Bitter nötige Reform lässt auf sich warten

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HINTERGRUND • Heuer wurden bereits vier Missbrauchs-fälle von Jugendlichen in Gefängnissen bekannt, die zu einer breiten Debatte um den Jugendstrafvollzug geführt haben.

Der Strafvollzug ist nicht das Paradies“, lautete die Reaktion von Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) auf die Vergewaltigung eines 14-jährigen U-Häftlings im Mai in der Justizanstalt Josefstadt. Nach einer Welle der Empörung musste sie zurückrudern. Inzwischen hat Karl eine rund 15-köpfige "Task Force Jugend-U-Haft“ eingerichtet, um diesen sensiblen Bereich zu reformieren. Das interdisziplinäre Expertenteam soll bis Oktober Alternativen zur U-Haft für unter 18-Jährige entwickeln.

Die wichtigsten Aspekte des 25-Punkte-Pakets: Nur noch zwei Jugendliche pro Zelle, eine Erweiterung des Arbeits- und Freizeitangebotes in der Haft, spezielle Schulungen für Bedienstete im Jugendstrafvollzug sowie mehr Informationen über Beschwerdemöglichkeiten für Jugendliche.

Stärkung der Jugendgerichtshilfe

Generell will das Justizministerium auf eine stärkere Vernetzung zwischen den betroffenen Organisationen (Jugendamt, Verein Neustart, Jugendgerichtshilfe) setzen: Gleich nach der Festnahme sollen Vertreter der Jugendgerichtshilfe oder der Kinder- und Jugendanwaltschaft hinzugezogen werden. Die Task Force möchte auch für raschere Abläufe im Bereich der psychologischen Gutachten für die Jugendlichen sorgen.

Der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser erkennt in den angestrebten Alternativen zur U-Haft, dem Ausbau der gemeinnützigen Arbeit statt Haft und der Ausweitung der Beschäftigungsmöglichkeiten für Häftlinge richtige Schritte. Steinhauser kritisiert aber, dass das 25-Punkte-Paket von Justizministerin Karl um Jahre zu spät komme: "Es ist bedauerlich, was alles passieren muss, damit sich eine Justizministerin für den Strafvollzug interessiert.“

Derzeit befinden sich österreichweit 120 Jugendliche in U-Haft oder Strafvollzug. Unter den jungen Erwachsenen zwischen 18 und 21 Jahren sind es 419 Menschen. Ihre durchschnittliche Anhaltedauer in der Untersuchungshaft liegt bei etwa 30 Tagen. Indessen sinkt die Zahl der verurteilten Jugendlichen in Österreich jährlich: Im Vorjahr gab es 2562 Schuldsprüche gegen Jugendliche. Das ist die geringste Zahl seit 1947.

Kein neuer Jugendgerichtshof

Die von vielen Experten geforderte Wiedereinrichtung des Jugendgerichtshofes schließt Justizministerin Karl praktisch aus. In dem 2003 aufgelösten Kompetenzzentrum unterstützte ein Team von Psychologen und Sozialarbeitern die Richter und Staatsanwälte in allen Strafverfahren gegen Jugendliche. In den fachlichen Stellungnahmen beschrieb die Jugendgerichtshilfe das Entwicklungspotenzial der Jugendlichen und machte Vorschläge zur Sanktion, wie gemeinnützige Arbeiten, einen Täter-Opfer-Ausgleich, Probezeiten oder auch Freiheitsstrafen.

"Wer den Jugendstrafvollzug verbessern möchte, ist gut beraten, die bewährte Einrichtung der Wiener Jugendgerichtshilfe zu nutzen und angemessen auszustatten“, fordert Oliver Schreiber, Vorsteher des Bezirksgerichtes Wien-Meidling. "Seit der Kreisky-Ära war der Strafvollzug für die Politik kein Thema mehr“, kritisiert der Richter. Die meisten Häftlinge werden nur "verwahrt“ werden: "Pädagogen und Sozialarbeiter wurden in den letzten 30 Jahren zugunsten der Justizwache aus den Justizanstalten gedrängt“, so Schreiber.

Auch die "Allianz gegen Gleichgültigkeit“, zu der sich die Caritas, der Opferschutzverein "Weißer Ring“, Rechtsexperten und der Kinderpsychiater Ernst Berger zusammengetan haben, kritisiert: Oft würde auf einen Psychologen oder Sozialarbeiter eine dreistellige Zahl an Häftlingen kommen.

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