"Das Gefährlichste sind die Kalaschnikows"

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Hat der Friede in Afghanistan ein Chance? Der Wiener Ethnologe und Kulturhistoriker Max Klimburg, seit den fünfziger Jahren immer wieder im Land unterwegs, ist skeptisch.

die furche: In Deutschland wird in diesen Tagen mit Vertretern verschiedener, teils verfeindeter Ethnien und Stämme über die politische Zukunft Afghanistans beraten. Die Taliban sind nicht dabei. Gibt es Hoffnung auf eine vernünftige Einigung der zerstrittenen Parteien?

Max Klimburg: Jede Form ist begrüßenswert, bei der die Streithähne an einen Tisch gebracht werden, wo sie sich um eine freundschaftliche Atmosphäre bemühen sollen. Womit nicht gesagt ist, dass sie das während der gesamten Konferenz auch tun werden. Eine Lösung zu finden, ist unendlich schwer. Das Clan-Denken steht jetzt wieder stark im Vordergrund, das durch die Taliban-Herrschaft überdeckt worden war. Ich vermute, dass in Bonn viel Lärm um wenig Konkretes gemacht werden wird. Natürlich wird sich jeder zu Menschenrechten und gemeinsamen Aktionen bekennen. Aber im Hinterkopf werden solche Bekenntnisse keine allzu große Rolle spielen. Es ist ja vorauszusehen, dass jede Gruppe hauptsächlich an die eigene Position denkt. Ich befürchte, dass danach die Kämpfe wieder aufflammen werden.

die furche: Wie bekommt man machtgierige Clanchefs dazu, nicht nur an die eigenen Interessen zu denken?

Klimburg: Meine Hoffnung ist, dass die ganze Konzentration der Weltöffentlichkeit auf Afghanistan gerichtet bleibt. Die westliche Welt zeigt in einer Weise Interesse an dem Land wie nie zuvor. Das ist die Chance, ausreichend Mittel für einen Wiederaufbau zu bekommen. Davon können alle profitieren, auch die verschiedenen Führer der Gruppen.

Der Westen muss daher versuchen, den Verhandlern eine vernünftige Einstellung zur friedlichen Zukunft förmlich einzuhämmern. Mit allen Mitteln der Überredungskunst, die zur Verfügung stehen. Man muss den Leuten klarmachen, dass es in ihrem eigenen Interesse ist, die Waffen niederzulegen und gemeinsam Lösungen anzugehen. Ob diese Vernunft überhaupt da ist, wird sich erst zeigen.

die furche: Die Sehnsucht der Bevölkerung nach einem halbwegs normalen Leben ist groß. Ist ein friedliches Zusammenleben überhaupt möglich nach mehr als 20 Jahren Krieg, Not, Brutalität und Terror?

Klimburg: Das ist zweifellos ein Problem. Es werden schon zehn bis 20 Jahre vergehen müssen, bis man das Land wieder halbwegs auf die Beine bringt. Afghanistan präsentiert sich heute als völlig zerfallen und von rohem, martialischem Denken beherrscht. Eine friedliche und konstruktive Einstellung unter den Menschen im ganzen Land ist Zukunftsmusik. Zu lange waren sie darauf angewiesen, das eigene Überleben irgendwie zu sichern und dabei Entscheidungen zu Lasten anderer Menschen zu treffen.

Das Problem ist, dass sie überhaupt noch nicht zu einem eigenständigen, unabhängigen Denken und Handeln gekommen sind. Das Denken ist beherrscht von der Vorstellung, dass man mit der Waffe in der Hand alle möglichen Probleme lösen kann. Das ist inzwischen eine weit verbreitete Einstellung geworden. Eine große Zahl der Männer hat jetzt Kalaschnikows, und das ist eine furchtbare Waffe. Das erste, was getan werden müsste, ist, das Land zu entwaffnen. Da muss das Volk aber mitspielen.

die furche: Sie haben das Land während seiner großen kulturellen Blüte erlebt. Bilder davon waren kürzlich im ORF, "Report international", zu sehen. Kennen die Afghanen überhaupt noch ihre wunderbare alte Kultur?

Klimburg: Die ganz Stimmung im Land war schlecht, sodass Ausdrucksformen der Lebenslust selten geworden sind. Derzeit wird gefeiert, wie immer nach einer großen Befreiung. Vor allem in den Städten, denn dort haben die Menschen, die städtisch und eigenständiger denken wollten, unter den Taliban wahnsinnig gelitten.

die furche: Vieles wurde einfach zerstört ...

Klimburg: Sicher, so wie die riesigen Buddha-Statuen im vergangenen März. Aber diese Zerstörungen wirken sich auf das kulturelle Leben Afghanistans sicher nicht aus. Statuen wie diese sind historische Zeugnisse des Buddhismus, und das ist für die meisten Afghanen eine ganze andere, vergangene Welt. Sie waren nur für den Tourismus und die internationale Kunstgeschichte der Welt so wahnsinnig wichtig. Aber ich habe überhaupt keinen Zweifel, dass das normale, kulturelle Leben wieder in die gewohnten Bahnen zurückkehren wird. Vorausgesetzt natürlich, dass die islamische Einstellung der poltischen Führung das auch erlaubt.

die furche: Besonders die Frauen haben während des Taliban-Terrors dazu beigetragen, dass wenigstens minimale kulturelle Standards erhalten blieben. Sie haben Kindern heimlich Unterricht erteilt, durch den Schleier hindurch mit Videos die Gräueltaten der Taliban dokumentiert. Sind sie die Zukunft Afghanistans?

Klimburg: Im Untergrund ist vieles möglich, das ist klar. Aber es herrscht immer noch eine reine Männergesellschaft. Es gibt Afghanen, die mehr Frauen in den Friedensprozess aktiv hereinziehen wollen. Aber das sind wirklich Ausnahmeerscheinungen. Die zukünftigen Machthaber lassen den Menschen sicherlich mehr Freiraum, um sich zu entwickeln, soweit das eben unter den gegebenen Umständen möglich ist. Aber dass sich das rigide Verhalten gegenüber den Frauen von heute auf morgen ändert, ist unvorstellbar. Das breite Band dieser Einstellungen mit "Mannesehre" und "Mannestum" zieht sich wie ein breites Band entlang bis ganz nach Nordpakistan.

die furche: Überall, oder nur bei den Paschtunen, die die Taliban hervorgebracht haben?

Klimburg: Nein, dieses Verhalten ist bei fast allen Ethnien zu finden.

die furche: Eine andere Frage: die USA sind versessen darauf, den mutmaßlichen Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September, Osama Bin Laden, zu finden. Glauben Sie auch, dass er sich noch in Afghanistan befindet?

Klimburg: : Ja, und angeblich könnte er in Kandahar sein. Wo soll er auch hin? Er kann nur in paschtunischen Gebieten sein, und dort kann er sich schwer verstecken mit seiner großen Gefolgschaft und den vielen Frauen.

Das Gespräch führte Elfi Thiemer.

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