Das Chamäleon und der Cartoon

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Ein Friedensforscher begleitet die Comicfiguren Meisterdetektiv Nick Knatterton und Walt Disneys Hexe Gundel Gaukeley durch die Welt der Kriege, Kämpfe und Konflikte.

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Ein Friedensforscher begleitet die Comicfiguren Meisterdetektiv Nick Knatterton und Walt Disneys Hexe Gundel Gaukeley durch die Welt der Kriege, Kämpfe und Konflikte.

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Darf ich vorstellen? Meisterdetektiv Nick Knatterton. Kombiniere: Als Anhänger der "humanen Gewaltanwendung" analysiere ich, wie sich das Bekriegen entwickelt hat. Bevor wir die Geschichte ein paar Dekaden rauf- und runterwandern, möchte ich Ihnen meine Partnerin für diese Geschichte vorstellen: Gundel Gaukeley, Hexe von Beruf und Erfinderin der Blitzbuffbombe.

Dass Karikaturen, Cartoons und auch Comics Ausdruck von Meinungs-und Pressefreiheit sind, gehört spätestens seit den Anschlägen auf "Charlie Hebdo" zum politischen ABC. Natürlich sind sie Unterhaltung, aber auch Kritik und ein Katalysator zur Meinungsbildung. Die Tabus und Grenzen "lustvoll auszutesten", ist für den Linzer Karikaturisten Gerhard Haderer Teil seines Selbstverständnisses.

Geboren wurde ich, Knatterton, in der Illustrierten Quick. Im Jahr 1950 als überzeugter Pazifist, genau als der Korea-Krieg begann. Wenige Monate zuvor fand der erste sowjetische Atombombentest statt. Die Forschung zählte 1950 weltweit etwa 20 Kriege, etwas weniger gewaltsame Krisen und rund 110 Dispute mit geringer Gewaltintensität. Zwischenstaatliche Kriege waren in Relation häufiger als heute. Als allgemein bekannt gilt die 1832 veröffentlichte Erkenntnis des Militärtheoretikers Carl von Clausewitz, dass der Krieg ein Chamäleon sei, "weil er in jedem konkreten Falle seine Natur etwas verändert." Die Zeichenkunst hält Schritt. Nick Knatterton verfeinert seine Kinnhakenmethoden. Die Spezialitäten sind der Vierfach-KO und der Maulesel-KO.

Pazifistischer Kinnhaken

Überzeugter Pazifismus und der gleichzeitige Eingriff in die körperliche Unversehrtheit werden in Knattertons Welt mit einem Lächeln und Augenzwinkern goutiert. Doch die Europäische Union nimmt seit den Maastricher Verträgen Maß. Der Friedensnobelpreis und das proklamierte Friedensprojekt sind problemlos mit militärischen Auslandseinsätzen samt Kampfeinsätzen vereinbar. Zur Stunde hat die EU Soldatinnen und Soldaten in Mali, Zentralafrika, Bosnien-Herzegowina, Kongo und in Somalia stationiert sowie auf Kriegsschiffen im Mittelmeer (Flüchtlingsoperation Sophia) und für die vorgebliche Piratenjagd vor der Küste Somalias (Operation Atalanta). In Namen der Humanität. Die gelassenen Federn sind stets die fremden

Die Toten nach den so genannten chirurgischen Eingriffen nennen sich heute Kollateralschaden. Bei Militärinterventionen und Kriegen westlicher Staaten ist das Vokabel "Krieg" gänzlich aus der Mode gekommen. Die Vierte Gewalt -die Medien -spielt brav mit. Es wird nicht Krieg geführt, sondern "Krisenmanagement" betrieben, "Stabilisierungseinsätze" lanciert, "Operationen" durchgeführt, peace wird enforced, es wird "humanitär interveniert", man nimmt eine "Schutzverantwortung" wahr. Wie bei Knatterton, Gaukeley & Co werden keine Toten gezeigt, und die eigene Gewalt als notwendig bagatellisiert.

1961 feierte die im Duck'schen Geldspeicher freundlich vorstellig werdende Hexe Gundel Gaukeley ihre Premiere in Entenhausen. Sie lobt Donalds klassische Bildung und wenig später machen Onkel Dagobert und Donald Bekanntschaft mit Gundels Blitzbuffbomben. Diese Bombastik-Buff-Bomben stellen wohl eine Mischung aus Blend-und Chemiewaffe dar. Während die Haager Landkriegsordnung dauerhaft schädigende Blendwaffen ächtete, wurden diese 1995 durch ein Protokoll der Vereinten Nationen verboten. 2006 wurde bekannt, dass die US-Militärführung nicht dauerhaft wirkende Laser-Dazzler an die im Irak operierenden Verbände ausgab. Doch zurück zu Gundel zum Beginn der 1960er. Von da an entwickelte sich die Anzahl der Kriege und gewaltsamen Krisen bis zu den frühen 1990ern stetig aufwärts. Durchschnittlich um einen Krieg pro Jahr. 1992 zählte die Konfliktforschung knapp über 50 Kriege und beinahe 200 Konflikte mit niedriger Intensität. Die Abnahme der Kriege bis 2010 musste seither wieder nach oben korrigiert werden.

Heute zählen wir 424 Konflikte, von denen 46 hochgewaltsam sind und 21 davon als Kriege klassifiziert werden. Schon in Zeiten, als Blitzbuffbomben und der Maulesel-KO die Comic-Welt fesselten, fanden Kriege - und das ist bis heute so - fast überwiegend im globalen Süden statt.

Friedliche Demokratien?

Die Theorie des demokratischen Friedens besagt, dass sich Demokratien unter Artgenossen friedlich verhalten. Kaum jedoch gegenüber Nicht-Demokratien. Großbritannien, die USA und Frankreich treten besonders hervor. Hegemonieansprüche und neokoloniale Militärpolitik spielen dabei eine zentrale Rolle. Nach Militärinterventionen der letzten Jahre können heute einige Beispiele "gescheiterter" - oder vielmehr zum Scheitern gebrachter - Staaten gezählt werden. Aus dem 2003 völkerrechtswidrig bombardierten Irak resultiert heute der so genannte "Islamische Staat", von funktionierenden staatlichen Strukturen ist man in Libyen heute weit entfernt und 15 Jahre nach 9/11 und dem "war against terror" sind in Afghanistan Fortschritte mit freiem Auge schwerlich erkennbar.

Blitzbuffbomben und das Chamäleon

Während Knatterton alle Fälle löst und die Grenzen zwischen dem Spitzbub und den Anständigen zunehmend verwischt, jagt die Gaukeley seit einem halben Jahrhundert erfolglos hinter Onkel Dagoberts Glückszehner her. Asymmetrische Kriege der Gegenwart sind weniger eindeutig. Alleinige Militärinterventionen enden heute im Sinne eines belastbaren Friedens kaum noch erfolgreich. Auf lange Sicht betrachtet, endet nur ein knappes Fünftel aller Kriege durch einen Sieg des Angreifers und bei einem schwachen Drittel behauptet sich der Angegriffene.

Von zwischenmenschlichen Konflikten bis zur internationalen Ebene manifestieren sich Gewaltstrukturen. Johan Galtung hat dies 1975 erstmals wissenschaftlich beschrieben. Sie wird "ohne einen Akteur" ausgeübt. "Gewalt", so der Friedensforscher, "ist in das System eingebaut und äußert sich in ungleichen Machtverhältnissen und folglich in ungleichen Lebenschancen." Auch die Weltbank hat Armut, geringes Einkommen und Rohstoffe als wichtige auslösende Faktoren für Bürgerkriege dargestellt.

Dass der Krieg ein Chamäleon ist, zeigt sich auch an den Waffensystemen. Wurde zu Gundel Gaukeleys Zeiten der Blitzbuffbomben Anfang der 60er vom Österreichischen Bundesheer die "Tonne"(Saab J-29F zur Luftraumüberwachung) beschafft, so debattieren wir heute die Folgen der Drohnenkriege von George W. Bush und Barack Obama. Die europäischen Staaten versuchen dabei um nichts nachzustehen. Auch Knatterton wurde in den 1950ern mit einem Vorläufer der heutigen Drohne ausgeschaltet: eine Superbiene mit Kleinbildkamera und Chloroformspritzdüse.

Neue Generationen von Atomwaffen, die Militarisierung des Weltraums, präzisionsgelenkte Munition, unbemannte Militäroder Kampfroboter oder aggressive Militärdoktrinen sind - absurd überhöht über zur Kenntlichkeit entstellt - auch Gegenstand von Karikaturen. Die Antwort von Michael Pammesberger ist das Bin-Lad-ometer.

Während Knatterton bei der Fusion der Waffenfirmen Baller und Bims Pate steht, durchlebten die transatlantischen Rüstungskonzerne seit Beginn der 1990er massive Fusions-und Konzentrationsprozesse. "Alle Waffen aus einer Hand", so Knattertons Schlussfolgerung. In Europa ist letztes Jahr aus dem Eurofighter-Hersteller EADS der weltweit zweitgrößte Rüstungskonzern Airbus-Group entstanden. Auch die Panzerknacker in Entenhausen treten als Aktiengesellschaft auf. Knattertons Abspann wird mit des Sprechers Worten unterlegt: "Hauptsache die Wirtschaft läuft". Heute exportieren die 28 EU-Staaten fast so viele konventionelle Waffen wie die USA oder Russland. "Gute Komik", so Gerhard Haderer "ist an der Grenze zur Tragödie angesiedelt."

Kriegsgeräten einen zivilen Anstrich zu geben, da kann Politik und Industrie von Michael Pammesberger noch lernen: legendär sein berüchtigtes Lawinen-Raketenabwehrsystem oder das bizarre Multifunktionsgerät "Eggwoolmilkpig OE2011". Aus dem heutigen Zynismus der Karikatur ist viel für das morgige friedliche Zusammenleben zu lernen.

Die langen Schaffensperioden von Zeichnern wie Manfred Deix, Gerhard Haderer, Erich Sokol, Dieter Zehetmayr oder Ironimus reflektieren in ihren Büchern nicht nur die Gesellschaft. Ein Deix- oder Haderer-Buch aus den frühen 1990ern ist heute ein Stück Zeitgeschichte. Im Gegensatz zu vielen Schulbüchern auch ein Stück Friedensgeschichtsschreibung. Kombiniere: Und damit gehört es auch in jede Schulbibliothek.

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