Bevor Mütter zu Täterinnen werden

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O b die Tötung Neugeborener mit Einrichtungen wie Babyklappe oder anonymer Geburt zu verhindern ist, bezweifeln die Autoren der Studie "Anonyme Geburt und Babyklappe in Deutschland“: Die Zahl ausgesetzter und getöteter Babys ist dort seit Einführung der Angebote im Jahr 1999 nicht zurückgegangen. Das deutsche Jugendinstitut kritisiert, man könne jene Zielgruppen, an die sich die Einrichtungen ursprünglich wenden wollten, nicht erreichen: Vor allem Prostituierte, Drogenabhängige, sehr junge Mädchen oder psychisch gefährdete Frauen seien für die Beratung nicht zugänglich. Zudem weisen die Autoren auf wiederkehrende Fälle von Missbrauch hin: Mehrmals wurden behinderte, bereits ältere oder tote Kinder in Babyklappen gelegt.

In eine ganz andere Kerbe schlägt die bisher unveröffentlichte Studie "Risikofaktoren von Neonatizid“. Dafür wurden alle bekannten, also polizeilich angezeigten Fälle von Tötungen Neugeborener in Österreich und Finnland zwischen 1995 und 2005 untersucht. "In Finnland gibt es keine Babyklappe oder Möglichkeit zur anonymen Geburt. Das dortige Sozial- und Gesundheitssystem ist dem österreichischen ähnlich, weshalb eine vergleichende Analyse Sinn macht“, erklärt Studienautorin Claudia Klier von der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde.

Rückgang der Tötung Neugeborener in Österreich

Die Studie bescheinigt der Babyklappe sowie der anonymen Geburt ein gutes Zeugnis: Nach Einführung dieser Angebote ist die Tötungsrate Neugeborener in Österreich um mehr als die Hälfte gesunken. In Ländern wie Finnland oder Schweden, wo diese Möglichkeiten für Frauen nicht bestehen, ist die Anzahl an Kindestötungen konstant geblieben. "Babyklappen und anonyme Geburten scheinen eine der wenigen effektiven Maßnahmen gegen Kindestötungen zu sein“, schlussfolgert Medizinerin Claudia Klier.

Die wichtigsten Ergebnisse zu den psychosozialen Voraussetzungen der Täterinnen: Bei 72 Prozent der Frauen wurde eine psychiatrische Störung diagnostiziert. 82 Prozent verheimlichten ihre Schwangerschaft oder wollten sie selbst nicht wahrhaben. Obwohl die meisten Täterinnen Partner hatten, wussten diese nur in wenigen Fällen von der Schwangerschaft. Die Frauen waren im Schnitt 22 Jahre alt.

"Präventive Maßnahmen sollten sich auf das Umfeld der Frauen, spezielle Einrichtungen der Fürsorge und des Gesundheitswesens konzentrieren“, betont Klier. Denn bei der Hälfte jener Täterinnen, die schon Kinder hatten, sei das Jugendamt schon vor der Tat eingeschritten. "Diese Frauen wären für Interventionen erreichbar gewesen“, kritisiert die Kinderärztin. "Auch sollten die Babyklappe und die anonyme Geburt vermehrt publik gemacht werden.“ (ein)

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