Das Kamel und das NADELÖHR

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Weihnachtszeit ist Spendenzeit. Wer spendet, tut anderen und sich selbst etwas Gutes. So weit, so banal? Aus den Gaben vieler Einzelner entsteht aber noch etwas anderes: ein Markt, auf dem im Jahr 2017 laut Spendenbericht des Fundraising Verbands allein in Österreich 660 Millionen Euro umgesetzt wurden. Für 2018 wird ein noch höheres Ergebnis erwartet. Was den Anteil der Spenderinnen und Spender an der Bevölkerung (rund 60 Prozent) und die durchschnittliche Summe pro Person und Jahr (113 Euro) angeht, steht Österreich im europäischen Mittelfeld. Das Spendenwesen ist indes ein globaler Markt, den Akteure von ganz anderem Format beherrschen.

So zahlte die Bill &Melinda Gates Foundation im vergangenen Jahr 4,7 Milliarden Dollar an direkten Förderungen aus. Und Bill und Melinda Gates sind nicht die einzigen Superreichen, die sich das Geben auf ihre Fahnen geschrieben haben. 186 Einzelpersonen oder Familien sind bis heute der 2010 gegründeten Initiative "The Giving Pledge" beigetreten, mit der sich Milliardäre verpflichten, ihr Vermögen für philanthropische Zwecke auszugeben. Für den Otto-Normal-Philanthropen gibt es seit 2012 den "#GivingTuesday" am ersten Dienstag nach Thanksgiving, der sich an die globalen Shopping Events "Black Friday" und "Cyber Monday" anschließt und der, laut Website, "die Wohltätigkeitssaison anstößt". Mit dem Marktvolumen steigt der Anspruch an Effizienz bei der Verwendung der Gelder -ein Anspruch, dessen sich spezialisierte Beratungsfirmen wie "Phineo" in Berlin annehmen. Angesichts dieser Tendenzen sprechen manche gar von einer "Revolution des Gebens"(Süddeutsche Zeitung).

Historische Betrachtung der Spendenpraxis

Spenden ist nichts Neues. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gab es schon einmal einen Boom der Philanthropie. Aber um die historische Dimension des Themas zu begreifen, muss man tiefer in die Geschichte eintauchen. Man muss in die Spätantike zurückgehen, als sich im Römischen Reich eine Umwälzung der Spendenpraxis vollzog, die -man darf es so sagen -welthistorische Konsequenzen haben sollte. Von dieser Umwälzung erzählt der Althistoriker Peter Brown in seinem meisterhaften Werk "Der Schatz im Himmel", das im Englischen unter dem Titel "Through the Eye of A Needle" erschienen ist.

Der Originaltitel verweist natürlich auf das berühmte Gleichnis vom reichen Jüngling im Matthäus-Evangelium, wo die Jünger Jesu erschrocken zur Kenntnis nehmen, dass eher ein Kamel "durch ein Nadelöhr" gehe als ein Reicher in das Reich Gottes gelange. Trotz der tröstlichen Ergänzung, dass für Gott alles möglich sei, bleibt die Botschaft bis heute provokant: Reichsein und Christsein gehen nicht zusammen.

Für die meisten Menschen der Spätantike war dieser Widerspruch kein großes Problem, jedenfalls nicht bis zum Ende des 4. Jahrhunderts. Die Reichen waren damals keine Christen, und die Christen waren nicht reich. Zwar wurde ihre Religion seit Kaiser Konstantin geduldet, aber sie wurde staatlicherseits kaum gefördert. Die schwerreiche Oberschicht, der senatorische Adel, huldigte weiter den althergebrachten Kulten, während das Christentum noch lange eine Religion kleiner, wenn auch keineswegs mittelloser Leute blieb.

Der Wendepunkt in der Christianisierung

Ihren bescheidenen Wohlstand teilten viele Christen mit armen Mitbrüdern oder spendeten ihn für den Kirchenbau, wie es Inschriften auf dem Mosaikboden der Basilika von Aquileia belegen. Dagegen fühlte sich der reiche römische Adel verpflichtet, die tiefe Liebe, die er für seine Stadt empfand, in grandiosen und oft ruinösen Spektakeln auszudrücken, die er seinen Mitbürgern -und zwar nur ihnen -spendierte. Der Zirkus war Sozialpolitik auf römische Art.

Bis ungefähr 370 lebten Reiche und Christen weitgehend in verschiedenen Welten, doch dann kam Bewegung in die Verhältnisse -zumindest im lateinischen Westen des Reiches, auf den sich Browns detailgesättigte Studie "beschränkt" (immer noch ein Gebiet, das von Nordafrika bis Britannien, von Portugal bis Dalmatien reichte). Nun erst begannen die wirklich Reichen in größerer Zahl der Kirche beizutreten. Laut Brown taten sie dies nicht zuletzt deshalb, weil die christliche "Gegenkultur" einen geschützten Raum in einer Welt bot, in der alle - und an vorderster Stelle die Reichen -immerfort einen gnadenlosen Daseinskampf ausfochten. Aber aus welchen Motiven auch immer sich die Reichen nun der Kirche zuwandten, ihr Übertritt markiert für den Althistoriker "den wirklichen Wendepunkt in der Christianisierung Europas": Von da an konnten Christen "das Undenkbare denken und sich die Möglichkeit einer vollständig christlichen Gesellschaft vorstellen". Von der Möglichkeit zur Wirklichkeit war es jedoch ein weiter Weg, der keineswegs vorgezeichnet und erst im 6. Jahrhundert ganz zurückgelegt war - das andere Ende des zeitlichen Rahmens, innerhalb dessen sich Browns Studie bewegt. Zunächst erzeugte der neue Reichtum der Kirchen jede Menge Konflikte. Was wurde aus dem Staat und seinem Sozialgefüge, wenn die Reichen ihr Geld nicht mehr für Brot und Spiele herschenkten, sondern der Kirche überantworteten? Zwar fütterte auch die Kirche die Armen, aber das waren nicht mehr dieselben Armen, die von der Hand der Res Publica gelebt hatten: nämlich ausschließlich römische Bürger. Man muss unwillkürlich an die Reichen von heute denken, die ihr Geld durch Stiftungen der Besteuerung und damit dem Sozialstaat entziehen. So waren viele seiner Zeit-und Standesgenossen geradezu entsetzt, als Paulinus von Nola 390 mit der Forderung des Evangeliums ernst machte und seinen kompletten Besitz der Kirche überschrieb: konkret dem Heiligtum des Märtyrers Felix in Cimitile, Kampanien, dessen Leitung und fürstlichen Ausbau er persönlich übernahm.

Theologische Debatten über den Reichtum

Auf der anderen Seite sorgte der Zustrom des Reichtums auch in der Kirche für Gewissens- und Verteilungskonflikte. Verschiedene Kirchen, in Nordafrika etwa Katholiken und Donatisten, rissen sich förmlich um die neuen Christen, und die Theologen lieferten sich auf Konzilien und in Pamphleten erhitzte Debatten über den Reichtum, die sich noch heute in den Schriften von Ambrosius, Augustinus, Hieronymus, Pelagius und anderen Autoren nachvollziehen lassen. In diesen Kontroversen prallten traditionale und moderne, pragmatische und radikale Ansichten aufeinander. Sie zogen sich bis weit ins 5. Jahrhundert und damit in jene Zeit, als der Westen des Römischen Reiches in jahrzehntelangen Bürgerkriegen versank.

Nach dem Zusammenbruch des Westreiches stellten viele Bischöfe, vor allem in Gallien, zu ihrer Überraschung fest, dass sie "endlich richtig reich geworden waren". Allerdings waren sie bloß Verwalter eines Reichtums, den ihnen christliche Laien übertragen hatten, in der Hoffnung, einen "Schatz im Himmel" anzuhäufen, der ihnen einst in der anderen Welt jenseits des Grabes zugute kommen würde. Mit ihren Spenden machten die Laien nicht nur die Kirche reich, sondern sie formten sie auch, etwa indem sie von den tüchtigen Managern des kirchlichen Reichtums, von den Bischöfen und ihrem Personal verlangten, dass sie erkennbar heiliger seien als sie selbst. So förderten sie die Klerikalisierung der Kirche und wiesen ihr den Weg ins Mittelalter.

Peter Browns fesselndes Buch über den Reichtum der Kirche am Übergang von der Antike zum Mittelalter taucht diese oft beschworene, aber kaum wirklich bekannte Umbruchszeit in ein neues, erhellendes Licht. Und es zeigt, dass, wer spendete, schon damals nicht nur einfach etwas Gutes tat, sondern -absichtlich oder unabsichtlich -die Welt langfristig veränderte.

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