Das Ende der schweigsamen Genies

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Der gekonnte Umgang mit den eigenen und den Gefühlen anderer Menschen ist die Schlüsselkompetenz in der Informations- und Wissensgesellschaft. Das behauptet zumindest Bestseller-Autor Daniel Goleman in seinem neuen Buch "EQ - Der Erfolgsquotient".

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Der gekonnte Umgang mit den eigenen und den Gefühlen anderer Menschen ist die Schlüsselkompetenz in der Informations- und Wissensgesellschaft. Das behauptet zumindest Bestseller-Autor Daniel Goleman in seinem neuen Buch "EQ - Der Erfolgsquotient".

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Flexibilität, Leistungsdenken, Engagement, Teamfähigkeit - alles wichtige Eigenschaften am Arbeitsmarkt. Zudem sollten die Bewerber noch auf langjährige einschlägige Erfahrung zurückblicken können, aber natürlich auch jung und dynamisch sein, voller neuer Ideen stecken, sich jedoch in bestehende Strukturen problemlos einfügen können, innovativ sein und gleichzeitig nicht zu heftig an überlieferten und bewährten Traditionen rütteln, kritisch denken und Kritik vertragen, dabei ganz genau wissen, wie und wem gegenüber man solche auch äußern darf. Auch sollten sie sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen. Bitte immer freundlich lächeln. Fehler sind tunlichst zu vermeiden, wem sie dennoch unterlaufen, der hat sie freimütig einzugestehen und daraus zu lernen. Und das ruck-zuck, Zeit will gemanagt sein, den Tagesablauf hat man stets im Griff zu haben, mit Energie in Angriff zu nehmen, beim morgendlichen Anpfiff des Weckers schon in den Startlöchern zu harren, um loszusprinten in den Wettbewerb des Tages. Ja, übrigens, Sportsgeist ist auch gefragt, in jeder Hinsicht. Und im straff organisierten Arbeitsplan muß sich natürlich jeder bei Bedarf auch jede Menge Zeit nehmen können für unerwartete Probleme ...

Und bei all dem: bitte immer freundlich lächeln!

Es wird härter Und was hat das alles mit der österreichischen Wirklichkeit zu tun, wo doch immer wieder von grantigen Beamten die Rede ist und von etlichen Arbeitnehmern, die vom Urlaub in den Krankenstand und gleich darauf wegen Arbeitsunfähigkeit in Frühpension gehen, um in Ruhe schifahren oder (nicht nur im Internet) surfen gehen zu können oder sich im Schweiße ihres eigenen Angesichts ein Haus zu bauen. Wir leben doch im Paradies der Faulenzer, oder etwa nicht?

Aber eines steht wohl fest: In einer Zeit des Kampfes um Arbeitsplätze kommt Leistung im Berufsleben besondere Bedeutung zu. Es wird härter, ist allerorten zu hören und zu lesen. Und ebensowenig ist zu übersehen, daß ein hoher IQ und eine gute Ausbildung noch lange keine Garantie bedeuten, einen Job zu ergattern und schon gar nicht dafür, den Arbeitsplatz auch zu behalten.

Es spielt noch etwas anderes mit, das gewisse Etwas, ein ungreifbares Charisma, dessen Beitrag zum Erfolg landläufig oft nur mit "Zufall" oder "Glück" erklärt wird, bei genauerer Betrachtung stellt sich aber oft heraus, daß die Zufälle so zufällig nicht sind.

Der amerikanische Psychologe und Unternehmensberater Daniel Goleman faßt das gewisse Etwas mit dem Begriff Emotionale Intelligenz. In seinem gleichnamigen Weltbestseller stellt er den EQ als unabdingbare Ergänzung zum IQ dar, wer nicht fähig ist, seine Gefühle mit Intelligenz zu steuern, macht seinen Mitmenschen und nicht zuletzt sich selbst das Leben schwer (Furche 18/1998, S. 12). Heuer wurde uns die Fortsetzung zuteil: "EQ - Der Erfolgsquotient" als nicht nur mitbestimmender, sondern hauptverantwortlicher Faktor beruflichen Aufstiegs (ein gewisser Mindest-IQ zusammen mit solider Ausbildung sind selbstverständliche Grundvoraussetzungen).

Sehr anschaulich und mit vielen Beispielen schildert Goleman die Auswirkungen emotionaler Kompetenz (oder deren Mangel) im beruflichen Alltag, beschreibt gescheiterte Karrieren von Genies, die einfach nicht fähig waren, sich ihrer Umwelt anzupassen, und im Gegenzug dazu das unaufhaltsame Emporklettern auf der Erfolgsleiter von einstmals "einfach nur beliebten" Schülern mit eher durchschnittlichen Leistungen.

Goleman beschränkt sich aber nicht darauf, die lange unterschätzte Wirkung emotionaler Intelligenz zu belegen und zu beweisen, sondern hat ein komplexes System einzelner Faktoren entworfen, die zusammen den EQ ausmachen und ihn konkretisieren. Zunächst unterscheidet er einmal zwischen persönlichen Kompetenzen, von denen es abhängt, wie wir mit uns selbst umgehen, und sozialen Kompetenzen, die dafür verantwortlich sind, wie wir Beziehungen handhaben. Und das wichtigste: emotionale Intelligenz ist nicht angeboren, sondern einem immerwährenden Lernprozeß unterworfen. Bei niemandem ist also Hopfen und Malz verloren.

In den Bereich der persönlichen Kompetenzen fallen Selbstwahrnehmung (realistische Selbsteinschätzung und Selbstvertrauen), Selbstregulierung (Gewissenhaftigkeit, Anpassungsfähigkeit und die Regulation der eigenen Emotionen) und Motivation (Leistungsdrang, Engagement und Optimismus), zu den sozialen Kompetenzen gehören Empathie - etwa andere zu verstehen und ihre Fähigkeiten zu fördern - und soziale Fähigkeiten wie kommunikative Kompetenz, wirksame Mittel der Beeinflussung anwenden, Zusammenarbeit mit anderen oder die Pflege nützlicher Beziehungen.

Und hier regt sich auch schon das Unbehagen gegenüber Golemans Thesen. Beim Thema Beeinflussung drängt sich der Begriff der Manipulation ins Bewußtsein, und bei der "Pflege nützlicher Beziehungen" könnte man sich angewidert von dieser Anbiederung abwenden. Und was macht man eigentlich mit "unnützen" Beziehungen? Es ist bestimmt nicht auszuschließen, daß Manipulation und Anbiederung in den meisten Fällen einer Karriere eher förderlich als hinderlich sind, aber muß man das denn nachgerade empfehlen?

Und nichts anderes als Empfehlungen gibt Goleman hier ab. EQ fügt sich nahtlos an die bereits unüberschaubare Reihe der Ratgeberliteratur, ein Standardwerk für Manager und solche, die es werden wollen. Emotional intelligente Gleichschaltung. Der Markt boomt. Gebrauchsanweisung für die Selbstwerdung. Wie bewege ich mich aalglatt durch den emotionalen Dschungel des beruflichen Alltags.

Diese Tendenz ist schade, denn zum einen hat Goleman in Emotionale Intelligenz und über weite Strecken auch in EQ bewiesen, daß er ein ausgezeichneter Analytiker ist und darüber hinaus die Fähigkeit besitzt, komplexe Sachverhalte anschaulich und einleuchtend darzustellen. Zum anderen haben wir wohl alle im Bereich der emotionalen Intelligenz und der richtigen Einschätzung ihrer Bedeutung noch einiges zu lernen.

Unheimlich perfekt Nur sind die von Goleman beschriebenen Musterbeispiele der menschlichen Spezies zum Teil emotional schon wieder so intelligent, daß sie etwas Unmenschliches an sich haben, obwohl doch gerade die emotionale Intelligenz etwas typisch Menschliches ist und etwa von keinem Computer imitiert werden kann. Aber Perfektion hat immer auch etwas Unheimliches, und die Analyse mancher Situationen erinnert lebhaft an die "sozialistische Kritik und Selbstkritik", der man sich öffentlich zu unterwerfen hatte, um seine Persönlichkeit zu schulen und zu verbessern. Ist es das, was vom Kommunismus übrigblieb, die Suche nach dem perfekten Rädchen im Getriebe? Und ausgerechnet in der siegreichen freien Marktwirtschaft? Die so frei ist, daß es einem freigestellt und freilich auch empfohlen wird, seine Persönlichkeit zu verscherbeln?

Aber trotz allem, vom EQ geht auch als Erfolgsquotient nicht nur Bedrohung aus, sondern ebenso Faszination, und die Analyse des eigenen Alltags nach Golemans Kriterien ist zweifellos eine Bereicherung. Vermutlich ist auch Golemans Auslegung der emotionalen Intelligenz als "Schlüsselkonzept für den Umbau der Industriegesellschaft in die Informations- und Wissensgesellschaft der Zukunft" gegenüber nicht mehr Skepsis angebracht als gegenüber jeder anderen Beratungsliteratur auch.

Positives Denken ist in, Zynismus ist out, und EQ ist daher durchaus ein lesenswertes Buch - nur eben mit Vorsicht zu genießen.

Buchtip EQ - DER ERFOLGSQUOTIENT Von Daniel Goleman Carl Hanser Verlag, München, Wien 1999 439 Seiten, geb., öS 364.-

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