Modemüll

Das hässliche Gesicht der Fast Fashion

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Kleidung aus Europa und Amerika, die von Internetkunden zurückgeschickt wird, landet in Secondhandshops in Bulgarien und ist dort ein großer – aber umstrittener – Marktfaktor geworden.

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Kleidung aus Europa und Amerika, die von Internetkunden zurückgeschickt wird, landet in Secondhandshops in Bulgarien und ist dort ein großer – aber umstrittener – Marktfaktor geworden.

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Wenn, wie zu Weihnachten, die Schnäppchen- und Umtauschzeit ausgerufen wird und Händler wie Amazon und Zalando Shopping-Rekorde verzeichnen, drängt sich die Frage auf: Wo landen all die Jeans, Kleider und Turnschuhe, die am Ende zurückgeschickt werden, weil sie doch nicht passen oder die Farbe nicht gefällt? Oder die nach zwei Mal Tragen in den Altkleider Container geworfen werden? Ein Teil von ihnen wird knappe tausend Kilometer entfernt nach Bulgarien exportiert. Hier entsteht zurzeit eine Industrie, die sich auf das Geschäft mit ungewollter Kleidung spezialisiert hat. Für die einen ist es ein Lichtblick in einem Land, das zu den ärmsten Europas zählt; für die anderen die hässliche Seite der globalisierten Modeindustrie. In der Fast-Fashion-Branche ist eine Retourenquote von mehr als 40 Prozent keine Seltenheit. Die Unternehmerin Genoveva Petrova profitiert von diesem Phänomen. Vor sechs Jahren gründete sie mit Geschäftspartnern in Bulgarien das Unternehmen „Remix“, das die Nische zwischen dem aufstrebenden Onlinehandel und Secondhand entdeckte. „Remix“ investierte in eigene Anlagen, in denen die zurückgeschickte Mode aufgearbeitet wird, sie wird geprüft, desinfiziert, gefaltet. Anschließend verkauft Remix die Kleidung in den eigenen Online-Secondhandshops mit dem Slogan reuse, reduce, remix. Nicht nur in Bulgarien kommt das gut an, auch in neun EU-Ländern, darunter Deutschland und Österreich.

50.000 Tonnen Textilien

Die Secondhandbranche in Bulgarien ist mit einem Jahresumsatz von 60 Millionen Euro inzwischen so groß, dass sie sogar einen eigenen Verband gegründet hat. Nach dessen Angaben verarbeiten die Händler jedes Jahr rund 50.000 Tonnen Textilien. Die importierte Kleidung stammt vor allem aus Deutschland, den nordischen Ländern, Italien und der Schweiz. Partner der bulgarischen Firmen sind unter anderem Textil-Recycling-Firmen wie der Schweizer Textilkonzern Texaid oder das bayrische Entsorgungsunternehmen Lorenz Wittmann GmbH. In Bulgarien wird diese Kleidung dann aufgehübscht. Jedes zweite Modestück hängt am Ende in einem Shop in Bulgarien. Die restliche aufbereitete Ware wird zum Teil wieder exportiert, sehr gut erhaltene Artikel können sogar wieder in den Lagern der Onlinehändler in Westeuropa auftauchen. Selbst verdreckte oder kaputte Ware wird nochmal genutzt, indem sie als Textilabfall an Produzenten von Türdichtungen verkauft wird. „Wir vereinen ökologische Verantwortung mit sozialem Engagement“, sagt Genoveva Petrova, Mitgründerin von Europa Remix Global AD, einem der größten Secondhandhändler Bulgariens mit österreichischer Beteiligung.

Marieta Vassileva (Name geändert), bis vor Kurzem eine der 425 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Kleidung für Remix sortieren, sieht nichts vom grünen und humanen Image ihrer Firma. Mit ihrem Vollzeitjob verdiente sie 440 Euro, das lag unter dem bulgarischen Durchschnitt von 645 Euro. Den Lohn hat sie regelmäßig bekommen, kranken,- und sozialversichert war sie auch. All das ist in Bulgarien nicht selbstverständlich. Trotzdem hat Vassileva gekündigt. Es war ihr alles zu viel. Die anspruchsvollen Vorgaben, das ständige Stehen, der Stress, die Wochenenddienste. „Es waren immer neue Haufen staubiger Kleider, die ich schnell zuordnen musste. Dabei musste ich prüfen, ob sich nicht doch ein bisschen Lippenstift oder ein kleines Loch irgendwo versteckt.“ Wenn sie nach der Arbeit in einem Sofioter Vorort in den Betriebsbus stieg, waren ihre Beine taub. In der Nacht quälten sie Hustenanfälle.

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