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Um ihr Image steht es nicht zum Besten: Pietätlosigkeit und Sensationsgier wird den Pressefotografen häufig vorgeworfen, die im chronikalen Bereich arbeiten. Einer davon wehrt sich im Gespräch mit der Furche gegen diese Verurteilung.

Donnerstag Nachmittag ist nicht so günstig", sagt Peter Schaffer. "Am Donnerstag", erklärt er, "haben nämlich die Banken länger offen." Da kann es gut sein, dass es kurz vor Kassenschluss einen Überfall gibt. Und dann müsste er das Interview sofort unterbrechen und sich zum Tatort aufmachen. Vormittag ist aber auch nicht gut. "Da ist jeden Tag extrem viel los." Unfall, Mord, Suizid, Gerichtsverhandlung - der Terminkalender des Fotografen ist voll. Auch die anderen Nachmittage sind schwierig, aus diesem oder jenem Grund. Also doch Donnerstag. Das Treffen steht auf wackeligen Beinen. "Wenn irgendwas ist, muss ich kurzfristig absagen", warnt er.

Es ist dann tatsächlich etwas: Ein befreundeter Polizist hat sich gemeldet - eine Fliegerbombe wurde in Wien gefunden. Eigentlich hätte Schaffer sofort dorthin gemusst. Aber ein Kollege ist eingesprungen. Dem Interview steht nichts mehr im Weg. Vereinbartes Thema: Skrupel.

Freund und Informant

Dieses Gesprächsthema sagt ihm eigentlich gar nicht so viel. Er mache einfach nur seinen Job, sagt er. Und der ist es eben, überall dort zu sein, wo es Tote, Verletzte, Verbrechen gibt. Eben überall dort zu sein, wo die Polizei einen Einsatz hat. Mit der steht er deshalb auf Du und Du. "Anders geht es gar nicht", erklärt er. "Wenn man von denen niemanden kennt, erfährt man auch nicht, wenn irgendwo was los ist." Ein Fliegerbomben-Fund zum Beispiel.

Seit 1984 ist der Wiener Chronik-Fotograf bei einer großen österreichischen Tageszeitung. Und genauso lang arbeitet er daran, ein Netzwerk zu knüpfen und aufrecht zu erhalten, das ihm die nötigen Informationen liefert. Sonst käme er an den meisten Tatorten nur bis zur Absperrung der Polizei. "Wenn man weiter will, muss man jemanden gut kennen."

Zum mittlerweile dritten Mal klingelt während des Gesprächs das Handy, Schaffers zweitwichtigstes Arbeitsgerät neben der Digitalkamera. Wieder ein Polizist, der ihm etwas erzählen möchte. Der eine Geschichte für ihn hat, die ein Bild hergibt, das am nächsten Tag in der Zeitung stehen könnte. Exklusiv, versteht sich. Später, noch ist ein bisschen Zeit, das Interview fortzusetzen.

"Mittlerweile habe ich schon mehr Freunde unter den Polizisten als anderswo", erzählt er. Fast jeden Tag trifft er sich mit jemandem, lernt wieder jemanden anderen kennen, erweitert sein Netzwerk. Dafür hat er immer wieder Bilder, um die ihn die Kollegen beneiden. Zum Beispiel die Verhaftung der Krankenschwestern von Lainz, die im Anschluss wegen mehrfachen Mordes verurteilt wurden. Aber auch ein paar Mordopfer, die sonst niemand fotografieren konnte.

15 bis 20 Filme hat Schaffer zu Zeiten der Analogfotografie täglich gebraucht. Heute sind es weniger Aufnahmen. Die Digitalfotografie hat seinen Job einfacher gemacht.

Gewöhnt man sich an die jobbedingte Dauerpräsenz des Todes? "Ja", lautet die lapidare Antwort. Auch Skrupel hat er keine. Mittlerweile nicht einmal mehr dann, wenn er die Angehörigen eines Mordopfers um ein Bild des Verstorbenen bitten muss. "Die werfen einen natürlich meistens raus", erzählt er. Und fügt hinzu: "Würde ich auch, wenn in an deren Stelle wäre." Das ist eben Teil seines Berufes. Ein Teil, den er nicht so gern erledigt. "Aber jemand muss es tun." Manche Kollegen würden nach einem Rauswurf nicht aufgeben. "Die sekkieren die Leute weiter, bis sie ein Bild bekommen." Sein Stil sei das nicht, betont Schaffer. Lieber verzichte er auf das Foto.

Dass seinem Berufsstand oft Pietätlosigkeit vorgeworfen wird, macht ihm nicht viel aus. Schaffer hat sich ein dickes Fell zugelegt. Es könne schon vorkommen, dass zwei Fotografen neben einer Leiche stehen und sich einen Witz erzählen. "Nicht, weil wir das Geschehene lustig finden", sagt er, "sondern weil wir es gar nicht erst an uns heranlassen." Deshalb kämen auch nie Gewissensbisse oder Unbehagen auf. Bei ihm nicht, und auch bei seinen Kollegen nicht, ist er sich sicher. "Sobald wir den Fotoapparat am Auge haben, ist das Arbeit. Egal, was passiert ist. Es geht nur um ein möglichst gutes Bild." Dann sieht er nicht mehr die Tragödie, dann ist das Blut egal, der Tote, die Umstände. Mit Pietätlosigkeit habe das aber überhaupt nichts zu tun. "Das ist wie bei einem Arzt", versucht er mit einem Vergleich für Verständnis zu werben, "der jemandem den Bauch aufschneidet. Beim ersten Mal übergibt er sich vielleicht, aber beim zehnten Mal ist es ihm einfach nur noch egal."

Peter Schaffer fotografiert vor Ort alles: Die Leiche, den Tat- oder Unfallort, die Umgebung, die Polizisten, die Angehörigen. Sicher ist sicher. Die Tageszeitung, bei der er arbeitet, hat aber vor Jahren beschlossen, auf Leichenbilder in den meisten Fällen zu verzichten. "Wenn der Tote verkrümmt am Boden liegt, nackt und vielleicht auch noch mit dem Messer im Rücken, das kommt bei uns sicher nicht hinein." Man müsse die Leser ja nicht unbedingt schockieren. Aber das sei "eine sehr zwiespältige Geschichte. Denn auf der einen Seite zeigen wir, wie in Kriegsgebieten Leichen durch die Dörfer gezerrt werden. Auf der anderen Seite sollen wir aber Unfall- und Mordopfer nicht zeigen."

Prinzessin Diana

Dass die Fotos, die angeblich von der in ihrem Unfallauto eingeklemmten und tödlich verletzten englischen Prinzessin Diana existieren, bisher nicht veröffentlicht wurden, ist für Schaffer ein mindestens ebenso zweischneidiges Schwert: "Einerseits ist es ja gut, dass sie nicht veröffentlicht wurden", meint er unbestimmt, und es klingt ein bisschen die Beruhigung darüber mit, dass es doch Grenzen gibt, dass doch nicht jedes Detail eines Lebens ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden muss. Aber auf jedes Einerseits muss ein Andererseits folgen: "Andererseits - wenn ich die Fotos hätte, würde ich sie auch veröffentlichen wollen."

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