"Das ist eine Qualitätskontrolle aller Kinder"

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Führt die Präimplantationsdiagnostik (PID) zu mehr

Erfolg bei künstlichen

Befruchtungen? Sigrid Graumann, Dozentin am

Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft in Berlin und Mitglied der Enquete-Kommission des deutschen Bundestages, im Interview.

Die Furche: Die heimische Bioethikkommission hat sich dafür ausgesprochen, Chromosomentests an Embryonen (das so genannte Aneuploidie-Screening) beschränkt zuzulassen - um im Rahmen einer künstlichen Befruchtung nicht lebensfähige Embryonen aussondern zu können. Damit soll die Fehlgeburtenrate gesenkt werden. Was halten Sie davon?

Sigrid Graumann: In Ländern wie Italien, wo das Aneuploidie-Screening schon längere Zeit gemacht wurde, hat man das eigentliche Ziel - nämlich die Erfolgschancen bei einer In-vitro-Fertilisation zu erhöhen - nicht erreicht. Es gibt zwar Ergebnisse, die zeigen, dass möglicherweise die Fehlgeburtenrate sinkt und die Effizienz steigt - dass man also weniger Zyklen für eine Schwangerschaft braucht. Für die Frauen ist aber relevant, ob sie mit einem eigenen Kind nach Hause gehen, und diese "Baby-Take-Home"-Rate hat sich nicht erhöht. Aus meiner Sicht besteht die Problematik dieses Screenings darin, dass man plötzlich einen sehr großen Betroffenenkreis hat. Es kommen im Grunde alle Frauen in Frage, die eine In-vitro-Fertilisation machen lassen. Das ist natürlich ökonomisch für die Fortpflanzungsmedizin hoch interessant. Ich sehe aber darin die Tendenz zu einer systematischen Qualitätskontrolle aller Kinder, die per IVF gezeugt werden. In der Praxis werden ja nicht nur jene Embryonen aussortiert, die gar nicht lebensfähig wären, sondern auch jene, die lebensfähig sind - vor allem jene mit Trisomie 21. Damit hätte man ein reguläres Down-Syndrom-Screening etabliert.

Die Furche: Wäre es nicht möglich, entsprechende rechtliche Schranken einzubauen, um den Genetikern die Suche nach einer etwaigen Trisomie 21 verbieten zu können?

Graumann: Das halte ich für Quatsch. Wenn man die Chromosomen etwa in den Polkörpern (siehe Bild) untersucht, dann wird man das nicht übersehen können. Man müsste ja die Frau verpflichten, dass man ihr einen Down-Syndrom-Embryo übertragen darf, und das kann man sicher nicht machen.

Die Furche: Sie halten die PID generell für ein "aufwändiges, belastendes, wenig erfolgversprechendes und risikoreiches Verfahren". Warum?

Graumann: Aus medizinischer Sicht sprechen für mich die geringen Erfolgsraten gegen die PID: Erstens müssen sich Frauen, die sich zum Ausschluss von erblich bedingten Krankheiten einer PID unterziehen wollen, aber eigentlich fruchtbar sind, trotzdem einer mühsamen In-vitro-Fertilisation unterziehen. Die Risiken für die Frauen bestehen dabei vor allem in der Hormonstimulierung: Bei einer regulären IVF kann man auch ohne Hormonstimulierung arbeiten, weil man oft nur eine Eizelle entnimmt. Bei der PID braucht man aber rund zehn Eizellen, und das bedeutet, dass das Risiko des Hyperstimulations-Syndroms steigt - was im Extremfall lebensgefährlich werden kann. Darüber hinaus stehen die Hormone im Verdacht, krebserregend zu sein. Andererseits sind die Erfolgsraten der PID noch schlechter als die der IVF: Dort liegen die Chancen, dass ein Kind zur Welt kommt, pro Behandlungszyklus bei rund 18 Prozent. Ein Verfahren, das mit so vielen Risiken für Frau und Kind verbunden ist wie die PID und gleichzeitig eine so geringe Erfolgsquote hat, halte ich aus medizinischen Gründen für nicht vertretbar.

Die Furche: In Europa gibt es höchst unterschiedliche Regelungen zur PID. Wie stark ist Ihrer Erfahrung nach der PID-Tourismus ausgeprägt?

Graumann: Wir haben keine komplette Übersicht, aber Belgien gilt - zumindest in Deutschland - als das Land für PID-Willige. Doch auch dort gab es nur zwei oder drei deutsche Paare.

Die Furche: Von einer Massenbewegung kann also keine Rede sein...

Graumann: Nein. Man merkt das auch daran, dass diejenigen, die die PID fordern, vor allem Ärzte sind. Es gibt in Deutschland nur ein Paar, das darauf hindrängt, und das wird durch die Talkshows gereicht. Ganz anders ist die Situation bei der Eizellspende, die in Deutschland auch verboten ist: Hier gibt es Selbsthilfegruppen von ungewollt kinderlosen Paaren, die einen starken Druck ausüben. Bei der PID ist das nicht so.

Die Furche: Mitte des Vorjahres ging in Großbritannien der Fall des kleinen Jamie durch die Medien. Er war im Rahmen einer Präimplantationsdiagnostik in den USA ausgewählt worden, weil er als Blutstammzellen-Spender für seinen schwerkranken Bruder in Frage kam. Wie bewerten Sie diesen Fall?

Graumann: Das ist aus ethischer Sicht natürlich besonders problematisch, weil es nicht darum geht, eine Krankheit bei einem Kind zu verhindern, sondern darum, ein Kind zu zeugen, das als Spender geeignet ist. Das ist natürlich eine Instrumentalisierung des Kindes. Hier wird eine Schwelle überschritten, die in Richtung einer positiven Auswahl geht. Ich selbst kenne Familien mit Kindern, die an Fanconi-Anämie leiden. Diese Kinder haben eine geringe Lebenserwartung und brauchen permanent Bluttransfusionen. Aber sie haben auch eine Heilungschance, wenn man einen Knochenmarkspender findet. Es ist also nicht völlig aussichtslos. Dafür eine die Prozedur einer PID auf sich zu nehmen, noch dazu mit einem schwerkranken Sorgenkind daheim, halte ich für ausgesprochen schwierig.

Die Furche: Häufiger sind jene Fälle, wo sich Paare, die durch eine Erbkrankheit belastet sind, ein eigenes Kind wünschen und deshalb einen Gentest der Embryonen in Erwägung ziehen. Ethiker wie Eberhard Schockenhoff fordern diese Eltern auf, ihren Kinderwunsch hintanzustellen. Ist das nicht zu viel verlangt?

Graumann: Zum einen ist es so, dass ein großer Teil dieser Paare das ohnehin tut, sich also weder auf eine Pränataldiagnose noch auf eine PID einlässt. Mit diesem unerfüllten Kinderwunsch kann man eben unterschiedlich umgehen: Man kann versuchen, ihn mit medizinischen Mitteln zu erfüllen, doch der Preis ist sehr hoch: Bei der Pränataldiagnostik durchleben sie eine Schwangerschaft auf Probe mit möglicher Abtreibung, und bei der PID sind sie zur künstlichen Befruchtung gezwungen - mit allen Risiken und geringen Erfolgsaussichten. Oder aber man kann auf ein eigenes Kind verzichten. An dieses Thema paternalistisch heranzugehen, ist sicher der falsche Weg. Aber ich möchte mir auch nicht von Einzelfällen diktieren lassen, welche Methode man in der Praxis einführen soll. Dazu muss man alle Betroffenen miteinbeziehen - auch die Behinderten, die sich zu Recht fragen werden, warum man Methoden etabliert, die das Leben von Menschen mit der selben Krankheit von vornherein verhindern. Vom Einzelfall kann man sich solche politischen Entscheidungen nicht diktieren lassen. Die Paare haben natürlich einen großen Wunsch und stehen unter einem enormen Druck, aber ein Recht auf ein eigenes, gesundes Kind gibt es trotzdem nicht.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

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