Computer contra Patientengespräch

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Wer im Spital liegt, wird von Ärzten, Schwestern, Pflegern, Helfern betreut: Eine strenge Hierarchie, deren Zusammenspiel genau geregelt ist.

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Wer im Spital liegt, wird von Ärzten, Schwestern, Pflegern, Helfern betreut: Eine strenge Hierarchie, deren Zusammenspiel genau geregelt ist.

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Seit Sommer 1997 ist ein neues Gesetz zur Ausbildung für den "gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege" in Kraft. Es definiert die nunmehr vermehrten eigen- und mitverantwortlichen Tätigkeiten genau, unterscheidet zwischen Pflege und ärztlicher Behandlung und bringt dem Pflegepersonal mehr Mitspracherecht. Neue Kontrollen und Leistungsdruck bringen aber auch Nachteile für die Patienten und das Pflegepersonal.

Das Image der Krankenschwester war in Österreich immer gekennzeichnet von unklaren Vorstellungen einer den Ärzten untergeordneten Tätigkeit mit karitativ-sozialen bisweilen auch gleichgültig-bissigen, dem Leid gegenüber abgestumpften Zügen. Im Stellenwert unserer Gesellschaftshierarchie eher weiter unten - sicher weit unter den Ärzten! - angesiedelt, bot, ja bietet sich den Außenstehenden das Bild der weißbekittelten "Schwestern" mit Häubchen und Medikamenten- oder Essenswägelchen, denen im allgemeinen mit wesentlich weniger Respekt begegnet wird als den Ärzten.

Für Außenstehende sind die Kompetenzen der Spitalshierarchie verwirrend: Wer teilt das Essen aus, wer darf Injektionen geben, wer putzt den Boden, wer wechselt die Wäsche, wer wäscht die Patienten? ...

Ganz oben regiert die "Pflegedirektorin", früher als "Oberin" bekannt, verantwortlich für den gesamten Pflegebereich des Spitals. Die Oberschwester steht der Abteilung vor, die Stationsschwestern den Stationen der Abteilung. Die "Radlschwestern" schließlich betreuen in Tag- und Nachtschichten ("Radl") die Patienten. Ihnen zur Seite weiter unten die Pflegehelfer und -helferinnen, die am Patienten arbeiten, also umbetten, waschen...

Nicht am Patienten arbeiten dürfen die Abteilungshelfer und -helferinnen", sie räumen Nachtkästchen auf, wechseln Wäsche, räumen Eßgeschirr ab usw. Ganz unten dann rangieren die Hausarbeiterinnen: Boden putzen, WC säubern, Eßgeschirr abwaschen zählen zu ihrem Pflichtenkreis.

Sie unterscheiden sich alle in Art und Farbe der Kleidung, trotzdem ist es ratsam, sich als Patient genauer zu erkundigen, denn Abteilungshelfer sind mitunter gleich weißgekittelt wie der Herr Primar ...

In Wien gibt es derzeit 17 Pflegeschulen für den "gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege", wie es das Gesetz formuliert. Die meisten betreibt die Gemeinde Wien, einige Schulen gehören Ordensspitälern, und eine wird vom Bundesheer geführt.

Vor 15 Jahren erreichte der Schwesternmangel seinen Höhepunkt. Österreicherinnen waren kaum zum Pflegedienst zu gewinnen, viele ausländische Schwestern wurden eingestellt. Heute zeichnet sich ein Überschuß ab, noch können in Wien aber alle Absolventen angestellt werden.

Wie schaut nun die neue Ausbildung zur "Diplomierten Gesundheits- und Krankenschwester" bzw. zum "Diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger" (DGKS und DGKP) aus? Das neue Gesetz vom August 1997 betont vor allem die eigenverantwortlichen Tätigkeiten, die die ganze Palette des Pflegeprozesses umfassen: Pflegeanamnese (Vorgeschichte), Pflegediagnose, -planung, Durchführung, Kontrolle, Evaluation, Dokumentation, Organisation, Anleitung des Hilfspersonals ... Dazu kommt Gesundheitsförderung und -beratung sowie die administrative Arbeit.

Große Unterschiede zum alten Gesetz liegen auch in der gemeinsam mit dem Arzt mitverantwortlichen Tätigkeit, der Durchführung ärztlicher Anordnungen wie Injektionen verabreichen, Blutabnahme, Magensonden, Katheder, Infusionen anlegen. Hier hat das Gesetz die Mitsprache und Arbeit der DGKS/DGKP erweitert. So war bisher die Verabreichung von Injektionen verboten, dennoch in der Praxis auch von den DGKS durchgeführt.

"Zweiter Bildungsweg" In den drei Ausbildungsjahren sollen aber auch in den 4.600 Unterrichtsstunden medizinisches Grundwissen wie Anatomie, Physiologie, Biologie, Pharmakologie, dazu Altenpflege, Berufsethik, Soziologie, Psychologie, Sozialhygiene, ja Kommunikation, Konfliktbewältigung, Kreativitätstraining, EDV, berufsspezifisches Recht ... (die Liste ist endlos) unterrichtet werden.

Besuch in der Schule für allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege am Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul: Die Diplomprüfung der Absolventen des sogenannten "Zweiten Bildungsweges" ist eben vorbei. Barbara Zinka, Direktorin der Pflegeschule, kann die weiße Fahne aushängen. Alle haben die Prüfung bestanden.

Direktorin Zinka war sich da schon vorher sicher: Die Schüler des "Zweiten Bildungsweges" sind alle ehemalige Pflegehelfer, die zum Teil länger als ein halbes Jahrzehnt in Spitälern und Pflegeheimen gearbeitet haben. "Uns kann kein Lehrer, keine Lehrerin etwas vormachen", so eine der Aussagen in der die kleine Feier abschließenden Diskussion.

Eine große Motivation für alle war das stärkere Mitspracherecht im Spital: Während der Zeit des Schwesternmangels hatten viele deren Arbeiten verrichtet. Als wieder genug Diplomierte eingestellt waren, wurden sie gleichsam "degradiert" zu den für sie nunmehr unbefriedigenden Aufgaben als Pflegehelfer. Die Bezahlung sei keine Motivation, sind sie sich in der Diskussion einig. Gemessen an der Leistung, den physischen und psychischen Anforderungen sei ihr Beruf im Vergleich zu anderen nach wie vor schlecht bezahlt.

Dazu kommt der Druck durch die "Leistungsorientierte Krankenhausfinanzierung - LKF". "Beim Personal wird eingespart, und das wirkt sich letztlich am Patienten aus. Wir sind nach dem Dienst enorm ausgepowert. Was für neue und teure medizinische Geräte ausgegeben wird, soll bei der Pflege eingespart werden - aber ohne Pflege sind die Geräte doch wertlos!", so der Tenor der erfahrenen Absolventen, die aus verschiedenen Wiener Spitälern kommen.

Auch bei der Pflegepersonal-Regulierung (PPR) wird jede Tätigkeit der Schwestern kontrolliert und gegebenenfalls Personal eingespart. Ziel ist, jeden einzelnen Arbeitsschritt der DGKS/DGKP zu dokumentieren: Jede Arbeit (Waschen, Essenausgaben, Umbetten) erhält einen Computercode und die Arbeiten müssen per Code eingegeben werden.

Gespräche = Nix tun Keinen Code - das gilt also nicht als Arbeit! - hat ein kurzes Gespräch, eine persönliche Zuwendung zum Patienten; ein Glas frisches Wasser oder Fruchtsaft bringen und den Patienten zum Trinken animieren (bei alten Leuten besonders wichtig!). Das gilt also nicht als Arbeit, gilt als "nix tun", als "tratschen", wie es früher manche Oberschwester vorwurfsvoll formulierte. "Im Grunde meint das der Computer genauso", sagen die Absolventen.

Das Spital der Barmherzigen Schwestern hat in der Broschüre "Unser Leitbild" auf der Basis der christlichen Ethik Leitsätze formuliert, die sowohl den Anliegen der Patienten, einer guten Zusammenarbeit, als auch der Wirtschaftlichkeit gerecht zu werden versuchen. Lernen, Entscheidungen zu verantworten, Beziehungen einzugehen, das eigene Leben zu reflektieren, die Sinnsuche zu unterstützen sind Ziele der Schule.

Darüber hinaus aber sollen die Absolventen fähig sein, in der Betreuung, im Gespräch mit kranken, verzweifelten Menschen deren Situation zu verstehen und zu helfen. Aber: Können 19- und 20jährige überhaupt Menschen in Krisensituationen und beim Sterben begleiten? Die Ausbildner sind sich größtenteils darin einig, daß ältere Absolventen mit kritischen Betreuungssituationen besser fertig werden.

Die Würde wahren Wenige Monate nach Schulbeginn haben die 18 Schüler und Schülerinnen (zirka 80 Prozent der Bewerber sind weiblich) der Pflegeschule die Aufgabe, in Kleingruppen zu diskutieren, welche ihrer Werte, Gedanken, Ideen sich in diesen Monaten der Ausbildung verändert haben: Wie kann ich meine Wertvorstellungen am Krankenbett umsetzen, welche Werte begleiten mich bei der Pflege, wie gehe ich mit Kranken um?

Im gemeinsamen Abschlußgespräch mit Direktorin Zinka listen sie die Ergebnisse auf: Gleichbehandlung, Wertschätzung steht ganz oben auf der Tafel: Anklopfen beim Krankenzimmer, sich Vorstellen, die Anliegen, Ängste, Probleme ernst nehmen! Der Begriff Mündigkeit wird von den Schülern eingebracht. Entscheidungen, auch Ablehnung des Patienten akzeptieren, seine Würde wahren, gerade auch im Sterben ... am Schluß der Diskussion sind die Gesichter nachdenklich und ernst.

Gelacht werden darf auch bei der Abschlußfeier: Die Schüler haben im zusätzlichen Bildungsangebot "Theaterpädagogik" Molieres "Eingebildeten Kranken" einstudiert. Regie führt eine ausgebildete Schauspielerin, die auch die professionellen Kostüme vom Theater ausborgt. Das Bühnenbild entwerfen die Schüler. Und das Publikum - geladene Gäste, Spitalsmitarbeiter, die diplomierten Absolventen und ihre Angehörigen - ist zum größten Teil vom Fach und kehrt dann wieder in die Spitalspraxis an die Betten der nicht (?) eingebildeten Kranken zurück.

Der Autor ist freier Journalist.

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