"Das ist ein heiliger Moment“

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Biggi Dallinger hat als Hebamme etwa 1500 Kindern auf die Welt geholfen und ihre Mütter beim schwierigen Loslassen unterstützt. Irgendwann will sie auf die andere Seite des Lebens schauen: Geborenwerden und Sterben gehören schließlich zusammen.

Diesmal ist es ein stressfreier Advent. Fast alle Dezember-Geburten hat Biggi Dallinger schon Anfang des Monats glücklich hinter sich gebracht. Nur noch am 31. Dezember ist in ihrem Kalender ein Geburtstermin vermerkt, doch ob sich das Kind tatsächlich an die gynäkologischen Vorgaben hält, ist mehr als fraglich: Gerade einmal drei Prozent aller Babys werden genau am errechneten Termin geboren. "Die Kinder wählen ihren Geburtstag einfach selbst“, sagt die 46-Jährige in ihrem hellen Besprechungs- und Untersuchungszimmer im Wien Margareten und rührt in ihrem Glücks-Tee um.

Kein Wunder, dass sich die erfahrene Hebamme auch nach rund 1500 Geburten mit Prophezeiungen zurückhält. Manchmal liegt das Baby schon so tief im Becken, dass man jede Minute mit den Wehen rechnen würde - und trotzdem zieht sich die Schwangerschaft bis weit über den Geburtstermin. Ein andermal geht es los, obwohl noch gar nichts darauf hingedeutet hat. Aber so ist das eben mit dem Kinderkriegen: Der Kopf hat hier ausgedient. "Gebären heißt: sich öffnen und loslassen“, zitiert die 46-Jährige einen Satz der deutschen Geburtsvorbereiterin Ruth Menne, der auch ihre eigene Philosophie treffend beschreibt.

Angstquelle Internet

Seit mittlerweile 25 Jahren begleitet Biggi Dallinger Paare rund um das existenzielle Erlebnis einer Geburt. Hebamme, das war jener Beruf, den sich ihre aus Persien stammende Mutter erfolglos erträumt hatte - und dem sie sich selbst mit 17 Jahren verschrieben hat. Nach ihrer zweijährigen Ausbildung an der Semmelweisklinik wurde sie ebendort als Hebamme angestellt. Dann, nach den Geburten ihrer eigenen drei Kinder, bei denen sie die Schwierigkeiten des Loslassens am eigenen Leib erlebte, hat sie viele Jahre lang freiberuflich gearbeitet. Seit 2007 ist sie nun als eine von neun Wahlhebammen im St. Josef Krankenhaus in Wien Hietzing im Einsatz, wo sie persönliche Betreuung mit der Sicherheit eines Spitals verbinden kann. Allein heuer hat sie hier 52 Frauen entbunden. Dazu kommen jene acht Frauen, die sich für eine Hausgeburt entschieden haben. Für sie als Hebamme immer ein besonders schönes Erlebnis.

Egal ob im Spital oder zu Hause: Das Vertrauen zwischen dem Paar und ihrer Begleiterin sei das A und O, ist Dallinger überzeugt. Über mehrere Monate hinweg macht sie deshalb Hausbesuche, lauscht den Herztönen des Kindes, greift bei Problemen der Mutter zur Bachblütentherapie oder versucht bei Steißlage des Fötus eine Wendung mit Hilfe der so genannten Moxibustion. "Meine Hauptaufgabe liegt aber darin, den Frauen ihre Angst zu nehmen und sie in ihrem Urvertrauen zu stärken“, sagt die Hebamme. Vielleicht liegt die Ursache dieser Angst im Internet, das neben hilfreichen Informationen auch jede Menge Horrorgeschichten verbreitet. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Frauen einfach nicht mehr miterleben, wie andere Frauen Kinder bekommen: "Das Gebären ist uns fremd geworden“, meint die Hebamme, "genauso wie das Sterben.“

So natürlich die Geburt eines Menschen ist, so unfassbar ist dieses Ereignis allerdings: "Es ist ein heiliger Moment, wenn ein Baby geboren wird, und hier dabei zu sein ist eine große Ehre“, sagt Biggi Dallinger mit leuchtenden Augen. Innerlich verbeuge sie sich immer vor diesem neuen Menschen, heiße ihn willkommen, erkläre ihm jeden Handgriff. "Die Kinder bekommen das alles mit“, ist sie überzeugt, "die haben ganz offene Augen und Ohren für diese in den ersten Stunden.“

Wenn Geburt und Tod zusammenfallen

Manchmal kommt es freilich ganz anders: Da schreit kein Säugling, da weinen keine Väter heimlich vor Glück, da fallen Geburt und Tod grausam ineinander. Drei Mal hat Dallinger bisher die Dramatik einer Totgeburt erlebt. Früher habe man die Frauen schützen wollen, indem man ihnen das tote Kind nicht einmal gezeigt habe, erzählt sie. Heute weiß man, wie wichtig es ist, sich von ihm zu verabschieden, Fotos, Hand- oder Fußabdrücke anzufertigen, damit das Erlebte seine Monstrosität verliert. "In solchen Situationen bin ich sehr gefordert“, gibt die Hebamme zu, "aber meine Arbeit tankt mich auf. Außerdem habe ich auch einen Draht zu Gott und hole mir seinen Segen vor jeder Geburt.“ Nicht zuletzt ihr Mann und ihre drei weitgehend erwachsenen Kinder seien ihr in solchen Extremsituationen eine große Stütze - wie bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ganz generell.

So stressig es ist, ständig auf Abruf zu leben: Menschen bei Übergängen zu begleiten, das sei eben ihr Talent, meint die Hebamme. Einige Jahre noch möchte sie Kindern auf die Welt verhelfen und ihren Müttern ein schönes Geburtserlebnis bescheren, das ihnen vielleicht noch Lust auf ein zweites oder drittes Baby macht. Doch irgendwann will sie auf die andere Seite des Lebens blicken und Menschen "beim Hinübergehen ins Paradies“ begleiten. "Auch für das Sterben braucht es eine Art Hebammen“, glaubt Biggi Dallinger und rührt in ihrem Glücks-Tee um. "Woher wir kommen und wohin wir gehen, das ist eins.“

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