"Das unerwartete Kind ist nicht dein Feind"

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Die frühere linke deutsche Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Karin Struck ist heute Alleinerzieherin von vier Kindern und kämpft auch in ihrem neuen Buch leidenschaftlich für das ungeborene Leben.

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Die frühere linke deutsche Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Karin Struck ist heute Alleinerzieherin von vier Kindern und kämpft auch in ihrem neuen Buch leidenschaftlich für das ungeborene Leben.

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Ihr politisches Herz hat viele Jahre links geschlagen. Sehr links. Ihre Dissertation über die "Ästhetik der Arbeiterliteratur" hat die deutsche Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Karin Struck allerdings nie abgeschlossen. Der große Erfolg ihres Debütromans "Klassenliebe" (1973) kam ihr, wenn man so will, dazwischen. Unter den Rezensenten ihres zweiten, ebenso erfolgreichen Romans "Die Mutter" (1975) finden sich so prominente Namen wie Heinrich Böll und Peter Handke. Zahlreiche Veröffentlichungen, Hunderte Lesungen, literarische Auszeichnungen sowie Aufträge für den Rundfunk folgten in den achtziger Jahren.

Dann aber wird es still um Struck. Feministische Mitstreiterinnen kreiden der Autorin ihre wiederholt geäußerten kritischen Bemerkungen zur Abtreibung an. Eine Frauenrechtlerin, die etwas gegen das Frauenrecht "Abtreibung" hat? Das paßte nicht in die vorgefertigten Denkschubladen und wurde mit entsprechender Ausgrenzung bestraft - auch von den Medien. Das deutscheWochenmagazin "stern" bezeichnet Struck Anfang der neunziger Jahre als "erbittertes Muttertier", der "Spiegel" scheut sich nicht, sie ins Eck der"Mutterschaftsautorin" zu stellen.

Wenngleich sie derartige Denunzierungen und späteres Totgeschwiegen werden schmerzen, hält die einstige Aktivistin der 68er-Studentenrevolte unbeirrt an ihrer Überzeugung fest: "Ich lasse mir von niemandem einen Maulkorb umhängen." Sie schreibt weiter zu ihren Themen: Frau sein, Mutter sein - und zur Abtreibung. Unbequem, schonungslos. Gegenüber sich selbst, aber auch gegenüber der "veröffentlichten Meinung", die den Menschen vorgaukle, Abtreibung sei die Lösung für Frauen (oder Männer) in Not - oder gar für die Kinder.

Struck weiß, wovon sie spricht. Sie hat es selbst schmerzvoll erlebt, was sie glaubwürdiger als alle an Argumenten noch so angereicherten Theoretiker macht. Die Abtreibung ist, wie sie sagt, "eine schreckliche Kapitulation, eine Verzweiflungs- und Paniktat". Ihr Buch mit dem Titel "Ich sehe mein Kind im Traum. Reflexionen zur Kultur des Lebens", dessen zweite, überarbeitete Auflage eben erschienen ist, hat einen biographischen Ausgangspunkt.

Von ihrem ersten Mann geschieden, wird sie 1973 Mutter eines zweiten, allerdings unehelichen Kindes und ist nun alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Sie ist ehrgeizig, möchte beruflich viel erreichen und bekommt auch schon bald Literaturpreise. Ihre Situation als alleinerziehende Mutter ist schwierig. Manche Einladungen muß sie wegen der Kinder - sie sind halbtags im Kindergarten - absagen. Vormittags und nachts schreibt sie.

"Das Kind oder ich?"

Nach einer Liaison wird sie 1975 wieder schwanger. Sie gerät in Panik: "Ich dachte, mit dem dritten Kind ist jetzt mein Leben vorbei." Nun bräuchte sie Hilfe, eine positive Beratung, um für das Kind und sich selbst kämpfen zu können. Aus ihrer unmittelbaren Umgebung ist diese Hilfe nicht zu erwarten. Der Kindesvater hat kein Problem mit einer Abtreibung des Kindes, schließlich sei es ihre Entscheidung.

Im Rückblick spricht Struck von der"furchtbaren Scheinalternative" - "entweder das Kind oder ich" -, vor der sie sich wie Tausende andere Frauen gestellt sah. Wenn auch unausgesprochen, sucht sie nach seelischer Unterstützung, nach jemanden, der ihr Mut zu ihrem Kind macht. Instinktiv ruft sie (anonym) bei einer Stelle der evangelischen Kirche an, der sie zumindest noch dem Taufschein nach angehört.

Die Enttäuschung darüber, daß der Pastor sie in dieser Extremsituation bloß dazu aufforderte, sich nach ihrem Gewissen zu entscheiden, schmerzt Struck bis heute. Im Telefonbuch findet sie schließlich eine Beratungsstelle mit dem vertrauenerweckenden Namen "Pro-Familia". Statt einer positiven Beratung bekommt sie jedoch die Adresse eines Arztes, der sie postwendend zu einer schnellen Abtreibung nach Holland schickt. Jahrelang leidet Struck an den Folgen der Abtreibung, grübelt, denkt nach, schreibt nieder und spricht mit anderen Betroffenen, bis sie erkennt, daß ihre bittere Erfahrungen kein Einzelfall sind.

Symptome wie Schlafstörungen, Alpträume, in denen das ungeborene Kind auftaucht, Hyperaktivität, totale innere Leere, Absterben des emotionalen Lebens ("Roboter feeling"), Depression und Haß gegen alle Mit-Verantwortlichen der Abtreibung, allen voran gegen den Kindesvater, sind Teil des sogenannten"Post-Abortion-Syndroms" (PAS), das bereits Eingang in die medizinisch-wissenschaftliche Literatur gefunden hat. Daß von diesen Folgen weder in der Öffentlichkeit noch bei der Schwangerenberatung gesprochen wird, empfindet Struck bis heute als tiefe Ungerechtigkeit gegenüber den Frauen. Jeder Arzt, der vor einer Blinddarmoperation nicht ausreichend über mögliche Risiken aufklärt, kann gerichtlich belangt werden.

Todesspirale Warum aber, so fragt Struck, werden die psychosomatischen und sozialen Folgeerscheinungen der legalen Abtreibung hartnäckig verschwiegen? "Die Todesspirale der Abtreibung hat mich viele Jahre meines Lebens gekostet. Anstatt mir Probleme vom Hals zu schaffen, hat sie mir Jahre gestohlen, Kraft genommen und Probleme erzeugt", bekannte Karin Struck, die auf Einladung der Katholischen Hochschulgemeinde Wien-Ebendorferstraße ihr Buch "Ich sehe mein Kind im Traum", vor kurzem in Wien vorstellte. Sie hat es allen Widerständen zum Trotz geschrieben, um selbst "den Weg aus dem Schmerz zu finden", und um anderen zu helfen, ihr unerwartetes Kind nicht als Feind zu betrachten, sondern als Geschenk zur Welt zu bringen.

Geschrieben hat sie es auch als stille Bewunderin jenes "alten, weisen Mannes", des jetzigen Papstes, Johannes Paul II, dessen unerschrockener Einsatz für eine Kultur des Lebens sie beeindruckt. Vor drei Jahren ist Struck katholisch geworden. Kann man in der heutigen Gesellschaft überhaupt "Mut zur Mutterschaft" machen? Wenn Struck von ihrer eigenen Erfahrung der Mutterschaft spricht, hat das wahrlich nichts Idyllisches an sich.

Den Spieß umdrehen Heute ist die 52jährige Schriftstellerin zweifach geschieden und alleinstehende Mutter, die vier Kinder zu versorgen hat: "Ich weiß, wie hart das Leben einer Alleinerzieherin und Alleinverdienerin ist", entgegnet sie allen, die ihr"Heim an den Herd"-Parolen unterstellen wollen und fügt mit Leidenschaft hinzu: "Ich stehe zum Aufbruch der Frau, zu Frauenrechten!" Was der radikale Feminismus - den sie mittlerweile als die "Kinderkrankheit der Frauenrechtsbewegung" sieht - an Frauenbildern anbietet, hält sie hingegen für überholt, auch wenn es tief in den Köpfen der Menschen festgefahren ist. Sie will den Spieß umdrehen. "Wir müssen die Frauen als Frauen stärken", betont Struck, die davor warnt, das Kind nur als ein "Anhängsel" zu betrachten.

Kinder werden heute als Hindernis der weiblichen Selbstverwirklichung empfunden, als etwas, was "abgespeist und abgefüttert gehört und schon mit sechs Jahren selbständig zu sein hat". Man will bewußt das "Leben mit dem Kind aus dem Leben der Frau herausheben", kritisiert Struck. Das Resultat ist "ein Kästchendenken", in dem das Leben mit Kind, das Leben mit Beruf, das Leben des alten Menschen und so weiter wie "amputierte Lebensstücke" nebeneinander liegen.

Die Dimension der Mutterschaft, die Struck nicht nur biologisch, sondern auch als geistige Dimension, als dynamisches Seinsprinzip versteht, wäre das geistige Band, das die gesellschaftliche Zersplitterung und Aushöhlung aufhalten könnte, tragfähig genug, um scheinbar Unvereinbares kreativ miteinander zu verbinden. Wenn die alte Löwin brüllt, tut sie es aus Liebe zu den in Not geratenen Frauen - und, wie sie selbst sagt, im "Kampf gegen die Unkultur des Todes".

Die Herausforderung Mutterschaft und Vaterschaft als"kulturelle Reifeprozesse" müsse man annehmen. Dann würden auch die positiven Seiten des Elternseins deutlich. Denn "daß man durch Kinder auch Kraft bekommt, das erzählt einem keiner!" sagt Struck.

BUCHTIP Ich sehe mein Kind im Traum. Reflexionen zur Kultur des Lebens. Von Karin Struck. Verlag Fiat Domine, Wien 1999. 455 Seiten, öS 245,-/e 17,80. Fax: (01) 586 94 11/30

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