht mehr essen können.

Die Abteilung für Innere Medizin und Psychosomatik im Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern in Wiens sechstem Bezirk gilt als Österreichs führende Einrichtung zur Behandlung von Essstörungen. DIE FURCHE: Herr Primar, wer Essstörung hört, denkt als erstes an Sodbrennen …

Dr. Peter Weiss: Essstörungen sind sehr schwere Erkrankungen - von der Mortalität, der Sterberate her, die schwersten, die die Psychiatrie kennt. Diese Menschen leiden am Schluss fürchterlich - eine Behandlung ist unbedingt notwendig. Die gute Nachricht: Wir können ein Drittel der Patienten, die zu uns kommen, dauerhaft heilen und einem weiteren Drittel soweit helfen, dass wir sie nur in Krisenzeiten weiterhin betreuen müssen.

DIE FURCHE: Sie sagen gerade, von den Patienten, die zu Ihnen kommen.

Dr. Weiss: Die Krankheitseinsicht kommt erst sehr spät oder überhaupt nicht. Anfangs beschreiben gerade Anorektiker ein Hochgefühl, sie sind wie in einem "goldenen Käfig“. Irgendwann kippt das ganze und sie wissen zwar, dass sie krankhaft Abnehmen, führen das aber dennoch fort - die Fressanfälle sind gerade bei Bulimikern mit großer Scham verbunden. Weitere Probleme kommen oft dazu: Ängste, Depressionen, Medikamentenmissbrauch … oft schleppen Angehörige oder Freunde die Patienten in die Klinik.

DIE FURCHE: Welche körperliche Schäden passieren durch die Essstörungen?

Dr. Weiss: Stoffwechsel, Herz- und Niere werden angegriffen, durch den häufigen Missbrauch von Abführmitteln kommt es zu einem problematischen Elektrolythaushalt, Kaliummangel. Wenn der Körper hungert, greift er die Muskeln - auch das Herz - an. Die schlechteste Vorhersage hat der bulimieähnliche "Purching Typ“ in der Magersucht - also Magersüchtige, die ihr Abnehmen mit Erbrechen und Medikamenten beschleunigen.

Die häufigste Todesursache ist aber nicht das Verhungern: Es ist klar der Suizid. Die Körper werden auch oft mit Infektionen nicht mehr fertig. Die Todesrate variiert: Grob kann man sagen, alle zehn Jahre zehn Prozent. Und über die Zeit steigert sich das dann natürlich bis zu 20 Prozent.

DIE FURCHE: Können die Krankheiten eindeutig unterschieden werden?

Dr. Weiss: Definitionsgemäß ja, wenn der BMI 17,5 unterschritten hat - allerdings treten bei 40 Prozent der Patienten beide Krankheiten in Phasen auf. Allerdings ist eine genaue Diagnose in der Psychiatrie immer individuell: Eine gute Hälfte der Patientinnen ist zudem emotional instabil, Stichwort "Borderline“ - da kommen dann Aggressionen, selbstverletzendes Verhalten oder weitere Drogenabhängigkeit dazu.

DIE FURCHE: Ein Worst-Case-Szenario: 15 Jahre Anorexie und Bulimie, Medikamentenmissbrauch, Stoffwechsel- und Herzprobleme …

Dr. Weiss: Wäre ein Fall für eine stationäre achtwöchige Therapie, ein Team von Fachärzten für Innere Medizin, Psychiatrie und Psychotherapeuten kümmert sich um die Patienten - das ganze ist aber Teil eines längerfristigen Behandlungsplanes. Es muss abgeklärt werden, welche körperlichen Schäden passiert sind. Eine folgende Psychotherapie dauert oft Jahre. Leichtere Fälle können auch ambulant behandelt werden.

DIE FURCHE: Welche Faktoren spielen beim Entstehen der Krankheiten eine Rolle?

Dr. Weiss: Das sind oft Familienumstände, strenge Erziehung, große Leistungsanforderungen - allerdings auch krankheitsbedingte Umstände: Z. B. sind viele Zuckerkranke unter den Patienten, die sich ja ständig um ihre Ernährung kümmern müssen - ebenso gesellschaftliche Umstände: Die Anzahl der Magersüchtigen hat sich in den letzten 50 Jahren verzwanzigfacht - hat allerdings einen Höhepunkt erreicht. Die Bulimie nimmt immer noch weiter zu.

DIE FURCHE: Gibt es Berufe, die besonders gefährlich sind?

Dr. Weiss: Ja, alles was mit Gewicht zu tun hat. Ballett-Tänzer, Models, Schauspieler, bei Männern Skispringer. Und: Es ist keine gute Idee, mit Kindern bereits in der Volksschule eine Diät zu machen.

DIE FURCHE: Wenn Sie sehen, dass ihr Kind nichts mehr isst - wie reagieren?

Dr. Weiss: Als erstes, versuchen sich nicht auf das Essen zu konzentrieren, sondern mit dem Kind über alles andere sprechen, was es rührt, ihm wichtig ist. Wenn das Kind sich emotional verstanden fühlt, isst es meist auch wieder. Es ist auch wichtig zu wissen, dass viele Kinder- und Jugendliche zeitweise solche Probleme in der Pubertät haben. Bis zu 12 Prozent der weiblichen Bevölkerung werden irgendwann in ihrem Leben "bulimisch“ - man kann auch helfen.

* Das Gespräch führte Harald Hirsch

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung