"Das ist wie ein Stück Familie"

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In Wien wurde Österreichs erstes Tageshospiz für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene eröffnet. Doch auf die Umsetzung der 51 Empfehlungen der Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens" wartet man noch.

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In Wien wurde Österreichs erstes Tageshospiz für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene eröffnet. Doch auf die Umsetzung der 51 Empfehlungen der Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens" wartet man noch.

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Eine Küchenzeile, ein Tisch, eine Sitzecke, eine große Fläche zum Herumtoben, Regale mit Spielen und ein Pflegebett, abgetrennt durch einen Paravent: Das neue Tageshospiz des Wiener Vereins "Kinderhospiz Netz" ist nicht sehr aufregend eingerichtet. Doch für Ivana Marinkovic ist der 35 Quadratmeter große Raum in der Meidlinger Hauptstraße bereits ein unverzichtbares Stückchen Heimat, ein Ort, an dem sie endlich das darf, was zu Hause oft unmöglich ist: loslassen, Verantwortung abgeben - und dabei ihr Kind bestmöglich umsorgt wissen. Danijela, ihre 20 Monate alte Tochter, braucht rund um die Uhr Betreuung. Wegen Schluckstörungen wird sie über eine Magensonde ernährt, wegen schlechter Lungenbelüftung muss regelmäßig Schleim abgesaugt werden. Und dann sind da noch die epileptischen Anfälle: Bis zu 15 treten an manchen Tagen auf. Damit die Sauerstoffsättigung im Blut nicht dauerhaft zu niedrig ist, wird der kleine Körper während dieser dramatischen Minuten durch eine Sauerstoffflasche versorgt.

Know-how für alle Fälle

Eine allzu große Verantwortung für die meisten. Doch hier im Tageshospiz hat man das nötige Know-how. Zwei Ärzte, zwei Pflegepersonen, eine Sozialarbeiterin und eine Pädagogin gehören zum multiprofessionellen Palliativ-Team des "Kinderhospiz Netz"; dazu kommen noch rund 40 Ehrenamtliche. Nach Voranmeldung sind sie derzeit an bestimmten Tagen vor Ort, um die Kinder und ihre Familien stundenweise zu betreuen. Künftig soll das Tageshospiz auch täglich geöffnet sein.

Bereits seit zehn Jahren unterstützt der Verein Familien zu Hause mit mobilen Einsatzteams: Sie helfen bei medizinischen oder pflegerischen Problemen und begleiten die Eltern bei wichtigen Terminen. Durch das Tageshospiz können Eltern nun auch wichtige Termine ohne ihr Kind wahrnehmen - oder sich mit anderen Familien vernetzen. "Wir schließen Lücken und ermöglichen diesen Familien eine Auszeit", sagt die Diplomkrankenschwester und Sozialpädagogin Mirjam Stabler, die das Palliativteam leitet und auch für das Tageshospiz zuständig ist.

Nicht nur Ivana Marinkovic und ihre Tochter fühlen sich hier wie zu Hause, auch der vierjährige Sohn Danijel. Seit der Geburt seiner Schwester Daniela leidet er an einer Entwicklungsverzögerung. "Die Geschwisterkinder sind uns ein besonderes Anliegen, weil sie in dieser Situation doppelte und dreifache Verlierer sind", weiß Sabine Reisinger, geschäftsführende Obfrau des Vereins "Kinderhospiz Netz". Einmal pro Woche besucht Danijel nun die therapeutische Spielgruppe im Tageshospiz. Zudem kommt jeden Montag eine ehrenamtliche Mitarbeiterin des Vereins zu ihm nach Hause und widmet ihm ihre volle Aufmerksamkeit. "Das ist schon wie ein Stück Familie", meint seine 28-jährige Mutter.

Die allermeisten Eltern von lebensbedrohend erkrankten Kindern - derzeit etwa 2500 in ganz Österreich - haben freilich kein vergleichbares Entlastungsangebot. Wobei Tageshospize vor allem in Ballungsräumen möglich sind, wie Claudia Nemeth, Projektleiterin für die Hospiz- und Palliativversorgung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Dachverband Hospiz Österreich, betont. Was es hingegen flächendeckend bräuchte, wären mehr mobile Palliativ-und Hospizteams sowie ein stationäres Kinderhospiz. Voraussetzung dafür ist freilich eine geregelte Finanzierung, auf die man sich verlassen kann - doch davon ist man sowohl im Kinder- wie auch im Erwachsenenbereich weit entfernt.

Ein Jahr nach Beginn der parlamentarischen Enquetekommission "Würde am Ende des Lebens" und acht Monate, nachdem alle Parteien gemeinsam 51 Empfehlungen für den Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung formuliert haben, lassen die ersten konkreten Schritte noch immer auf sich warten. "Bislang ist es bei einem Lippenbekenntnis geblieben", lautet die ernüchterte Kritik von Diakonie-Direktor Michael Chalupka. Der tatsächliche Bedarf an Hospiz und Palliative Care sei nach wie vor nur zu 50 Prozent gedeckt. Ob die Regierung in den Jahren 2016 und 2017 die für den weiteren Ausbau nötigen 18 Millionen Euro zur Verfügung stellt, bleibt abzuwarten. Doch nicht nur die öffentlichen Gelder fehlen bislang, auch der vom Parlament geforderte unabhängige Hospiz- und Palliativkoordinator ist eine Chimäre. Er sollte alle Player - von den Ministerien über die Krankenkassen bis zu den zuständigen Länderstellen -an einen Tisch bringen, den Betreuungsbedarf klären, Finanzierungslösungen finden und einmal jährlich dem Parlament Bericht erstatten.

"Unser Traum wäre, dass es einen Finanzierungstopf und eine Ansprechperson gibt, die für den Hospiz- und Palliativbereich zuständig ist", betont auch Sabine Reisinger vom "Kinderhospiz Netz", das sich derzeit noch zu 100 Prozent über Spenden finanzieren muss. Zumindest für jene rund 25 Familien, die von ihrem Verein derzeit betreut werden, hat sich dieser Wunsch nach weniger Bürokratie bereits erfüllt. "Wenn es Schwierigkeiten gibt, kann ich im Kinderhospiz immer jemanden erreichen", erzählt Ivana Marinkovic. "Ein Glück, dass es das gibt."

Informationsabend

Am Mittwoch, 18.11., findet in den Räumen des Kinderhospiz Netz (Meidlinger Hauptstr. 57-59, 1120 Wien) ab 18 Uhr ein Infoabend für Ehrenamtliche statt (vgl. www.kinderhospiz.at)

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