Das Ende der Sorglosigkeit

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NZZ-Chefredakteur Markus Spillmann warnt davor, das marktwirtschaftliche Kind mit dem Bad der globalen Finanzkrise auszuschütten.

Das Gute am Schlechten ist die Hoffnung auf gelegentliche Besserung - etwa so lässt sich die Kontroverse um das Hilfsprogramm der amerikanischen Regierung zur Bewältigung der Kreditkrise auf eine griffige Formel reduzieren. Auch unter zweifelsfrei geeichten Marktwirtschaftern herrscht schon längst keine Einigkeit mehr darüber, ob es sinnvoll oder vielleicht nicht vielmehr kontraproduktiv ist, in dieser Dimension in den Markt einzugreifen. Theoretisch abstrakt betrachtet ist die milliardenschwere Intervention des amerikanischen Finanzministers Paulson in vielen Punkten in der Tat ordnungspolitisch fragwürdig. Denn die Gefahr besteht, dass das Paket mit Blick auf die inzwischen zusätzlich integrierten Gesetzes-Elemente zu einer Verstärkung und Perpetuierung staatlichen Dirigismus' führen und schleichend das Spiel freier Marktkräfte behindern wird.

Kein Marktversagen

Allein, mangels besserer Alternativen wird man die bittere Pille allemal lieber schlucken, als in dieser Phase der Agonie und des gegenseitigen Misstrauens das doch erhebliche Risiko eines Kollapses des amerikanischen Finanzsystems mit der realen Gefahr einer global ausgreifenden Rezession einzugehen. […] Ob sie am Ende wirklich wirkt - und vor allem wie, weiss man nicht. Sicher ist einzig, dass wie jedes starke Medikament auch dieses Nebenwirkungen entfalten wird. […] So gehört es inzwischen fast schon zum Standardvokabular von führenden Politikern aller Couleur, gegenüber einer verunsicherten Öffentlichkeit pauschal von Marktversagen zu sprechen, um die Notwendigkeit staatlicher Interventionen zu rechtfertigen. Das mag populär sein, richtiger wird es dadurch nicht. Der Markt hat durchaus funktioniert, nur eben im Guten wie im Schlechten. Natürlich wurden das System der Kreditvergabe und deren "Verwurstung" in zig Tranchen ad absurdum geführt und in Einzelfällen auch mit fast schon krimineller Energie ausgereizt, bar jeglicher hanseatischen Besonnenheit und jedes gesunden Menschenverstands. Möglich war dies freilich nur so lange, wie eine Rendite zu erwirtschaften war, von der viele - übrigens auch der viel bemühte "einfache" Steuerzahler - durchaus profitierten. […]

Masshalten als Chance

Es ist das amerikanische Leben auf Pump gewesen, das die Kreditkrise in diesem Ausmass überhaupt erst entstehen liess. In Kombination mit staatlicher Absicherung und zu viel billigem Geld war Bonität kein Thema mehr, das Risiko verlor seinen Preis. Das gilt es nun zu korrigieren, als Aufgabe für die Zukunft, genauso wie die unsinnige Koppelung von hochriskanten, wenn auch potenziell gewinnbringenden Geschäften an die persönliche Bonus-Maximierung rasch und entschieden beendet gehört. Die guten Banker sind nicht zwingend jene, die am meisten verdienen, auch das demonstriert die Krise zur Genüge.

Das Debakel hätte zudem sein Gutes, würden Amerikaner für sich vermehrt die chinesische Sparsamkeit entdecken, der grenzenlose Konsum ohne entsprechende reale Mittel der Rückbesinnung auf gleichsam protestantische Tugenden wie das Masshalten und solide Wirtschaften weichen. Nicht wünschen mag man sich freilich, dass die zweite Seele in der amerikanischen Brust - ungebrochener Optimismus und eine aus der Frontier-Ära ins 21. Jahrhundert weiterwirkende Aufbruchstimmung - beschädigt wird. Die hie und da in Europa mit einem Hauch von Schadenfreude geäusserte Einschätzung, die imperiale Grösse der USA sei am Ende, ist zudem nicht nur verfrüht, sondern vor allem auch kurzsichtig. Die Wirtschafts- und Weltmacht Amerika hat in den letzten Jahren … global viel zur positiven Entwicklung der Weltwirtschaft beigetragen; ein Rückzug aus dieser Rolle würde Europa hart treffen. […]

"Neue Zürcher Zeitung", 4./5. Oktober 2008

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