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Die Tour de France ist zu Ende. Vier Fahrer wurden (bislang) des Dopings überführt. Drei davon nahmen Epo. Eine Analyse nach dem großen Rennen und vor Olympia.

In drei Wochen 3550 Kilometer mit dem Fahrrad zurückzulegen ist auch für Radprofis kein Honiglecken. Wie kräftezehrend die Tour de France ist, zeigte sich am vergangenen Wochenende, dem Höhepunkt der Tour, als einige der Spitzenfahrer im Ziel völlig erschöpft zusammenbrachen. Und war das nicht der klarste Beweis, dass der Radsport wieder sauber (oder zumindest sauberer) geworden war? Dass sich hier menschliche Wesen das Letzte abverlangten und nicht gut geölte (sprich: gedopte) Maschinen-Menschen in die Pedale traten? Vielleicht.

Erschöpfung und Schwindel

Vielleicht handelte es sich aber auch im einen oder anderen Fall um einen geschickt inszenierten Schwindel, um einer anstehenden Dopingkontrolle zu entkommen? Zwanzig Fahrer hatten bereits zu Beginn des Rennens einen auffällig hohen Hämatokrit-Wert aufgewiesen, der ein möglicher Indikator für Blutdoping darstellt. Sie wussten, dass sie im Ziel abermals getestet würden. Allerdings: Wer quasi ohnmächtig ist, braucht nicht sofort eine Urinprobe abgeben. Er darf sich erholen, kann viel, sehr viel Wasser trinken - und so seinen Hämatokrit-Wert unter die kritische Grenze von 52 Prozent drücken. "Wer ein Liter isotonische Flüssigkeit trinkt, kann in einer Stunde den Hämatokrit-Wert um bis zu acht Prozent senken", erklärt etwa Wolfgang Schobersberger, Medizin-Professor an der Privatuniversität UMIT in Hall in Tirol.

Freilich soll hier keinem Fahrer etwas unterstellt werden. Ja, selbst wenn die Kontrolleure bei einem Profi einen Wert von über 52 Prozent (dem legalen Grenzwert) finden, ist damit nicht automatisch eine Blutmanipulation nachgewiesen. Unter anderem weil zwei Prozent aller Menschen auch ohne Doping Blutwerte haben, die jenseits dieses Grenzwerts liegen. Ihr Körper transportiert von Natur aus leichter Sauerstoff in die Zellen, was einen Vorteil bei Ausdauersportarten darstellt (für Spitzenleistungen muss man selbstverständlich dennoch eifrig trainieren). Eine solch seltene genetische Mutation machte es auch möglich, dass der Finne Eero Mäntyranta bei den Olympischen Spielen 1964 in Innsbruck überlegen zwei Goldmedaillen im Schilanglauf holte. Zu jener Zeit wusste man jedoch nichts über dieses spezielle blutbildende Gen; die Erkenntnis dazu kam erst dreißig Jahre später. Mit diesem Wissen lässt sich heute zurecht fragen, inwiefern es fair ist, wenn ein Sportler aufgrund einer besseren natürlichen Grundausstattung gewinnt - oder verliert.

Im Falle der Blutbildung haben (fast) all jene, die beim genetischen Lotteriespiel ein schlechtes Los gezogen haben, auch ein wenig Glück. Denn durch Training können sie ihren Nachteil ein Stück weit wettmachen: konkret durch Höhentraining. "Die Blutneubildung läuft dabei nach denselben biochemischen Mechanismen ab wie beim Epo-Doping", erklärt Schobersberger, der Experte für Höhenmedizin ist. Weil Höhentraining eindeutig leistungssteigernd wirkt und noch dazu legal ist, zählt es heute zum Standardprogramm von vielen Spitzensportlern. Und die besten Sportschulen scheuen keinen Aufwand, um die gleiche Wirkung vor Ort zu erzielen: Sie haben spezielle Unterdruckkammern entwickelt. Ja, es ist bekannt, dass sich die (ehemaligen) Radprofis Lance Armstrong und Jan Ullrich in ihrem Zuhause eine eigene Höhentrainingskammer eingebaut haben.

Doch wiederum ist die Welt nicht vollkommen gerecht: Denn nicht alle Sportler sprechen gleich gut auf das Höhentraining an. Noch besser als Höhentraining wirkt in jedem Fall Epo-Doping. Schobersberger dazu: "Einer Hochrechnung zufolge hat einer, der mit Epo dopt, einen klaren Vorteil gegenüber einem sauberen Fahrer. Konkret gewinnt er über die gesamte Strecke der Tour de France 175 Kilometer. Das entspricht etwa der Länge einer vollen Etappe."

Illegal und attraktiv

Und da es nicht nur um viel Ehre, sondern auch um viel Geld geht, bleibt Epo-Doping so für Spitzensportler weiterhin attraktiv. Auch weil die chemische Analytik viele Stoffe nur schwer oder gar nicht nachweisen kann. So hat etwa der dänische Antidoping-Experte Rasmus Damsgaard während der Tour fünf Epo-Fälle präsentiert, die nach gängigen Tests der Weltantidoping Agentur WADA negativ waren, aber dennoch auf den Gebrauch einer künstlichen Epo-Form schließen lassen. Günter Gmeiner, Leiter eines WADA-akkreditierten Doping-Labors in Seibersdorf, meint dazu: "Die WADA hat sehr viele Tests standardisiert, reglementiert und harmonisiert, was das ganze System manchmal ein wenig unflexibel erscheinen lässt. Wer einen nicht anerkannten positiven Test herausgibt, muss mehr argumentieren." Mit seiner Argumentation ist Damsgaard bisher nicht durchgedrungen. Vielleicht ist die WADA - wie jede größere Organisation - ein wenig träge, völlig naiv ist sie aber nicht. So antwortet Gmeiner etwa auf die Frage, was er sich für die Olympischen Spiele wünsche: "Dass der Kollege, den wir hinschicken, wieder gut zurückkommt. Ich sage jetzt sicher nicht: Doping-freie Spiele. Weil das ist eine viel zu romantische Vorstellung."

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