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Irgendwas muss die Schweiz ja wohl richtig machen, wenn so viele Menschen dort leben und arbeiten wollen. Denn beim jüngsten Referendum in unserem Nachbarland ging es ja (zumindest aufs Erste betrachtet) nicht um Armutsmigranten und "Daham statt Islam“-Regungen, sondern um Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften aus angrenzenden EU-Ländern. Eine offensichtlich kluge Steuerpolitik, sparsame Verwaltung (samt einem konsequent praktizierten, echten Föderalismus), ein hohes Arbeitsethos (die Schweizer stimmten 2012 gegen mehr Urlaub!), ein ausgeprägter Bürgersinn, der sich institutionell direktdemokratisch artikuliert (egal, was man von den Ergebnissen im einzelnen halten mag) und Verschiedenes mehr - all dies verbunden mit hoher Lebensqualität - tragen das Ihre dazu bei.

Es gibt wohl so etwas wie eine helvetische Variante des bayerischen Erfolgsmodells "Laptop und Lederhose“ (nur dass das Bier in Bayern besser ist …). Viel lässt sich auch an der Medienlandschaft ablesen: Ein Kleinstaat, der ein Weltblatt wie die Neue Zürcher Zeitung oder exquisite, feine Nischenprodukte wie etwa das Debattenmagazin Schweizer Monat hervorbringt, kann kein schlechter sein.

Ans europäische Eingemachte

Gerade weil das viele so sehen, hat nun die mehrheitliche Zustimmung zur Initiative "Gegen Masseneinwanderung“ europaweit große Irritationen ausgelöst. Dass dies beileibe nicht nur auf die üblichen Unverdächtigen auf linker Seite zutrifft, hat seinen Grund. Auch bei früheren Initiativen etwa über Minarette oder kriminelle Ausländer konnte man Methoden und Stil der tonangebenden rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) mit Recht kritisieren, aber es ließ sich nicht leugnen, dass sich damit auch real existierende Probleme und berechtigte Sorgen verbinden.

Nun aber steht zur Disposition, was quer durch Parteien und Weltanschauungen, von den extremen Rändern abgesehen, als begrüßenswert galt: die Freizügigkeit für Personen. Da geht es sozusagen ans Eingemachte. "Gar kein gutes Zeichen“ nennt das denn auch NZZ-Chefredakteur Markus Spillmann. Und FAZ-Herausgeber Günther Nonnenmacher raunt etwas ratlos von einem "widersprüchlichen Bild“, welches die Schweiz abgebe. Aber er weist auch zurecht darauf hin, dass dieses Bild in vielem die gesamteuropäische Befindlichkeit widerspiegelt. Unter direktdemokratischen Verhältnissen, so ließe sich ergänzen, zeigt sich die Wirklichkeit wie unter einem Brennglas.

Anschwellender Bocksgesang

Es wäre ein großer Fehler, würde die Europäische Union dies nicht erkennen oder einfach aus habitueller Ignoranz oder Arroganz beiseite schieben. Gewiss, die Schweiz braucht die EU dringender als umgekehrt, wie in den letzten Tagen oft zu hören war. Aber das Unbehagen an vielen Entwicklungen in der Union ist groß, der antieuropäische Bocksgesang (die deutsche Übersetzung von "Tragödie“) ist im Zuge der Finanz- und Schuldenkrise massiv angeschwollen und droht noch weiter anzuschwellen. Dagegen werden pathosschwangere Europasonntagsreden und (historisch-)moralistisch aufgeladene Appelle nichts fruchten, im Gegenteil. Wenn die politisch Verantwortlichen der EU dem beikommen wollen, werden sie vielmehr in manchem gewissermaßen neu anfangen, kleinere Brötchen backen, es bescheidener geben müssen. Nein, nicht zur Kohle- und Stahlunion zurück - aber das Bestehende, das, was heute schon funktioniert, was einigermaßen Akzeptanz bei den Menschen findet, absichern, verbessern und erklären: so muss die Devise lauten. Vielleicht könnte dabei auch der eine oder andere Blick der "Confoederatio Europaea“ auf die Confoederation Helvetica hilfreich sein. Irgendwas müssen die Schweizer ja wohl richtig machen …

rudolf.mitloehner@furche.at

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