Brustkrebs oder: Die totale Verwirrung

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Rund um das neue Brustkrebs-Früherkennungsprogramm, das mit Verspätung am 1. Jänner 2014 starten wird, haben zahlreiche (Falsch-)Meldungen für Aufregung gesorgt. Die Gretchenfrage bleibt: Wie groß ist der Nutzen (oder Schaden) solcher Screenings?

Eigentlich wollte Armin Breinl nur seine Bedenken artikulieren. "Dass das dann so überschwappt“, sagt der Grazer Gynäkologe, "damit hätte ich nie gerechnet.“ Mehr als 45.000 Frauen und Männer haben mittlerweile seine Petition "Weiterhin kostenlose Mammographieuntersuchung für jede Frau durch Zuweisung durch den niedergelassenen Arzt“ auf der Kampagnen-Plattform Avaaz.org unterzeichnet. "Ein neues Screening soll Patientinnen nur noch von 45 und bis 69 Jahren alle zwei Jahre zur Mammographie einladen! Folge: Es werden Frauen später eine Therapie bekommen - es werden mehr Frauen an Brustkrebs sterben!“, heißt es darin. Die Aufregung war dementsprechend groß, auch bei den ÖVP-Frauen, die Breinls Petition unterstützten.

Derweil präsentierte Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) vergangene Woche das neue Brustkrebs-Früherkennungsprogramm als "Meilenstein für die Frauengesundheit“: Die kritische Petition sei voll von "Fehlinterpretationen“ und "Panikmache“, wie es aus dem Gesundheitsministerium bzw. aus der Patientenanwaltschaft hieß. Auch die Österreichische Gesellschaft für Senologie - ein interdisziplinäres Forum für Brustgesundheit - spricht dieser Tage in einem offenen Brief von "offensichtlichen Missverständnissen“. Zeit, ein paar Fragen zu klären.

• Wie häufig ist Brustkrebs?

Pro Jahr gibt es in Österreich rund 5000 neue Brustkrebs-Diagnosen, drei Viertel der betroffenen Frauen sind älter als 50 Jahre. Während die Petition davon spricht, dass "jede achte bis neunte Frau im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs erkrankt“, ist es laut Marianne Bernhart, verantwortliche Medizinerin des Screening-Programms mit dem sprechenden Namen "früh erkennen“, nur jede 13. Laut einer neuen Vergleichsstudie in "The Lancet“ liegt die Fünf-Jahres-Überlebensrate bei einem Mammakarzinom in Österreich derzeit bei 82,1 Prozent. Rund 1500 Frauen sterben jedes Jahr an Brustkrebs.

• Wie läuft das neue Screening?

Beim bisherigen so genannten "grauen“ Brustkrebs-Screening konnten Frauen auf eigenen Wunsch oder ärztliche Empfehlung an weitgehend unkoordinierten Früherkennungs-Untersuchungen teilnehmen: jüngere nutzten das allzu oft, ältere oder sozial benachteiligte Frauen und Migrantinnen selten oder gar nicht. Mit dem neuen Screening setzt Österreich als eines der letzten Länder die Empfehlungen der EU-Kommission aus dem Jahr 2003 um: Sämtliche Frauen zwischen 45 und 69 Jahren (etwa 1,5 Millionen) werden alle zwei Jahre eine persönliche Einladung zu einer Mammographie-Untersuchung erhalten - und können sich damit ohne ärztliche Zuweisung direkt an eines von 190 zertifizierten radiologischen Instituten wenden; Frauen zwischen 40 und 44 sowie 70 und 74 Jahren können bei einer Telefon-Serviceline (0800 500 181) eine solche Einladung anfordern. Das gilt auch für Frauen ohne Sozialversicherung. Mit dieser niederschwelligen Konzeption (und mehrsprachigen Informationsfoldern) will man die Beteiligung von 40 auf 70 Prozent erhöhen. Zudem soll durch das durchgängige "Vier-Augen-Prinzip“ bei der Befundung, vorgeschriebene Fortbildungen der Radiologen und eine zentrale Dokumentation die Qualität verbessert werden.

• Warum diese Alterslimits?

Dass nicht alle Frauen zum Screening eingeladen werden, hat laut Gesellschaft für Senologie gute Gründe: So ist bei Frauen unter 40 Jahren nicht nur das Brustkrebs-Risiko deutlich niedriger, auf Grund des dichteren Brustgewebes ist auch die Aussagekraft des Bruströntgens noch geringer - und das Brustdrüsengewebe zugleich sensibler gegenüber Strahlen. Es gebe sogar die "Gefahr induzierter Brustkrebse“, heißt es. Bei Frauen über 75 Jahren wiederum sei das Tumorverhalten "wenig aggressiv“, deshalb führe die regelmäßige Selbst- und ärztliche Untersuchung zu einem ebenso guten Resultat wie das Screening.

Davon unabhängig ist jedoch für Frauen jeden Alters bei entsprechender Indikation eine Röntgen-Untersuchung weiterhin kostenlos möglich. "Keine Frau fällt aus der Mammographie heraus, wenn sie dies braucht oder möchte“, erklärt die für die Umsetzung verantwortliche Programmleiterin Karin Eger. Wenn die Liste an Indikationen (darunter erhöhte, familiäre Belastung, tastbarer Koten, unklarer Tastbefund oder austretendes Sekret) nicht zutreffen, könnten Ärzte ihre Patientinnen noch immer unter der Kategorie "besondere medizinische Indikation im Einzelfall“ zu einem Radiologen überweisen. "Aber es macht keinen Sinn, 30-Jährige ohne Anhaltspunkt regelmäßig zur Mammographie zu schicken“, so Eger. Hochrisikopatientinnen (etwa jene mit einem Brustkrebsfall vor dem 35. Lebensjahr in der Familie) würden ohnehin in eigenen Untersuchungsprogrammen behandelt.

• Wie sehr nutzen - oder schaden - solche Screenings?

Das ist die eigentliche Gretchenfrage: Nach einer systematischen Übersichtsarbeit der "Cochrane Collaboration“, einem weltweiten Wissenschafter-Netzwerk, kann die Brustkrebssterblichkeit durch ein Mammographie-Screening um etwa 15 Prozent gesenkt werden. Werden also 2000 Frauen innerhalb von zehn Jahren fünf Mal gescreent, stirbt dadurch eine Frau weniger an Brustkrebs. Zugleich durchlaufen wegen so genannter "Überdiagnosen“ zehn Frauen Eingriffe, die sie womöglich nicht gebraucht hätten. Mehr als 200 Frauen erleben wegen falsch positiver Befunde über Monate erheblichen Stress. Umgekehrt wird etwa jeder dritte bis fünfte Brustkrebs im Screening nicht erfasst. Von der Strahlenbelastung nicht zu reden. "Auf dieser Nutzen-Schaden-Basis tu ich mir langsam schwer, ein Befürworter der Brustkrebsfrüherkennung zu sein“, erklärt der Grazer Public Health-Experte Martin Sprenger.

Hans Mosser, Vorstand des Instituts für Radiologie am Landesklinikum Krems und Autor des Buches "Akte Brust. Frau zwischen den Fronten“ (Petmedia), begrüßt zwar das Screening, fordert aber konkretere Informationen über die Vor- und Nachteile, als sie derzeit auf der Homepage www.frueh-erkennen.at angeführt werden. Auch Patientenanwalt Gerald Bachinger legt auf objektive Informationen wert, ist aber dennoch "sehr glücklich mit dem Kompromiss“ - und wünscht sich ein ähnlich "proaktives“ Herangehen auch bei Dickdarmkrebs und Diabetes. Am klarsten positioniert sich Thomas Helbich, Professor für Radiologie an der Medizin-Uni Wien: Die angestrebte (und langfristig realisierbare) Senkung der Brustkrebssterblichkeit um 20 bis 30 Prozent würde auf Österreich umgerechnet bedeuten, "dass 300 Frauen pro Jahr nicht sterben müssen! Es kann also nicht davon die Rede sein, dass nur wenige Frauen davon profitieren.“

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