"Das wäre dann auch nicht ich"

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Christian Högl, Obmann der HOSI-Wien, über sein Coming-Out vor 20 Jahren

Ich muss 14 oder 15 Jahre alt gewesen sein, als mir das erste Mal richtig bewusst wurde, dass ich schwul war. Meine Mutter hatte an jenem Abend ferngesehen. Das Visconti-Epos "Ludwig II" mit Helmut Berger. Sie war schwer betroffen. Für mich hatte es schon vorher Schlafenszeit geheißen. Ein dringendes Bedürfnis hatte mich noch einmal aus meinem Bett getrieben, und am Rückweg vom Klo sah ich meine Mutter mit feuchten Augen auf der Couch sitzen. Mein fragender Blick wurde mit dem Hinweis auf "diesen traurigen Film" über den König von Bayern erwidert. Das sei ein Homosexueller gewesen - also ein Mann, der mit anderen Männern … Er sei darob dem Alkohol verfallen und habe ein tragisches Ende gefunden. Homosexuelle seien ganz arme, kranke Menschen.

Dass ich mich sexuell nur zu meinen männlichen Schulkollegen hingezogen fühlte, war mir bereits so nach und nach klar geworden. Nun hatte das auch einen Namen: Ich war also ein Homosexueller und dazu verdammt, ein unglückliches Leben zu führen. Es sollten viele Nächte vergehen, in denen ich vorm Einschlafen lange wach im Bett lag und weinend mit meinem Schicksal haderte. Ich wollte nicht so sein und versuchte auch, mir bei der Selbstbefriedigung Frauen statt Männer vorzustellen. Mit mäßigem Erfolg. In diesen Prä-World-Wide-Web-Zeiten war es nicht so einfach, an Informationen über das Thema Homosexualität zu gelangen. Mein Biologie-Schulbuch hatte immerhin einen kleinen Absatz (gleich vor einem zu "Perversionen") anzubieten: "Die Homosexualität ist zumindest vom Standpunkt der Biologie abzulehnen." Das war nicht gerade hilfreich.

Schon interessanter waren da die entsprechenden Rubriken in den Jugendzeitschriften à la "Dr. Sommer". Das Magazin Pop Rocky konnte meist mit umfangreicheren Informationen zu sexuellen Themen aufwarten als das Bravo. In einem Aufklärungs-Sonderheft 1987 widmete die Redaktion der gleichgeschlechtlichen Liebe gar zwei Doppelseiten - samt Buchempfehlung für den Coming-out-Klassiker "Schwul - na und?" von Thomas Grossmann, den ich als 17-Jähriger schon kurz darauf mit rasendem Herzklopfen in einer Buchhandlung in Wien Meidling erwerben sollte. Darin wurde auch darauf hingewiesen, dass es in allen größeren Städten einschlägige Gruppen gebe, an die man sich wenden könne.

Und tatsächlich: im Wiener Telefonbuch fand ich eine "Homosexuelle Initiative" gelistet. Es kostete mich viel Mut, an einem Donnerstag in einer Telefonzelle die Nummer zu wählen. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Helmut, der mich einlud, einfach mal vorbeizuschauen.

Diesen Herbst ist es genau 20 Jahre her, dass ich das erste Mal das HOSI-Zentrum betrat. An jenem Oktobertag 1987 war ich sicher eine geschlagene Stunde die Novaragasse auf- und abmarschiert und hatte zum Schein die Auslage des Modellbahnfachgeschäftes vis-à-vis gemustert, ohne wahrzunehmen, was sich darin befand - ich schielte immer verstohlen zum Eingang des Vereinslokals. Schließlich fasste ich allen Mut zusammen und wagte den Schritt über die Schwelle, der sich letztlich für mein Leben als sehr bedeutsam erweisen sollte. Ich fand sehr schnell Anschluss und konnte Freundschaften mit anderen jungen Lesben und Schwulen schließen. Es tat so gut, unter Gleichgesinnten zu sein und sich dabei ganz und gar nicht mehr sonderbar vorzukommen.

Vor 20 Jahren hatte Homosexualität noch den Nimbus des Exotischen, Verruchten oder Abartigen. Inzwischen hat sich viel geändert. Schwule und Lesben tauchen ganz selbstverständlich in Spielfilmen und Serien auf - und nicht mehr als tragische Gestalten wie Ludwig II. Als Teenager konnte ich nicht ahnen, dass mich ein glückliches, erfülltes Leben erwartet. Auch meine Mutter ist heute sehr stolz darauf, was ich daraus gemacht habe. Mein Schwulsein ist Teil meiner Persönlichkeit, eine wichtige, aber beileibe nicht die einzige meiner Eigenschaften. Bei meinem Engagement in der HOSI Wien durfte ich mit vielen wunderbaren Menschen zusammenarbeiten, soziale Kompetenz lernen und ein kritisches politisches Bewusstsein schärfen. Wer weiß, wie mein Lebensweg ausgesehen hätte, wäre ich nicht schwul. Aber das wäre dann ja auch nicht ich.

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