"Das kann man nicht mit Geld messen"

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Ein kleiner Kredit kann ein ganzes Dorf von der Armut befreien. Unter dieser Devise finanziert Oikocredit seit über 40 Jahren Projekte in Entwicklungsländern. Dass monetäre Unterstützung allein aber nicht ausreicht, erklärt Südostasien-Koordinatorin Pantua-Juanito.

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Ein kleiner Kredit kann ein ganzes Dorf von der Armut befreien. Unter dieser Devise finanziert Oikocredit seit über 40 Jahren Projekte in Entwicklungsländern. Dass monetäre Unterstützung allein aber nicht ausreicht, erklärt Südostasien-Koordinatorin Pantua-Juanito.

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Vor zehn Jahren bekam Muhammad Yunus, Gründer der "Grameen Bank", den Friedensnobelpreis. Oikokredit-Koordinatorin Marilou Pantua-Juanito über die aktuellen Herausforderungen des Mikrofinanzsektors.

DIE FURCHE: Vor drei Jahren hat der Taifun Haiyan große Teile der Philippinen verwüstet. Was macht Oikocredit bei so einer Katastrophe?

Marilou Pantua-Juanito: Zuerst sprechen wir mit unseren Partnern vor Ort und fragen sie, wie die Situation aussieht. Oft bekommen sie dann Geld aus unserem Solidaritätsfond oder wir schicken ihnen Hilfsgüter. Während "Haiyan" waren acht unserer Partner völlig isoliert. Die Regierung konnte nichts tun, weil die Straßen überschwemmt waren. Aber zum Glück hatten sie Hilfsgüter aufgehoben und konnten so den Leuten vor Ort schnell helfen. In solchen Situationen geben wir auch Notfallkredite.

DIE FURCHE: In welchem Sektor sind Ihre Partnerorganisationen in Südostasien aktiv?

Pantua-Juanito: Wir arbeiten viel mit landwirtschaftlichen Genossenschaften zusammen, die zum Beispiel Düngemittel oder Setzlinge brauchen und mit Betrieben, die das Gemüse von Kleinbauern aufkaufen und dann bei Bauernmärkten anbieten. Aber wir unterstützen auch Häuserprojekte wie das in Kambodscha. Da können die Leute Land kaufen und auf dem Land Häuser bauen. Bei normalen Banken hätten sie nur fünf Jahre Zeit, um das Geld zurückzuzahlen. Das ist aber für viele einfach zu kurz. Deshalb geben wir ihnen 15 Jahre, damit sich die Investition amortisieren kann.

DIE FURCHE: Was treibt Sie persönlich an?

Pantua-Juanito: Wenn ich in ein Dorf fahre und mit den Menschen spreche, dann macht mich das glücklich. Dann sehe ich, dass eine Frau, die vorher immer in die Büsche gehen musste, sich jetzt ein Klo leisten kann. Oder wenn ich sehe, dass die Menschen ihre Kinder in die Schule schicken können und genug zum Essen haben. Auf den Philippinen sind 12 Prozent der Bevölkerung unterernährt. Für uns ist das vielleicht nichts Besonderes, aber für die Leute dort bedeutet es sehr viel, eine warme Mahlzeit zu haben. Wir haben vor Kurzem ein Trainingsprogramm für Naturkatastrophen gemacht. Zwei Wochen nachdem das Programm zu Ende war, kam wirklich ein Taifun. Ich habe die Leute angerufen und gefragt, ob sie schon davon gehört haben. Und sie haben mir erzählt, dass sie schon alles vorbereitet haben: Generatoren, Reis zum Essen, alles. Am nächsten Tag waren sie wieder am Arbeiten. Durch das Training, das sie bekommen hatten, wussten sie, was sie zu tun hatten. So einen Erfolg kann man nicht mit Geld messen, aber für mich ist das trotzdem viel wert.

DIE FURCHE: Was zeichnet Mikrofinanzierung für Sie aus?

Pantua-Juanito: Mikrofinanzierung bedeutet, dass arme Menschen Kleinkredite bekommen, um ihren Lebensunterhalt verdienen zu können und ihre Geschäftsideen umsetzen zu können. Viele dieser Leute hätten sonst gar keinen Zugang zu Krediten, weil sie kein Bankkonto haben. Oikocredit vergibt zwar auch direkt Kredite an Kleinbetriebe und Genossenschaften, aber in erster Linie finanzieren wir bestehende Mikrokreditprogramme vor Ort.

DIE FURCHE: Und was für Mikrokreditprogramme sind das?

Pantua-Juanito: Das sind Kooperativen wie zum Beispiel ASKI. 80 Prozent der Klienten von ASKI leben unter der Armutsgrenze. Sie geben den Leuten am Anfang einen Kredit von 10.000 Pesos, ohne dafür eine Sicherheit zu verlangen. Die Klienten, oft eine Gruppe von Frauen in einem Dorf, haften dann füreinander. Sie treffen sich regelmäßig und machen Businessmanagement-Trainings. Wenn das Projekt Erfolg hat, wird das Kreditvolumen erhöht. Und wir unterstützen Minisupermarkt-Kooperativen in kleinen Dörfern, damit die Menschen nicht mehr für jeden Einkauf eigens in die Stadt fahren.

DIE FURCHE: Wie wählen Sie Ihre Partnerorganisationen aus?

Pantua-Juanito: Wir haben eine Karte, die sogenannte SEG Card. Wir bewerten sie nach sozialen Kriterien und Umweltkriterien. Bieten sie Gemeinschaftsentwicklungsprojekte an? Haben sie Umweltstandards? Damit wollen wir sicherstellen, dass unsere Partner nicht nur wirtschaftliche, sondern auch soziale Ziele verfolgen. Und dann sehen wir uns ihren Business Plan genauer an.

DIE FURCHE: Was passiert, wenn sie die Kredite nicht zurückzahlen können?

Pantua-Juanito: Wir sprechen zuerst einmal mit ihnen. Wir sehen uns an, wie viel fehlt, und suchen gemeinsam eine Lösung. Meistens kommt es dann zu einer Restrukturierung und wir schließen einen neuen Vertrag. Wir zwingen unsere Partner aber nicht, den Kredit zurückzuzahlen.

DIE FURCHE: Letztes Jahr waren 86 Prozent Ihrer Klienten Frauen. Warum will Oikocredit Frauen besonders fördern?

Pantua-Juanito: In Südostasien, besonders in Indonesien, dürfen Frauen zwar arbeiten, sie haben aber einen niedrigeren Status als Männer. Sie bekommen nicht denselben Lohn für dieselbe Arbeit und es gibt keine Chancengleichheit zwischen Frauen und Männern. Die Frauen wollen zwar auch ihren Teil zum Familieneinkommen beitragen, aber ihnen fehlt das notwenige Kapital. Mikrokredite geben ihnen größere Rechte und einen höheren Status.

DIE FURCHE: Oikocredit entstand vor fast 50 Jahren ausgehend von einer Initiative des Ökumenischen Weltkirchenrates. Spielen christliche Organisationen immer noch eine große Rolle?

Pantua-Juanito: Ja, sehr viele unserer Partnerorganisationen auf den Philippinen sind christliche Organisationen mit christlichen Werten. Aber sie geben auch den Muslimen und Menschen mit anderen Religionen Kredite. Das macht für sie keinen Unterschied.

DIE FURCHE: Schon 2009 warnte Oikocredit vor der Gefahr der Überschuldung durch Mikrokredite. Wie haben Sie seitdem auf dieses Problem reagiert?

Pantua-Juanito: In Kambodscha haben wir mit anderen Mikrofinanzinstitutionen und mit der Zentralbank zusammengearbeitet. Es gab Berichte, dass Überschuldung dort ein großes Problem ist, und es hat sich gezeigt, dass das tatsächlich der Fall war. Deswegen haben wir dann ein Kreditbüro eingerichtet, wo die Mikrofinanzinstitutionen alle Informationen über ihre Klienten bekommen können: zum Beispiel, ob sie überverschuldet sind. Wir bieten auch Risikomanagement-Trainings an. Oikocredit sucht eine Balance zwischen unseren wirtschaftlichen und sozialen Zielen. Darauf legen wir vor allem Wert, wenn wir unsere Partnerorganisationen aussuchen.

DIE FURCHE: Wie sieht die Zukunft von Oikocredit aus?

Pantua-Juanito: Nächstes Jahr wird Oikocredit weltweit den Fokus auf Afrika legen. Wir wollen aber auch generell unser Portfolio erweitern. Wir fangen jetzt an, in erneuerbare Energien und in die gesamte landwirtschaftliche Wertschöpfungskette zu investieren.

Das Gespräch führte Johannes Lang

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