BEZIEHUNG als Verstrickung?

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Die Psychotherapeutin Susanne Pointner über moderne Paarbeziehungen zwischen Abhängigkeit, Isolation und stetig steigenden Erwartungen.

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Die Psychotherapeutin Susanne Pointner über moderne Paarbeziehungen zwischen Abhängigkeit, Isolation und stetig steigenden Erwartungen.

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Anna und Bert scheinen glücklich - so glücklich, wie man es nach 14 Jahren Ehe eben sein kann. Doch was spielt sich hinter der Fassade ab? Oft ist es ein "selbst gezimmertes Gefängnis" aus Isolation und Abhängigkeit, weiß die Wiener Paartherapeutin Susanne Pointner. Im Buch "Adam, wo bist du? Eva, was tust du?" beschreibt sie den Trend zur "Verstrickung" - sowie Wege, erstarrte Beziehungsmuster aufzulösen.

DIE FURCHE: Vier Fünftel aller Menschen wollen ein Leben lang mit ihrem Partner zusammenbleiben. Dennoch lassen sich 40 Prozent scheiden. Ist das Leben in einer glücklichen Beziehung in Zeiten wie diesen zur Kunst oder gar Wissenschaft geworden?

Susanne Pointner: Es ist jedenfalls eine Herausforderung, wie wir sie noch nie hatten: Zum einen haben wir bei der Partnerwahl ungeahnte Möglichkeiten und entsprechend hohe Ansprüche, zum anderen hat die Paarbeziehung einen hohen Stellenwert, weil andere Werte wie etwa Religion unwichtiger geworden sind. Die Frage "Wie können zwei Menschen glücklich miteinander zusammenleben?" stand früher gar nicht im Fokus - oder man hat sie anders gelöst, etwa indem man die Sphären getrennt hat: hier die Geliebte, dort die Ehefrau. Doch heute soll die Partnerschaft alles abdecken.

DIE FURCHE: Die Folge ist, dass es in modernen Liebesbeziehungen eine Spannung gibt zwischen Sicherheit und Leidenschaft, zwischen der Sehnsucht nach Autonomie und jener nach Verbundenheit, wie Sie schreiben. Der Paartherapeut Arnold Retzer hat deshalb ein "Lob der Vernunftehe" angestimmt. Würden Sie ihm beipflichten?

Pointner: Man kann schon hinterfragen, ob unsere Selbstverständlichkeit, sich verlieben und den Partner frei wählen zu können, eine Voraussetzung für eine glückliche Ehe ist. Forschungen haben etwa ergeben, dass von den Eltern arrangierte Ehen im Durchschnitt nicht unglücklicher sind, weil die meisten Eltern ja nicht einen furchtbaren Partner wählen, sondern jemanden suchen, bei dem wahrscheinlich eine gute Verbindung entsteht. Aber damit sage ich natürlich nicht, dass arrangierte Ehen erstrebenswert sind. Vor allem Frauen werden dabei entmachtet. Aber man kann schon hinterfragen, ob unsere Art der Partnersuche - etwa über digitale Medien -das Nonplusultra ist.

DIE FURCHE: Wie die israelische Soziologin Eva Illouz diagnostizieren auch Sie, dass die Partnersuche zu einem Markt geworden ist. Am Ende soll die Beziehung dann "funktionieren". Wie sehr prägt diese Machbarkeit unsere Vorstellung von Beziehung?

Pointner: Sehr. Es ist etwa verblüffend, wie oft schon sehr junge Paare eine Paartherapie aufsuchen, weil sie enttäuscht sind, dass es trotz aller psychologischer "Tools" zu so vielen Verletzungen und Missverständnissen kommt. Spätestens wenn Kinder kommen, wird dieses "Funktionieren" dann vollkommen auf den Kopf gestellt. Doch die Frustrationstoleranz vieler Paare ist sehr gering. Dabei ist es doch so, dass das Wesen einer Beziehung das Überwinden des Scheiterns ist.

DIE FURCHE: Sie orten in vielen Beziehungen eine Tendenz zur "Verstrickung". Was kann man sich darunter vorstellen?

Pointner: "Verstrickte Beziehungen" sind solche, die sehr aufeinander bezogen sind, ohne dass es eine gute, entschiedene Bezogenheit mit gegenseitiger Rücksichtnahme wäre. Häufig wird nur mehr automatisiert auf den anderen reagiert - meist mit hoher Emotionalität. Oft treffen hier auch Beziehungssucht und Bindungsangst aufeinander. Wenn es sich zuspitzt, kann es sogar zu Hassgefühlen gegenüber dem Partner kommen - ohne zugleich von ihm lassen zu können. Indem man den anderen zerstört, will man dann seinen Selbstwert retten.

DIE FURCHE: Aber kann es überhaupt eine "unverstrickte" Beziehung geben?

Pointner: Es gibt weniger verstrickte Paare, bei denen es die Partner geschafft haben, mit sich selbst in einer guten, inneren Beziehung zu sein - und dadurch auch dem anderen nahe kommen zu können. Aber es gibt auch Paare, die in dem Sinn "unverstrickt" sind, als sie nebeneinander her oder isoliert voneinander leben. Aber jedes Paar kennt auch Phasen, in denen man das Gefühl hat, den anderen nicht zu erreichen.

DIE FURCHE: Wie arbeiten Sie mit jenen Paaren, die bei Ihnen Hilfe suchen?

Pointner: Bei meinem Ansatz der Existenzanalyse und Imago-Paartherapie geht es darum, dass man nicht den anderen von vornherein zum Schuldigen erklärt und verändern will, sondern zu verstehen versucht, was das eigene Verhalten beim anderen bewirkt - und inwiefern das auch mir selbst nicht gut tut. Die Frage ist also etwa: Warum kann ich dich nicht mehr achten? Wenn ich meinen Partner nur noch als Couch-Potatoe sehe, wird er sich schließlich auch so verhalten. Doch diese Dynamik kann man ändern. Manchmal reichen schon zwei, drei Sitzungen für neuen Schwung. Aber nicht immer braucht es eine Therapie. Die Paare sollten sich auch selbst fragen: Schauen wir auf unsere Ressourcen? Haben wir gemeinsame innere Räume? Das muss nicht immer das romantische Dinner sein, das kann auch gemeinsames Engagement sein oder Rituale wie Musikhören oder still am Meer sitzen. So etwas ist wie Dünger für die Beziehung.

DIE FURCHE: Apropos Meer: Im Urlaub spitzen sich Beziehungsprobleme häufig zu. Warum?

Pointner: Das Problem fängt oft damit an, dass beide völlig erschöpft in den Urlaub starten und gar nicht den inneren Raum haben, den es für Nähe und Genießenkönnen braucht. Am Anfang des Urlaubs kommt es dann zu einer Art Entgiftungsprozess, den aber die Partner womöglich unterschiedlich gestalten wollen. Man sollte also vorab klären: Was brauche ich, was brauchst du? Mein Mann und ich haben deshalb eingeführt, nicht gleich am ersten Urlaubstag wegzufahren. Zur Kultur der Beziehung gehört ja auch, die innere Wohnung sauber zu machen, bevor ich den anderen einlade.

DIE FURCHE: Im Alltag fehlt dafür aber oft die Zeit -erst Recht, wenn es Kinder gibt

Pointner: Das ist ein Dilemma, zumal schon die Kinder oft in so engen Strukturen stecken. Oft belastet der Schulstress die Elternbeziehung noch mehr als berufliches Eingebundensein. Umso wichtiger ist es, auch hier mit den Ansprüchen und dem Freizeitstress herunterzufahren und nach Zusatzressourcen zu suchen. Es darf wirklich ein Dorf ein Kind erziehen, es müssen nicht nur Mama und Papa sein.

DIE FURCHE: Dennoch kann sich, nicht zuletzt in einer Therapie, irgendwann die Frage stellen, ob eine Trennung nicht besser wäre

Pointner: Ja -und es ist wichtig, an diese Frage offen heranzugehen. Manche Paare fürchten deshalb eine Therapie, und es ist tatsächlich eine große Herausforderung, für sich eine neue Lebensform zu finden. Aber besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Es ist in jedem Fall eine große Kunst, sich gut zu trennen. Deshalb wäre auch eine Trennungsbegleitung so wichtig, damit die Gefühle nicht über die Kinder ausagiert werden - und man die Beziehungsmuster erkennt, bevor man sich auf einen neuen Partner einlässt.

Adam, wo bist du? Eva, was tust du? Über die Befreiung aus Isolation und Abhängigkeit in Paarbeziehungen. Von Susanne Pointner. Orac 2016.188 Seiten, geb., € 22,-

Das Gespräch führte Doris Helmberger

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