Das Belebende der Pelerinen

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Es waren nicht nur die Worte des Papstes und seine Anwesenheit: An diesem Samstag in Mariazell gewesen zu sein, war ein Erlebnis der ganz besonderen Art.

Wie schon tags zuvor in der Wiener Innenstadt ist es auch nach der Papstmesse in Mariazell vor allem ein Gegenstand, der zerknüllt zurückbleibt: die Pelerine. Gelbe und weiße, unterschiedlich in Dicke und Form, bilden sie Haufen von Müll, die "Regenhäute", nachdem sie Stunden und Minuten vorher noch so Zentrales zu diesem Festgottesdienst im Herzen von Mariazell beigetragen haben.

"So ein Wetter bringt eben die wahren Pilger zum Vorschein", sagt der freiwillige Ordnungshelfer Richard Prühl, der sich gar zwei Pelerinen übereinander gezogen hat. Bischof Kapellari wird ihm nur wenige Minuten später bei seiner Begrüßung des Papstes Recht geben. "Ernsthafte Christen sind wetterfest", so der Gastgeber der regennassen Veranstaltung.

Ernsthafte Christen …

Es ist nicht das erste Mal, dass Mariazell ernsthafte Christen in Regenhäuten empfängt. Beim Mitteleuropäischen Katholikentag vor drei Jahren war das Phänomen bereits zu beobachten: Regen schweißt zusammen, Pelerinen sorgen für Stimmung. Die hauchdünnen Plastikmäntelchen verleihen dem innerlichen Gleichklang äußerliche Gestalt - und sorgen bei der Einstimmung nach dem Motto "wir trotzen dem Regen durch Singen und Begeisterung" für ein gewisses Etwas. Dass sie der Nässe nur bedingt und der Kälte überhaupt nicht Einhalt gebieten, ist angesichts solcher Stimmungsmache verzeihlich. Passen durchgefrorene Füße und eine Erkältung als Souvenir doch eigentlich ganz gut zu einem "wahren Pilger". Und Schirme, als gemeinschaftsfeindliche Ab-"Schirmungs"-Instrumente, sind wegen potenzieller Augenausstecherei ohnehin Tabu - außer für den "Pilger unter Pilgern" natürlich, als der sich Benedikt XVI. angekündigt hat.

Schon vor seiner Ankunft - mit einer dreiviertel Stunde Verspätung - wird der begeisterte Wettertrotz geübt. "Benedetto"-Chöre pflanzen sich von Sektor zu Sektor fort und geben dem darauf folgenden gemeinsam gesungenen Lied In deinem Namen wollen wir neue Bedeutung.

Seit den frühen Morgenstunden wird gewartet, gebetet, gesungen. Die sechsjährige Bernadette ist mit ihren Eltern in einem Pilgerbus gekommen. Aber das letzte Stück hinauf in den Ort musste sie gehen und jetzt seit fast drei Stunden im Regen stehen. Mit einer Pelerine, selbstverständlich. Die ist ihr aber viel zu groß und bildet auf dem Boden einen gelben Plastikkranz. "Wann kommt der Papst endlich?" fragt sie ungeduldig, als erwarte sie, nach Hause zu dürfen, sobald sie ihn gesehen hat. Oder als hoffe sie, er würde den Regen zum Aufhören bringen.

Doch auch dieser Pilger kommt im Regen. Blaue Tücher winken ihm, als sich das Papamobil durch die engen, nassen Straßen des Ortes seinen Weg zur Basilika bahnt. Gemeinsam mit dem Gelb der allgegenwärtigen Pelerinen leuchtet ihm das farbliche Motto seines ganzen Besuchs aus den Menschenmassen entgegen.

"Er hat so ein wunderbares Lächeln", schwärmt die 61-jährige Elsa Pflüger. "Schon allein dafür hat es sich ausgezahlt." Dass der Papst hierher nach Mariazell gekommen ist, freut die langjährige Wallfahrerin besonders. "Mariazell ist ein magischer Ort. Hier erwacht der Glaube zu neuem Leben", sagt sie strahlend. Weil der Weg beschwerlich war und das lange Stehen ihr Schmerzen verursacht, hat sie sich einen kleinen Klappsessel mitgenommen. Wenn sie sich mit ihrer Pelerine darauf setzt, verschwindet er unter dem hellgrauen Stoff.

… und wahre Pilger …

Noch verpackt sind die Regenhäute, die Helfer Tomas Tazbir mit sich herumträgt. Sieht er jemanden ohne Bedeckung, oder gar mit Schirm, ist der Pole sofort zur Stelle. "Möchten Sie, dass ich Ihnen eine Regenhaut organisiere?", fragt er dann in gebrochenem Deutsch und mit einem verschwörerischen Lächeln, das ahnen lässt, dass er um den belebenden Pelerinen-Effekt genau Bescheid weiß. Womöglich vom Katholikentag. Da war Tomas nämlich da - und so begeistert, dass er unbedingt mithelfen wollte, den Papst in Mariazell willkommen zu heißen. Sein Job ist das Verteilen von Pelerinen an schlecht Ausgerüstete. Dass ihm die Bedeutung dieser Aufgabe bewusst ist, ist ihm anzusehen.

In den Gassen rund um den Hauptplatz sind die Teestände eifrig am Abbauen. Während der Messe will man hier eigentlich nichts verkaufen, sondern sich für den erwarteten Ansturm danach rüsten. Aber so richtig merkt man dann gar nicht, dass Messe gefeiert wird. Immer wieder tauchen erfrorene Gesichter unter nassen Plastikbezügen auf und bitten um ein heißes Getränk. Ein älterer Mann legt beide Hände um den Papierbecher, um sie zu wärmen. "Jetzt ist eh grade die Predigt", argumentiert ein anderer seine Mess-Pause am Kaffee-Stand.

Verkäufer Martin Leonhard bleibt stets freundlich und bemüht, auch wenn er selbst lieber vorne wäre, um an der Eucharistiefeier teilzunehmen. "Ich versuche wenigstens, mit einem Ohr zu hören, was Benedikt sagt", erklärt er. "Ich bin ja nicht immer mit allem einverstanden, aber heute hat er wirklich schön gesprochen. Besonders hat mir gefallen, dass er die zehn Gebote als Ja und nicht als Nein zu etwas interpretiert."

Auch anderen fällt es gar nicht leicht, sich auf die Worte des Papstes zu konzentrieren - selbst wenn sie mitten am Hauptplatz, unter den eingerollten Markisen der geschlossenen Souvenirgeschäfte stehen. "Ich habe immer versucht, meine Tochter im Sektor zu erspähen", erzählt Christine Iber, die mit drei Generationen von Pilgern aus ihrer Familie angereist ist. "Wir haben wegen des Wetters nicht eine Sekunde gezögert", so ihre Tochter Sabine, sie und ihre Schwester sind mit dem Fahrrad gekommen. "Hier spürt man die Verbundenheit der Gläubigen, ihr gemeinsames Anliegen", meint sie strahlend. Ihr regennasses Haar klebt an der gelben Plastikkapuze - wie das so vieler anderer auch.

… sind wetterfest

"Mir ist vor allem kalt", konstatiert die elfjährige Therese, ebenfalls Mitglied der Pilgerfamilie. Der Papst und was er gesagt hat, habe ihr aber trotzdem gut gefallen. Vor allem "das mit der Liebe zu den Kindern".

Die kleinen Nischen zwischen den Souvenirständen bieten vor Sturm und Regen wenigstens etwas Schutz, und die heruntergelassenen Rollläden eine Möglichkeit zum Anlehnen. Dahinter liegen haufenweise Devotionalien. Papstbilder auf Kerzen und Schlüsselanhängern, die darauf warten, von begeisterten Pilgern gekauft zu werden. Nach der Messe, wenn die Stände ihre Pforten öffnen, geht aber plötzlich alles sehr schnell.

Denn nachdem der heilige Vater von der Leinwand verschwunden ist, kehrt bei vielen das Kältegefühl zurück, und so mancher trennt sich mit einer unwirschen Bewegung von der nun vollständig am Körper klebenden Pelerine, um dem Papst noch ein letztes Mal mit dem nassen Knäuel zuzuwinken. Einige bekommen dabei vom Nachbarn noch eine letzte Ladung Wasser ins nunmehr ungeschützte Gesicht - und nehmen das als Pilger am Ziel mit Humor. Für die verdienstvollen Regenhäute ist damit die letzte Station ihres Pilgerweges gekommen. Mit ihren Trägern heimwärts, oder ins Gasthaus, abgezogen, bleiben sie noch eine Weile Zeuge der feuchten Fröhlichkeit - bunte Häufchen, auf den Straßen, den Tribünen und den Stufen zur Basilika.

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