"… Dann wird es gefährlich"

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Josef Taus über den sozialen Sprengstoff der Wirtschaftskrise, die grundsätzlichen Defekte menschlicher Geldwirtschaft, die Schwächen der Ökonomen, wie sich Österreich besser gegen die Vorwürfe Paul Krugmans zur Wehr setzen könnte und ein Wirtschaftsparadies, das Keynes vor 80 Jahren verhieß.

Josef Taus sieht keinen Sinn in den von Teilen der SPÖ geforderten "Reichensteuern", fordert aber sehr wohl die Solidarität mit jenen Menschen, die nicht für sich selbst sorgen können. Am Ende des Kapitalismus könnte eine Welt stehen, die ohne die Werte Fleiß und Leistungsstreben nur noch den eigenen Wohlstand verwaltet.

Die Furche: In Frankreich und Großbritannien kommt es zu Ausschreitungen gegen Manager, zu Fabriksbesetzungen und Kidnapping von Unternehmern. Halten Sie das auch in Österreich für möglich? Franz Voves, Gabi Burgstaller, Brigitte Ederer haben zuletzt vor sozialen Unruhen gewarnt.

Josef Taus: So weit sind wir noch nicht. Wir sind anders als die Franzosen. So etwas passiert in Österreich erst, wenn es um die Dinge schon sehr schlimm steht. Wenn das System aber einmal bricht, dann wird es politisch wirklich gefährlich.

Die Furche: Um das zu verhindern, ist Franz Voves zuletzt mit der Forderung nach einer Reichensteuer herausgerückt. Wären Sie für solch einen Beitrag der Bestverdienenden zur Krisenbewältigung?

Taus: Ich verstehe schon, dass die Menschen nicht für die Fehler anderer bezahlen wollen. Aber man sollte auch bedenken, dass jene, die von diesen Steuern am härtesten betroffen wären, genau jene sein würden, die ein Mittelstandseinkommen haben und damit jetzt schon die Hauptsteuerbelastung in Österreich tragen. Man muss da sehr vorsichtig sein, auch wenn eine solche Steuer gerechtfertigt erscheint.

Die Furche: Sie haben kürzlich gesagt, eine Marktwirtschaft ohne soziale Dimension sei auf Dauer nicht funktionsfähig. Wäre nicht gerade diese Umverteilung ein Zeichen der sozialen Dimension?

Taus: Aber jene, die wirklich reich sind, wären von einer solchen Steuer ziemlich sicher wenig betroffen. Wirklich Reiche haben ihr Geld in Unternehmen oder in Stiftungen oder ganz legal im Ausland; je reicher einer ist, desto weniger braucht er Steuern zu hinterziehen. Ich habe aber etwas anderes gemeint: Ein System, das die soziale Dimension vernachlässigt, lassen sich die Leute nicht gefallen. Das ist in jedem System so. Das demokratische System ist mit auf einer Freiheits- und Gleichheitsvorstellung aufgebaut. Da geht es nicht um Über- und Unterordnung, sondern um das Wesen der Freiheit. Das besteht nicht nur darin, dass jeder alles tun kann, was ihm lustig ist. Es besteht darin, dass die Gesellschaft auch ein Auffangnetz für diejenigen braucht, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen, sowie für Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit. Das muss die Gesellschaft absichern, als solidarisches Versicherungssystem. Dazu brauche ich auch noch ein Bildungssystem. Erst damit kann ein freies System funktionieren.

Die Furche: Gerade in den vergangenen Jahren gab es viele Experten, die den Sozialstaat als Auslaufmodell bezeichnet haben.

Taus: Vielfach sind das pragmatisierte Experten, die vom sicheren Sitz eines öffentlich rechtlichen Dienstverhältnisses aus erklären, was zu tun ist. Da wird halt auch viel geredet. Natürlich brauche ich ein Sozial- und Verwaltungssystem, das möglichst effizient ist. Nur weil es das zum Teil nicht ist, muss nicht gleich alles abgeschafft werden. Die Wirtschaft ist für die Deckung der realen Bedürfnisse der Menschen da, nicht die Menschen für jene der Wirtschaft.

Die Furche: Da scheint es zu einigen Missverständnissen gekommen zu sein. Vor allem, was die Finanzmärkte betrifft. Verhalten wir uns in der Krise richtig?

Taus: Unsere Gesellschaft hat ein großes Problem: Das ist der Umgang mit dem Phänomen Geld. Ich will es so erklären: In grauer Vorzeit, als es noch kein Geld gab und die Zukunft vielleicht nach dem Flug der Vögel vorausgesagt wurde, richteten sich die Menschen auf Krisensituationen ein, indem sie mehr Vorräte angelegt haben oder zwei Bären mehr gejagt haben, um im Winter Felle zu haben. Seit Jahrtausenden sparen wir also, wenn wir glauben, es wird gefährlich. Heute machen wir das allerdings nicht mit Sachgütern, sondern mit Geld. Und das ist kontraproduktiv. Wir vergessen dabei, dass wir einen riesigen Beschäftigungsapparat haben, der mit Geld gefüttert wird. Wenn wir also nichts mehr ausgeben und die Banken keine Kredite mehr geben, dann kommt genau das, wovor wir uns fürchten - die Wirtschaftskrise. Wir verstärken also die Krise, statt sie zu bekämpfen.

Die Furche: Aber die aktuelle Krise entstand wegen eines nicht funktionierenden Finanzsystems.

Taus: Das ist der zweite Kardinalfehler: Dass zu viele Gewinne dort entstehen, wo sie nicht entstehen sollten - nämlich im Geldsystem. Die Funktion des Systems wird oft falsch gesehen, das schnelle Geld gibt es nicht. Das US-Finanzsystem trägt beispielsweise zum Gesamtwachstum der US-Volkswirtschaft vier oder fünf Prozent bei, hat aber in den vergangenen Jahren 40 Prozent aller Gewinne lukriert. Da funktioniert etwas nicht.

Die Furche: Weil Sie den Vogelflug als Orakel erwähnt haben: Viel treffsicherer scheinen die Methoden der Ökonomen auch nicht zu sein. Die Business Week titelte schon: "Wofür sind Ökonomen eigentlich gut?"

Taus: Da wurden auch Fehler gemacht. Die Krise war jedenfalls seit Jahren absehbar. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, ich wusste, wie tief das geht. Aber es war schon lange klar, dass etwas kommt. Nur die Makroökonomen haben es eben sehr spät gesehen, konnten es vielleicht nicht sehen.

Die Furche: Warum nicht?

Taus: Weil die einfachsten wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht erforscht sind. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Sagen wir, wir sind ein Staat und wollen die Nachfrage erhöhen, indem wir Geld in die Wirtschaft pumpen. Die Ökonomie scheitert nun schon an der Frage: Ist dieses Geld gut oder schlecht angelegt? Hat jeder Euro also einen Multiplikatoreffekt von zwei oder von 0,5? Warum hat man keine Ahnung? Weil man nicht so wie in der Physik in die Feldforschung gegangen ist, um die Wege des investierten Euros nachzuvollziehen. So etwas kann man eben nicht nur in der Literatur, das muss man auch in der Praxis studieren.

Die Furche: Einer der prominentesten Ökonomen, Paul Krugman, hat Österreich in die Nähe des Staatsbankrotts gerückt.

Taus: Ich weiß nicht, was Krugman da eingefallen ist. Ich weiß nur, dass man anders darauf hätte antworten können.

Die Furche: Und wie?

Josef Taus: Nun, zum Beispiel so: Man könnte ihn einladen und ihm sagen: Wir geben Ihnen die Gelegenheit, die Zahlen genau zu prüfen, ehe Sie derartiges behaupten.

Die Furche: Ist es nicht seltsam, dass wir diese Krise mit einem 80 Jahre alten Instrumentarium von Keynes bekämpfen müssen?

Taus: Der Unterschied zu den 30er Jahren ist, dass heute weltweit tatsächlich sehr viel Geld eingesetzt wird. In den 30er Jahren gingen die mitteleuropäischen Staaten ja einen anderen Weg, der über Sparkurs und Hartwährungspolitik in die Diktatur und den Zweiten Weltkrieg führte. Hoffen wir also, dass es diesmal anders ist.

Die Furche: Es gibt nicht wenige, die ein radikales wirtschaftliches Umdenken fordern, bezüglich der Art, wie wir produzieren und ohne Rücksicht auf Verluste immer mehr Güter, Geld und Gewinne wollen.

Taus: Das ist unsere gesellschaftliche Übereinkunft: Möglichst viele sollten möglichst viel haben. Wobei es immer wieder philosophische und religiöse Bewegungen gab, die vor dieser Übertreibung gewarnt haben.

Die Furche: Dazu zählen auch Philosophen, die wir gerne als Ahnväter unserer Kultur bezeichnen. Leben wir das falsche System?

Taus: Die Frage ist: Kann es ein System geben, das Fortschritt und Wachstum nicht mehr akzeptiert? Ich möchte das nicht bewerten. Aber dazu gibt es einen berühmten Aufsatz von Keynes über das Ende der Marktwirtschaft. Die Marktwirtschaft ist demnach vorbei, wenn das investierte Kapital null Ertrag gibt. Auf einem möglichst hohen Niveau würde das dann die Umwertung aller Werte bedeuten, sagt Keynes. Man braucht also nicht mehr fleißig zu sein, sondern nur noch das System erhalten, oder - wie Keynes sagt: Tennis spielen gehen.

Die Furche: Also das seit dem Mittelalter ersehnte Schlaraffenland. Wie lange soll es noch bis dahin dauern?

Taus: Keynes spricht in seinem Artikel von etwa hundert Jahren. Demnach hätten wir nur noch 20 Jahre bis dahin; aber das sollte man nicht so genau nehmen.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Josef Taus war von 1975 bis 1979 Bundesparteiobmann der ÖVP und bis 1991 Abgeordneter des Nationalrats. Sein Unternehmen, die Management Trust Holding AG, war an dem An- und Verkauf osteuropäischer Mobilfunkgesellschaften beteiligt. Zuletzt erregte Taus Aufsehen, als er 2006 Ex-Bawag-Chef Helmut Elsner in Südfrankreich besuchte und danach von einer "noch nie dagewesenen Kampagne gegen einen Menschen" sprach.

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