"Binden, peitschen, schrauben - um der Wahrheit willen"

Werbung
Werbung
Werbung

Ein hoher deutscher Polizeibeamter hat einem Entführer Gewalt angedroht, um das Leben einer Kindergeisel zu retten. Jetzt sitzt der Polizist für diese Folterdrohung vor Gericht, und das generelle Folterverbot wird zunehmend in Frage gestellt.

Bind' ihn auf die Leiter, häng' ihn, peitsch' ihm mit dem Haarseil die Haut vom Leibe, schraub' ihn, gieß ihm Essig ins Nasloch, glühend Eisen - alles gleich..." Aristophanes, der größte griechische Komödiendichter, brauchte sich kein Blatt vor dem Mund zu nehmen, er konnte detailverliebt beschreiben, was Angeklagte zu spüren bekamen, wenn, ja wenn es um die Wahrheit ging. Denn von der Antike bis ins 17. Jahrhundert gilt die Folter im wesentlichen als Suche nach der Wahrheit mit anderen Mitteln. Und noch 1780, knapp dreißig Jahre zuvor wurde die Folter in Preußen als dem ersten Land abgeschafft, gesteht ein französischer Höchstrichter, ihn könnten die Argumente der Foltergegner nicht rühren: Die "harte Methode" sei bei der Aufdeckung von Verbrechen erfolgreich, also sei sie gerechtfertigt.

"Überdehnen eines Handgelenks" und "am Ohr gibt es bestimmte Stellen - jeder Kampfsportler weiß das - wo man draufdrückt und es tut weh, es tut sehr weh, ohne dass irgendeine Verletzung entsteht" - in einem autorisierten Interview hat der Frankfurter Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner die Schmerzen geschildert, die er dem Kindesentführer Magnus Gäfgen androhen ließ, sollte dieser nicht das Versteck seines - zu diesem Zeitpunkt bereits toten - Opfers preisgeben. Gäfgen hat außerdem zu Protokoll gegeben, "zwei Neger" sollten mit ihm in eine Zelle gesperrt werden, ihm sexuelle Gewalt antun, so dass er sich wünsche, nie geboren worden zu sein.

Nötigung & Amtsmissbrauch

So weit ist es schließlich nicht gekommen: Gäfgen legte ein Geständnis ab und führte die Polizei zum toten Kind. Mehr als zwei Jahre später, der Entführer und Mörder ist schon lange verurteilt, sitzen Wolfgang Daschner und ein von ihm beauftragter Kriminalhauptkommissar auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft wirft Daschner Verleitung zur schweren Nötigung unter Missbrauch seiner Amtsbefugnisse vor; der Kommissar wird der Nötigung beschuldigt. "Ich spreche nicht von Folter", rechtfertigt sich Daschner, "ich spreche von der Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Rettung eines Menschenlebens." Und um das Dilemma, in dem er steckte, zu beschreiben, fährt Daschner fort: "Es ähnelte der Konstellation in einer griechischen Tragödie: Entweder ich verletze die Rechte des Beschuldigten, oder ich verspiele das Leben des Opfers. Bei dieser Güterabwägung war mir klar, was ich tun würde. Ich würde es heute wieder so machen."

Dafür gebühre Daschner der "Maria-Theresien-Orden", sagt Edgar Morscher. Der Philosoph an der Universität Salzburg und Gründer des Forschungsinstituts für Angewandte Ethik hat großen Respekt vor der Haltung des Polizei-Vizepräsidenten: "Daschner hätte es sich leicht machen, den Dienstweg einhalten, die Regeln befolgen können - aber er hat mit einer Folterdrohung versucht, das Leben dieses Kindes zu retten." Beachtenswert sei zudem, fügt Morscher hinzu, dass es der Angeklagte selber war, der eine Aktennotiz zu seinem Vorgehen angefertigt und die Staatsanwaltschaft informiert hat. "Über kurz oder lang wird jeder weich", beschreibt Morscher seine Erfahrungen, wenn er Studenten mit Gedankenexperimenten konfrontiert, in denen das Leben vieler mit einer Aufweichung des Folterverbots gerettet werden kann: "Je mehr man die Sache zuspitzt, desto eher, desto schneller wird das generelle Folterverbot in Frage gestellt."

Morschers Erfahrungen stimmen mit Meinungsumfragen zum Fall Daschner überein: Rund zwei Drittel der Deutschen erklärten sich mit dem Polizei-Vizepräsidenten solidarisch und hätten in einem vergleichbaren Fall ebenso entschieden. Viele versuchen damit Recht und Moral, Verbot und Daschner miteinander zu versöhnen.

Wer wollte auch behaupten, er würde, wenn sich noch Leben retten ließe, um keinen Preis einem Verbrecher Gewalt androhen?

"Wenn ich der Vater des entführten Kindes gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich auch so gehandelt", sagt sogar Heinz Patzelt, der Generalsekretär von amnesty international-Österreich. Das heißt aber nicht, stellt Patzelt klar, dass ein Polizist so vorgehen und Folter anwenden darf: "Der Staat hat keine Emotionen zu haben, das Folterverbot gilt absolut und immer."

Folterverbot in Frage stellen

Edgar Morscher widerspricht: "Ein Gebot, das bedingungslos und ausnahmslos und unabhängig von der konkreten Situation gilt, gibt es nicht." Es komme immer wieder zu Szenarien, so Morscher, "wo absolute Gebote unvernünftig sind". Wenn eine Geiselnahme wie in Beslan, mit einem durch Folter erzwungenen Geständnis beendet werden könnte, werde niemand auf das Folterverbot pochen, ist Morscher überzeugt. Weil viele Staaten sich nach wie vor nicht an das Folterverbot halten, sagt der Philosoph, dürfe in demokratischen Gesellschaften die Frage nach einer situationsbedingten Aufhebung des Folterverbots nicht tabuisiert werden. Morscher schlägt vor, derartiges staatliches Vorgehen "Zwangsmaßnahme" statt Folter zu nennen und durch Kontrolle und strikte Regeln zu beschränken.

Wer so etwas vorschlägt, entgegnet Heinz Patzelt, hat "zuwenig Phantasie, um zu Ende zu denken, was er hier angeht". Der amnesty-Generalsekretär fragt sich, wie die staatliche Entschuldigung für unschuldig gefolterte Menschen ausschauen soll. Denn: Die "gute Einzelfall-Folter" ist nicht nur theoretisch ein Unding, sondern auch nicht praktikabel. Und aus der Einzelfallregelung würden schnell Sonderrechtszonen und bald die Regel.

"Den Rest der Nacht habe ich damit verbracht, mir den Kopf zu zermartern und nach einer Lösung aus dieser nahezu ausweglosen Situation zu suchen", hat Wolfgang Daschner zu Protokoll gegeben. Kollegen im polizeilichen Führungsstab widersprechen: Daschner habe sich über Bedenken hinweggesetzt und alternative Verhörmethoden verworfen.

Doch führt Folter überhaupt zum Ziel? Lässt sich die Wahrheit tatsächlich aus einem Opfer herausquälen? Polizeiermittler verneinen: "Folter bringt die Leute zwar zum Reden, aber danach weißt du wieder nicht, ob das Gesagte stimmt. Unter Folter sagt jeder das, wovon er glaubt, dass es die Folter beendet." Und das hat schon vor 300 Jahren der französische Moralist Jean de La Bruyère den Folterern ins Gewissen geredet: "Das peinliche Verhör ist eine bewundernswerte Erfindung, mit der vollkommensten Gewissheit, einen Unschuldigen mit schwachem Naturell ins Verderben zu bringen und einen kräftig angelegten Schuldigen zu retten."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung