Dann fallen alle Hemmungen

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Die Freigabe von Drogen würde die Straftaten unter Suchtmitteleinwirkung ansteigen lassen, meint Reinhard Haller, Primarius im Krankenhaus Maria Ebene in Frastanz bei Feldkirch.

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Die Freigabe von Drogen würde die Straftaten unter Suchtmitteleinwirkung ansteigen lassen, meint Reinhard Haller, Primarius im Krankenhaus Maria Ebene in Frastanz bei Feldkirch.

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Es gibt für das Drogenproblem nur Regulationen, aber keine Generallösung. Das zu behaupten, wäre verlogen." Für den Vorarlberger Psychiater und Gerichtssachverständigen Reinhard Haller haben alle Regelungsmodelle - vom restriktivsten bis zum liberalsten - etwas für sich. "Egal, ob man Drogen generell verbietet, auf kontrollierte Abgabe setzt oder bestimmte Suchtmittel freigibt. Alles wird funktionieren, wenn die Mehrheit der Bevölkerung dahintersteht."

Haller selbst bezieht trotzdem klar Stellung - für das Prinzip "Therapie statt Strafe". Weil es "denjenigen, der einmal etwas probiert, nicht gleich kriminalisiert", aber ein deutliches Signal gibt, daß Drogenkonsum gesellschaftlich unerwünscht ist. Einzige Einschränkung: "Cannabis ist ein Sonderfall. Das gehört heraus aus dem Strafrecht. Verboten sollte es bleiben, es sollte dafür Verwaltungsstrafen geben." Das sei angemessen, weil "es zwar nicht dasselbe Gefahrenpotential hat wie andere Drogen, aber trotzdem nicht ungefährlich ist."

Die Freigabe von Drogen, so der Primarius im Krankenhaus Mairia Ebene in Frastanz bei Feldkirch, würde voraussetzen, daß alle Menschen stabil, gefestigt, sozial integriert wären. "Dann hätten wir paradiesische Zustände. Man könnte Drogen ruhig erlauben - es würde sie ohnehin niemand nehmen." Und schon gar niemand würde die Kontrolle über seinen Konsum verlieren.

Suchtanfällig seien vor allem die nicht Gefestigten, Menschen mit sozialen Problemen, Wohnungslose, Arbeitslose, Depressive. "Wären Drogen für sie leichter erhältlich, würde der Gesamtkonsum steigen. Und daß mit legalen Drogen plötzlich alle kultiviert umgehen würden, ist unrealistisch. Beim Alkohol funktioniert das ja auch nicht."

Alkoholmißbrauch fordert im Jahr 2.500 bis 3.000 Todesopfer - womit nur diejenigen erfaßt sind, die unmittelbar an den Folgen der Alkoholsucht sterben. 500 bis 1.000 Menschen pro Jahr sterben am - ebenfalls nicht strafbaren - Medikamentenmißbrauch.

Drogentote gibt es dagegen "nur" 200 bis 250 pro Jahr, Wien verzeichnete im Vorjahr sogar einen Rückgang um 30 Prozent.

Für Haller ein Hinweis darauf, daß unser derzeitiges Suchtmittelgesetz nicht schlecht ist. "Die Beispiele Alkohol und Medikamente zeigen deutlich: Legalisierung oder kontrollierte Abgabe würden unseren Staat zwar nicht wegspülen, aber so großartig sind die Erfolge damit auch wieder nicht."

Schweden setzte in den siebziger Jahren auf die kontrollierte Abgabe von Drogen - seit 1984 ist damit wieder Schluß. Einfach deshalb, weil die Kontrolle der Drogenabgabe schwieriger war, als gedacht, und der Konsum insgesamt anstieg.

Mehr Drogenkonsum nach der Freigabe von Suchtmitteln würde, so Haller, auch zu einem Ansteigen der Kriminalität führen: "Zwar fiele die klassische Beschaffungskriminalität weg. Aber dafür würden Straftaten unter Suchtmitteleinwirkung zunehmen." Schon jetzt werden 70 Prozent aller schweren Delikte unter Alkoholeinfluß begangen. Auch andere Suchtmittel bauen Hemmungen ab und Aggressionen auf. Haller: "Es ist erwiesen, daß zum Beispiel Kokain das Aggressionsniveau ansteigen läßt."

Was wäre am derzeitigen Suchtmittelrecht noch zu verbessern? "Das Konzept ,Therapie statt Strafe' könnte noch radikaler umgesetzt werden. Das derzeitige Gesetz ist schon sehr gut, aber da wäre noch mehr möglich."

Trotz allem sei das Suchtproblem primär ein medizinisches und kein strafrechtliches und werde in Zukunft noch mehr als bisher der Medizin überantwortet werden: wegen damit zusammenhängender anderer Krankheiten, wie Aids, aber auch, weil ständig neue Verfahren zur Behandlung von Süchtigen entwickelt werden. "Die Medizin hat sich viel zu lange vor dieser Verantwortung gedrückt", so Haller. Immerhin: Pharma-Firmen haben den neuen Markt schon entdeckt und investieren viel in die Forschung.

Was damit noch nicht gelöst ist: Die Frage der Ursachen von Suchterkrankungen und damit der gezielten Prävention. Haller: "Studien haben ergeben, daß viele Menschen Drogen nehmen müssen, um in der Gesellschaft zurechtzukommen. Es ist längst nicht mehr so, daß die Droge immer die Anpassung an die gesellschaftlichen Anforderungen verhindert. Genausogut kann es sein, daß jemand Heroin braucht, um zu ,funktionieren'." Die allgemeine Tendenz der Individualisierung, des Sich-Zurückziehens, spiele dabei mit. Haller: "Sucht bedeutet: Ich heile mich selbst." Sie sei kein Hilferuf an andere, eher ein Versuch der Selbsthilfe. Nur leider einer, der immer schiefgeht.

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