"Das verschafft nur eine Atempause"

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Diese Woche wird das Gesundheitsreformgesetz im Parlament abgesegnet. Reiner Brettenthaler, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, spricht im furche-Interview über die Knackpunkte dieses Pakets aus Ärztesicht: über die gekürzten Zuschüsse für Brillen, über die Neuregelung der Chefarztpflicht und über die (Selbst-)Kontrolle ärztlicher Qualität.

Die Furche: Diese Woche wird das Gesundheitsreformgesetz vom Parlament abgesegnet. Sind Sie damit zufrieden?

Reiner Brettenthaler: Es verschafft uns erst einmal eine Atempause, die aber nicht ewig dauern wird. Spätestens im Jahr 2007, also nach der österreichischen EU-Präsidentschaft und nach den Nationalratswahlen, werden wir eine Grundsatzdiskussion führen müssen, wie das österreichische Gesundheitswesen zu finanzieren sein wird. Wenn Gesundheit wirklich das höchste Gut ist, dann wird man entsprechend Geld dafür aufwenden müssen.

Die Furche: Wesentliches Ziel war eine ganzheitliche Planung der Versorgung. Sehen Sie diesbezüglich in dem Reformpaket - wie die Gesundheitsministerin - einen "Paradigmenwechsel"?

Brettenthaler: Den sehe ich vor allem deswegen nicht in diesem Ausmaß, weil ja die Verfassungswirklichkeit in Österreich eine andere ist. Solange der Bürgermeister einer kleinen Gemeinde mehr über die Errichtung oder Nichterrichtung eines Spitals zu sagen hat als die Gesundheitsministerin, kann man nicht von einer gemeinsamen Planung in Österreich ausgehen. Aber grundsätzlich ist der Ansatz, die Versorgungslandschaft gemeinsam gestalten zu wollen, richtig. Letztendlich ist ein Kompromiss herausgekommen, indem in der Bundesagentur und in den Länderplattformen alles im Einvernehmen zu regeln ist. Darauf bezieht sich auch unsere Skepsis - oder unser Optimismus, dass in diesen Gremien am Ende der Wille siegt, von den eigenen Interessen der Beteiligten - also Bund, Länder und auch Ärzte - ein wenig abzusehen.

Die Furche: Um Kassen und Spitäler finanzieren zu können, hat man sich unter anderem zur Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge und zu Leistungskürzungen in der Höhe von 300 Millionen Euro entschlossen. Wurde an den richtigen Stellen gespart?

Brettenthaler: Ich bin überzeugt davon, dass die Erhöhung der Beiträge notwendig war - und eine richtige Maßnahme ist, weil sie sehr solidarisch ist. Manche anderen Maßnahmen, insbesondere die Tabaksteuer, hätte man aber noch viel mehr erhöhen sollen...

Die Furche: Das fordern Sie als Pfeifenraucher?

Brettenthaler: Natürlich. Pfeifenrauchen ist angeblich weniger gefährlich als Zigarettenrauchen, aber wie auch immer: Rauchen gehört zu den größten Risikofaktoren, die in der Gesellschaft vorhanden sind.

Die Furche: Eine andere Maßnahme, nämlich die Kürzung beim Brillen-Zuschuss, wurde heftig kritisiert: Nun hat man sich darauf geeinigt, den Zuschuss generell - also unabhängig von der Sehbehinderung - von 77 Euro auf 27,40 Euro pro Brille zu kürzen. Ausgenommen sind Kinder bis 15 Jahre, Rezeptbefreite und Pensionisten unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz. Was halten Sie davon?

Brettenthaler: Wir als Ärztekammer sind natürlich in keiner Weise glücklich über Leistungskürzungen im Krankenkassenbereich. Die genannte Regelung der Sehbehelf-Zuschüsse ist wohl die einzig vernünftige administrative Lösung, weil medizinische Ausnahmen immer sehr schwierig festzustellen sind. So gibt es wenigstens eine klare Regelung, die wir natürlich nicht begrüßen, aber auch nicht weiter kommentieren.

Die Furche: Wollen Sie die neue Chefarztpflicht-Regelung kommentieren, wonach die Ärzte hinsichtlich ihrer Verschreibepraxis ab 1. Jänner 2005 bis zur Einführung der E-Card im Nachhinein überprüft werden sollen?

Brettenthaler: Generell tragen wir diese Übergangsregelung mit. Sie entspricht unserem ursprünglichen Ziel, die Verantwortung der verschreibenden Ärzte zu stärken und die Bürokratie so weit wie möglich zurückzudrängen. Ob das im Bereich der Dokumentation, die ja nun vorgesehen ist, auch gelingen wird, oder ob man die Bürokraten wüten lassen wird, das wird sich weisen. Wir werden uns entsprechend zur Wehr setzen, damit wir neben unserer Verwaltungsarbeit gelegentlich auch die Patienten behandeln können! Wir sind auch mit der Gesundheitsministerin übereingekommen, dass man die ersten sechs bis acht Wochen mit Provisorien arbeiten muss, bis die niedergelassenen Ärzte ihre EDV-Anlagen umgerüstet haben und auch die Spitalsärzte ausreichend informiert wurden. Dieses Provisorium kann man dann natürlich im Nachhinein nicht so bewerten wie fixe Regelungen.

Die Furche: Apropos Überprüfung: Die Ärztekammer hat eine Gesellschaft für Qualitätssicherung gegründet, die - nach einer Selbstevaluierung der Ärzte - die Ordinationen stichprobenartig prüfen soll. Ist es sinnvoll, die Qualitätskontrolle der Ärzte in der eigenen Kammer anzusiedeln?

Brettenthaler: Die so genannten "Verifikatoren", die in die Praxen gehen, kommen ja nicht aus der Ärztekammer, sondern wir haben die Stellen öffentlich ausgeschrieben. Die Gesellschaft für Qualitätssicherung hat auch weitgehende Unabhängigkeit. Dass wir uns so bemüht haben, das bei uns in einer eigenen Gesellschaft zu organisieren, hängt mit unserem Verständnis als Freiberufler zusammen: Wir wollen unser Haus im Rahmen der Gesetzgebung selber bestellen. Wir wollen keine staatlichen Kommissare in den Wartezimmern sitzen haben.

Die Furche: Experten wie der Gesundheitsökonom Christian Köck meinen aber, das sei so, wie wenn man die Kontrolle der Fleischhauer der Fleischerinnung überlassen würde...

Brettenthaler: Ich glaube nicht, dass das richtig ist: Solche Vergleiche könnte man sich sparen.

Die Furche: Was soll mit "schwarzen Schafen" passieren, die den Qualitätsvorschriften nicht entsprechen?

Brettenthaler: Ich möchte nicht von "schwarzen Schafen" sprechen. Die Gesellschaft ist bemüht, die Qualität zu heben - und das erreicht man nicht primär dadurch, dass man den Leuten Strafen androht. Wir möchten vielmehr unseren Kolleginnen und Kollegen Hilfestellungen geben, um die geforderten Qualitätsstufen zu erreichen. Wenn einzelne glauben, sie könnten sich hier ausklinken, dann werden sie dringendst aufgefordert, sich dem anzuschließen. Das kann natürlich auch in Richtung Strafe gehen.

Die Furche: Neben mehr Qualität wird von den Ärzten auch mehr Augenmerk für Prävention verlangt. So sollen die Hausärzte im Zuge der "Vorsorgeuntersuchung neu" verstärkt als Gesundheitscoaches fungieren. Sind sie für diese Herausforderung gerüstet?

Brettenthaler: Diese Aufgabe ist ja nicht neu: Natürlich sprechen die meisten von uns mit den Patienten über ihre Gewohnheiten - ich hoffe das zumindest. Es wird aber ein neuer Fokus auf die Primärprophylaxe gelegt. Insofern ist die neue Vorsorgeuntersuchung ein richtiger Ansatz. Natürlich ist die Gesundenuntersuchung oft ziemlich zeitaufwändig und frustrierend. Eine Pille zu verschreiben ist meistens einfacher - und manchmal auch erfolgreicher - als der vergebliche Appell an den Patienten, sein Leben zu ändern. Es muss heute eben immer rasche Erfolge geben. Die Pharmaindustrie ist ja auch deswegen so erfolgreich, weil sie genau diesen Zeitgeist trifft.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Ein Arzt, der sich was pfeift

Reiner Brettenthaler ist ein Genussmensch: Sobald es die Zeit erlaubt - unter anderem während Interviews -, zündet er seine Pfeife an und gönnt sich dazu eine Tasse Tee. Ungeachtet dessen ist Brettenthaler, der von 1980 bis 2003 Präsident der Salzburger Ärztekammer war und seither an der Spitze der Bundes-Organisation steht, ein überzeugter Anhänger der geplanten Rauchverbote in öffentlichen Räumen. Schließlich ist er solche Restriktionen von seinen Reisen längst gewöhnt: "Ich war zuletzt in Göteborg und habe in einem Restaurant gefragt, ob ich hier rauchen darf. Die Kellnerin hat mich angeschaut, als ob ich nach Marsmännchen fragen würde: Also selbstverständlich nicht!" Mehr Durchsetzungsvermögen als in Göteborg hat der 60-jährige gebürtige Salzburger und Vater zweier erwachsener Kinder zuletzt in den Verhandlungen um die Qualitätskontrolle bei niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten gezeigt: Mit dem Argument der Freiberuflichkeit erreichte der ausgebildete Allgemeinmediziner, dass die dafür zuständige Gesellschaft für Qualitätssicherung in der Ärztekammer selbst angesiedelt ist (siehe Furche Nr. 49). Dieses Gremium verfüge freilich über weitgehende Unabhängigkeit, so Brettenthaler: "Das wird auch so gehalten, obwohl es innerkammeral nicht ganz einfach ist: Manche Kolleginnen und Kollegen sehen den Sinn noch nicht ganz ein."

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