Brauchen wir Drogen, um endlich miteinander zu reden?

19451960198020002020

Gut drauf sein. Am Wochenende "abtanzen", mit 5.000 Gleichgesinnten auf einem"Rave". Die Droge Ecstasyist mit dabei - bei bis zu70 Prozent der Besucher.

19451960198020002020

Gut drauf sein. Am Wochenende "abtanzen", mit 5.000 Gleichgesinnten auf einem"Rave". Die Droge Ecstasyist mit dabei - bei bis zu70 Prozent der Besucher.

Werbung
Werbung
Werbung

Was ist XTC? Was sind Chicks on Speed? Was ist Poppers? Zack, zack, zack, trommelt Engelbert Horwath seine Fragen bei seinen zahlreichen Elternabenden zur Drogenaufklärung. "Ich geb' den Eltern gerne kalt-warm", gibt der Polizist zu. "Keine Ahnung! Nie gehört! Was soll das sein?" sind die Antworten, die dann gerne zurückkommen. Sogar einen eigenen Fragebogen hat der "Kieberer", wie er sich selbst bezeichnet, erstellt. 18 Fragen. Ein Begriff trendiger als der andere. Zuerst zerstört er im Vortrag die Illusionen der Eltern, sie wüssten auch nur annähernd über die Sprache ihrer Kinder Bescheid. Dann baut er sie mit Wissen wieder auf.

Denn was sich wirklich abspielt bei den Jugendlichen, kann man in den in trockenen Zahlen und Schätzungen der Drogenexperten nachlesen. Auf den Raves, den so beliebten Techno-Tanz-Festen, nehmen 20 bis 70 Prozent der Teilnehmer die Modedroge Ecstasy. Sieben Prozent aller Jugendlichen sollen laut Drogenkoordinationstelle der Stadt Wien schon einmal die bunten, trügerisch mit lustigen Motiven geprägten Tabletten probiert haben. 30.000 bis 40.000 Menschen sind das in absoluten Zahlen.

Um kein Missverhältnis in Bezug auf die Relationen aufkommen zu lassen: Alkoholkranke gibt es in allen Altersgruppen 300.000. Vorsichtig geschätzt. Kein Grund also für die ältere Generation, mit dem erhobenen Zeigefinger zu kommen. Dennoch: Die Modedrogen, allen voran Ecstasy, liegen schwer im Trend. "Vor allem bei jungen Erwachsenen und Jugendlichen sehen wir starke Zuwächse", bestätigt der Drogenbeauftragte der Stadt Wien, Alexander David. Mit den klassischen Drogenabhängigen sind diese Menschen aber nicht zu vergleichen. Sie konsumieren am Wochenende, meist im Rahmen eines Raves. "Und am Montag treten sie wieder topfit im Job oder in der Schule an", weiß David. Mit dem Bild des Junkies vom Karlsplatz hat diese Szene nichts zu tun. "Die schätzen sich auch nicht so ein, dass sie ein Problem haben."

Margit G.* ist sich sogar ganz sicher, dass sie kein Problem hat. Mehrmals pro Jahr nimmt sie Ecstasy, oder "E" wie man in der Szene verharmlosend sagt. "Warm, herzöffnend", sei die Wirkung, sagt die 27-Jährige. Man fühle sich gut, fröhlich, könne die ganze Nacht durchtanzen, berichten die "Raver". Sorgen, Gefühle wie Hunger oder Durst, gehen völlig unter. Man ist einfach nur aktiv. Auch ein ganz anderer Zugang zur Musik wird berichtet. Und eine enorme Kontaktfreudigkeit.

20 bis 70 Prozent der Kids auf einem Rave nehmen diese Droge. Warum? Margit hat eine plausible, wenngleich erschütternde Erklärung dafür: "Es ist in Österreich gefühlsmäßig so wahnsinnig kalt." Jeder laufe mit einem ang'fressenen Gesicht durch die Gegend. "Wenn man jemanden anspricht, ist das fast schon ein Affront." Dafür brauchen die Kids offenbar die Droge. "Wenn dann alle drauf sind, geht's plötzlich." Dann, erst wenn die Chemie ihr vermeintlich positives Werk vollbracht hat, werden die Tänzer zur großen Gemeinschaft. Aber auch Neugierde, das Verlangen "gut drauf" zu sein oder schlicht und einfach Gruppendruck zählen zu den Motiven.

Gefährliches Gift Natürlich sind Ecstasy und alle seine Vorläufersubstanzen oder Abwandlungen verboten. Denn man riskiert, wie bei alle Modedrogen (siehe S. 5), Schäden. Harald Kriener, Leiter der mobilen Drogenanalysestation "Check it" weiß, warum. "Man weiß einfach nicht, was in den Tabletten drin ist." Die Tabletten werden in illegalen Labors (meist in Osteuropa) hergestellt. Ein komplizierter chemischer Prozess ist dafür nötig. Rein und in der richtigen Dosis kommt die Substanz so gut wie nie vor. "Wir finden darin diverse Stoffe. Vom Gift der Tollkirsche, Koffein, Aufputschmittel bis hin zu absolut tödlichen Substanzen." Eine dieser Substanzen wurde bei einem Rave einem 17-jährigen Kremser zum Verhängnis. Er schluckte immer mehr Tabletten in der Meinung, sein "E" wirke nicht. Dabei setzte die Wirkung später ein. Mit 43 Grad Fieber wurde der junge Mann ins Krankenhaus gebracht. Nicht einmal 20 Liter Blutkonserven konnten ihn retten.

Daher haben die Jugendlichen im Rahmen von "Check it" die Möglichkeit, ihre Tablette gleich direkt am Rave untersuchen zu lassen. Dort wird aber nicht nur getestet, man will auch aufklären. Denn auch die anderen Gefahren der Droge, etwa das stundenlange Tanzen ohne Flüssigkeitszufuhr, sind nicht ohne. Da kann die Körpertemperatur schon rasch auf mehr als 39 Grad hinaufschnellen, ein Kollaps droht. Auch mittelfristig sind die Risiken evident: "Bei zu hoher Dosierung können Gehirnschäden auftreten", weiß Kriener. Gedächtnisstörungen, Unsicherheit, Ängstlichkeit, Schlafstörungen oder Depressionen können ebenfalls Folgen sein. Schon ab 20 bis 30 Konsumationen können solche Schäden auftreten.

Doch diese Gefahren werden von den Jugendlich oft nicht einmal ignoriert. Drogenkonsumentin Margit G. weiß etwa von regelrechten "Wettbewerben", wer denn mehr "E"s "einwerfen" kann. Fünf, acht, elf Stück pro Nacht. "Wenn da was passiert, sind die wirklich selber schuld", sagt Margit. Einzig positiver Nebenaspekt: Die Suchtwirkung des Amphetaminderivats, wie die Chemiker "E" bezeichnen, ist eher gering. "Ecstasy führt nicht zur körperlichen Abhängigkeit", weiß Drogenbeauftragter David. Die Gefahr einer psychischen Gewöhnung, die meist mit einer Steigerung der Dosis einhergehe, sei aber da. Drogenexperte Kriener hat einen Verdacht, warum manch einer vom Gelegenheitskonsum in den Problemkonsum abgleite: "Das ist schon auch eine Frage, wieviel Liebe und Rückhalt oder welches Problemlösungspotential man von zu Hause mitbekommt."

Schau'n die alle weg?

Das Problem mit den Modedrogen ist also bekannt. Man weiß wo, wie und von wem sie konsumiert werden. "Warum tun die denn nichts dagegen?", könnte man sich fragen. "Man kann nichts dagegen tun", ist die Antwort, die mehr oder weniger unisono von allen Experten kommt. "Mit Gewalt können wir vielleicht zehn Prozent der Drogen sicherstellen", meint Drogenbeauftragter David. "Und auch der erhobene Zeigefinder ist wenig hilfreich." Polizist Horwath assistiert: "Wir können es leider nicht verhindern. Würden wir eingreifen, drängen wir die Raves in die Illegalität. Konsumieren die Leute zu Hause, hätten wir überhaupt keinen Zugriff mehr." Und damit letztlich auch keinen Ansatzpunkt für die Prävention, weder durch Polizei, noch durch Projekte wie "Check it".

Doch zurück zur Prävention, diesmal wieder für die Eltern.

"Wallrunner", "Househeads", "Sich was checken". Polizist Horwath konfrontiert die Eltern mit weiteren Begriffen, die bei den Kids gang und gebe sind und von denen sie nicht einen blassen Schimmer haben. "Ich zünde auch ein bisserl Haschisch an, damit sie die Geruch im Zweifelsfall erkennen", erklärt Horwath. Damit die Kids mit Ausreden a la "Da hab ich ein Räucherstäbchen angezündet", nicht mehr durchkommen. Zum Schluss gibt der Polizist noch ein Merkblatt durch. "Wie Sie ihre Kinder ermutigen können, Drogen zu nehmen", steht auf dem Blatt mit 14 ironisch formulierten Warnungen. Ganz oben auf der Liste: "Setzen Sie sich niemals als Familie zusammen. Hören Sie ihren Kinder niemals zu - sprechen Sie über sie, aber nicht mit ihnen."

Die meisten Eltern haben es danach begriffen. Bei einigen war es vielleicht noch nicht zu spät.

*Name von der Redaktion geändert.

Redaktion: Dr. Elfi Thiemer ("Die Furche"), Mag. Hans Kronspieß und Bernhard Baumgartner ("Die Presse")

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung