"Das ist hinausgeworfenes Geld“

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Kinder wegen mangelnder Deutschkenntnisse in die Vorschule zu stecken, wenn ihre motorischen, kognitiven und sozialen Kompetenzen für die Schulreife ausreichen, ist laut "Netzwerk SprachenRechte“ eine "strukturelle Diskriminierung“. Warum es auch sinnlos ist und wie Schule mit Mehrsprachigkeit umgehen sollte, erklärt Hans-Jürgen Krumm, Professor für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Wien, im FURCHE-Gespräch.

Die Furche: Sie kritisieren, dass Österreichs Schule "mehrsprachige Kinder einsprachig“ mache. Inwiefern ist das so?

Hans-Jürgen Krumm: Statt mitzuhelfen, dass Kinder ihre Erstsprache als Schatz erleben, erfahren Migrantenkinder von Anfang an: "In Deutsch taugt ihr nichts“. Und das in einer Welt, wo Mehrsprachigkeit immer wichtiger wird und wo etwa in Indien keiner die AHS verlässt, ohne fünf- bis siebensprachig zu sein. Da müssen wir schleunigst etwas anders machen: Der Fehler liegt im System.

Die Furche: Aber wie soll Unterricht in Wiener Klassenzimmern funktionieren, wo 70 und mehr Prozent aller Kinder eine nicht-deutsche Muttersprache haben?

Krumm: Wenn eine Lehrerin allein vor einer solchen Klasse steht, ist sie natürlich hilflos. Aber das Beispiel der Sprachen-Volksschule in Wiener-Neustadt, wo von Anfang an dreisprachig unterrichtet wird, zeigt, wie es gehen könnte: Im Deutschunterricht fühlen sich die deutschsprachigen Kinder überlegen, in Englisch sind alle Kinder auf einem Null-Niveau, und in Türkisch oder Ungarisch sind die Kinder mit diesen Erstsprachen überlegen. Dazu braucht es natürlich Team-Teaching und überschaubare Gruppengrößen - genauso wie im Kindergarten. Aber wenn man das Geld, das momentan für diese ganze Sprachtesterei und all die Fördermaßnahmen ausgegeben wird, entsprechend investiert, wäre es vermutlich nicht einmal teurer.

Die Furche: Gibt es nicht Situationen, wo man Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen separat und gezielt fördern muss?

Krumm: Natürlich muss es solche Phasen geben. Doch dazu brauche ich auch ausgebildete, interkulturelle Mitarbeiterinnen mit türkischer, kroatischer oder einer anderen Muttersprache - und Kleingruppen. 15 Kinder, die alle kein Deutsch können, mit einer Lehrerin in eine Vorschule zu stecken, bringt nichts, das ist hinausgeworfenes Geld. Der Glaube, mit einer Vorschule würde man die Schule von allen Sprachproblemen befreien, ist auch deshalb ein Irrglaube, weil die Sprachentwicklung selbst bei Einsprachigen nicht mit sechs Jahren abgeschlossen ist, sondern erst mit 13 oder 14 Jahren ein brauchbares Niveau erreicht. Statt Kinder vor anderen Sprachen zu schützen, sollte Schule ihnen also lieber helfen, mit dem Schatz der Mehrsprachigkeit umzugehen.

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