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Das Sterben gehört zum Leben

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Der kranke und der sterbende Mensch steht für die Hospiz-Bewegung im Mittelpunkt, die Wünsche und Bedürfnisse des Schwerkranken ernst nehmen heißt gleichzeitig auch, ihn in seiner Ganzheit so zu nehmen wie er ist. In die Betreuung von Schwerstkranken und Sterbenden werden aber auch die Familie, Freunde und Partner integriert. Sterben im Kreis der Familie soll durch Hospiz-Betreuung ermöglicht werden. Die Hospizbewegung will auch Wissen und Erfahrung weitergeben, aufklären und informieren, damit der Kreis aus Angst und Unsicherheit durchbrochen wird und ein guter Umgang mit Sterbenden möglich wird.

Ein Hospiz ist ein Ort der Begegnung, eine Wegstation, ein Ort des Durchgangs, der Ankunft und der Abreise. Ursprünglich stammt der Begriff aus dem Lateinischen und bedeutet dort Gast, Gastgeber (hospes) oder Gastfreundschaft (hospitium).

Im Mittelalter' waren Hospize in ganz Europa verbreitet. Pilger und Reisende fanden im Hospiz Herberge, bis sie weiterzogen, und sie erhielten Pflege, wenn sie krank und verwundet waren oder im Sterben lagen. Hospize wurden in der Regel von kirchlichen Ordensgemeinschaften auf der Basis selbstloser Nächstenliebe geführt.

Der Weg durch die Jahrhunderte führt gegen Ende des 19. Jahrhunderts zu den Irish Sisters of Charity. Diese gründeten in Dublin das Our Lady's Hospice, ein Krankenhaus, in dem Langzeitpatienten und Sterbende betreut wurden. 1905 eröffnete derselbe Orden das St. Joseph's Hospice in London. Hier vertieften die Sisters of Charity ihre Tradition weiter und legten das Schwergewicht auf die Betreuung Sterbender.

Mit der englischen Arztin Cicely Saunders bekam der Begriff „Hospiz" eine neue Bedeutung. Während ihrer Tätigkeit im St. Joseph's Hospice in den fünfziger und sechziger Jahren entwickelte sie sich zur Spezialistin für Schmerzbekämpfung und für die Pflege unheilbar Kranker. Zusammen mit einigen Patientinnen und Patienten erarbeitete Cicely Saunders Pläne und Konzepte für das St. Christopher Hospice, welches 1967 in London eröffnet wurde.

Saunders und das Hospice wurden wegweisend für die Betreuung Sterbender, für die Grundhaltung, den spezifischen Wünschen Sterbender zu entsprechen und ihnen eine lebenswerte Zeitspanne bis zum Tod zu ermöglichen. An dem St. Christopher Hospice orientieren sich heute viele der inzwischen auf der ganzen Welt entstandenen Hospize.

1969 erschien in den USA das Buch von Elisabeth Kübler-Ross: „On Death and Dying" (Interviews mit Sterbenden). Die aus der Schweiz stammende Psychiaterin forderte mit ihren Forschungsarbeiten die öffentliche Auseinandersetzung mit den Themen Tod und Sterben heraus. Ihr Einfluß steht am Anfang der Hospiz-Bewegung, die sich innerhalb weniger Jahre zu entwickeln begann und mittlerweile weltweit Fuß gefaßt hat.

Hilfe für Angehörige

Inspiriert durch den Film von Rein-holf Iblacker SJ „Noch 16 Tage" über das Londoner St. Christopher Hospice und einen Studienaufenthalt von Jutta Rett in diesem Haus, veranstaltete Schwester Hildegard Teuschl von der Caritas Socialis in Wien im Jahre 1978/79 in der Caritas-Lehranstalt erstmals einen einjährigen Kurs für Sterbebegleitung. Ab diesem Zeitpunkt beginnt die Arbeit in Österreich mit einer interdisziplinären Gruppe von zwölf Experten im Rahmen der Caritas Socialis mit Planungsgesprächen für die Hospiz-Arbeit in Wien. Es folgen Studienreisen zu Hospiz-Initiativen in England, Deutschland und Belgien.

Im Herbst 1989 nimmt die Caritas Wien die ersten Mitarbeiter für ein ambulantes Hospiz-Team auf. Ab 1993 entstehen in fast allen Bundesländern kleinere Hospiz-Initiativen.

Der mobile Hospiz-Dienst der Caritas nahm seine Tätigkeit im Jahre 1989 auf. Er begann mit drei Diplomkrankenschwestern, die teilzeitangestellt waren, sowie zwei ehrenamtlichen Ärzten. Einer davon war und ist Primarius Franz Zdrahal.

Die anfängliche Ehrenamtlichkeit wandelte sich für einige Mitarbeiter später in teilweise Angestelltenverhältnisse, es kamen Krankenschwestern dazu, weil auch die Zahl der Patienten wuchs. Heute gibt es sieben Diplom-Pflegekräfte, drei angestellte Ärzte und zwei ehrenamtlich tätige Ärzte, die aber genauso Wochenend-Dienste machen. Am Wochenende gibt es schwesterliche und ärztliche Bereitschaft, wobei da sehr oft die Rolle des Hausarztes übernommen werden muß, weil sich ja praktische Arzte in Wien generell durch den Ärzte-Notdienst vertreten lassen.

Primarius Zdrahal: „Wir betreuen Menschen jeglichen Alters, die an einer bösartigen Erkrankung leiden, und nach menschlichem Ermessen nicht heilbar sind, zu Hause. Es sind Menschen, die bewußt oder unbewußt dieses ,Schwarze Loch' vor Augen haben. Die überwiegende Zahl der Patienten weiß das auch. Angehörige werden bei der Betreuung ihrer Kranken beraten, auf Wunsch begleiten wir sie auch in ihrer Trauer. Wir bieten unsere Dienste von Montag bis Freitag tagsüber an, an Wochenenden sowie an Feiertagen gibt es einen Bereitschaftsdienst. Eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung ist routinemäßig nicht möglich."

Wie kommt man als Patient zur Hospiz-Betreuung zu Hause?

Ein Angehöriger, ein Hausarzt, ein Arzt oder eine Schwester, beispielsweise von einer onkologischen Station, ruft im Stützpunkt des Mobilen Caritas Hospiz an. Bei dieser Erstanfrage werden alle Daten, soweit vorhanden, erfragt und notiert. Danach erfolgt eine Erstvisite (Schwester/ Pfleger oder Arzt) bei der die Betreuungsintensität, eventuell auch Schmerztherapie besprochen wird und erste Ratschläge zur Erleichterung der Pflege gegeben werden.

Für eine Betreuung zu Hause sind mehrere Voraussetzungen notwendig: Nicht nur ein solides fachliches Grundwissen und praktische Erfahrung, die sogenannte „Palliativbetreuung", das heißt Linderung von unangenehmen Beschwerden unter

Berücksichtigung verschiedener Dimensionen (physisch, psychisch, sozial und spirituell), ist angesagt.

In England ist das Zusatzfach „Palliativmedizin" seit 1987 anerkannt, in Paris gibt es ein viersemestriges Studium in Blockform, in Osterreich beginnt man sich erst allmählich mitdie-ser Art der Betreuung auseinanderzusetzen.

Da das Hospiz-Team in erster Linie Krebs- und Aids-Patienten in der Endphase ihrer Krankheit betreut, ist die Linderung körperlicher, seelischer, sozialer und spiritueller Nöte in der Begleitung der Schwerkranken oberstes Gebot.

Grundsätzlich bekommt jeder Arzt im Zuge seiner Ausbildung das theoretische Büstzeug mit, das er zur Betreuung unheilbar Kranker benötigt. Die Umsetzung ist aber nicht immer leicht. Primarius Zdrahal dazu: „Unser Denken ist vom absoluten Heilungsanspruch geprägt, außerdem geht jeder in erster Linie vom eigenen Spezialfach aus und denkt in diesen Kategorien.

Das Wissen darum"!« welche palliativmedizinische Maßnahme gerade im speziellen Fall sinnvoll ist, sollte sich jeder mit terminalen Patienten befaßte Arzt, auch der Praktische Arzt, aneignen. Dazu kommt, daß die Angst vor den sogenannten Suchtgiften bei Patienten, Angehörigen und Hausärzten gleichermaßen anzutreffen ist und so ein großes Hindernis für eine gute Schmerzkontrolle darstellt. Das Wort ,Morphium' allein löst bei manchen Kranken die angstvolle Bemerkung aus: Jetzt haben Sie mich endgültig aufgegeben!"

Auch die Angst vor Suchtentwicklung spielt hier eine große Rolle. Allen Beteiligten muß in mühevoller Gesprächsarbeit verständlich gemacht werden, daß bei einer fachgerechten Schmerztherapie keine Suchtgefahr besteht. Der bürokratische Aufwand beim Verschreiben von Morphinen erhöht die Begeisterung der Ärzte bei der Ausstellung von „Suchtgiftrezepten" nicht sonderlich. Eine liberale „Suchtgiftverschrei-bung" wie zum Beispiel in England hat übrigens keinerlei quantitativen Einfluß auf die „Suchtgiftszene". Seit 1. Oktober 1989 betreuen die Teammitglieder des Mobilen Caritas Hospiz zirka 1.100 Krebspatienten und mehrere Aids-Patienten zu Hause.

Primarius Zdrahal: „Das wahrscheinlich unrealistische Fernziel der Hospizbewegung ist es, sich selbst unnötig zu machen. Das würde dann der Fall sein, wenn in allen Bereichen unseres Gesundheits- und Sozialsystems Schwerkranke und Sterbende auch die letzte Phase ihres Lebens menschenwürdig erleben könnten. Da wir davon aber noch weit entfernt sind, versuchen die Hospize ihre Erfahrungen im Umgang mit Schwerkranken an alle relevanten Berufsgruppen weiterzugeben." Die Teammitglieder des Mobilen Caritas Hospiz halten auch immer wieder Beferate und gestalten Unterrichtseinheiten in Pflegeschulen und Fortbildungszentren.

Unsere Dienste sind für Patienten und deren Angehörige völlig unentgeltlich und werden unabhängig von Religion, sozialem Status und Staatsbürgerschaft geleistet. Finanziert wird das Mobile Caritas Hospiz zu zwei Drittel von der Gemeinde Wien. Um den beachtlichen Rest aufzubringen, macht die Caritas Benefizveranstaltungen und wirbt um Spenden für das mobile Hospiz-Team.

Mobiles Caritas Hospiz, Albrechtskreithgasse 21, 1160 Wien Tel 0222/489 07 )5, Spendenkonto: Erste Österr. Sparkasse 068-22088.

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