David Fuchs' Debüt "Bevor wir Verschwinden" erzählt vom Kranken-hausalltag und Ausnahmezuständen.

Werbung
Werbung
Werbung

Benjamin ist 24, angehender Arzt, in der Nacht defibrilliert er für ein Forschungsprojekt Schweine im Krankenhauskeller, tagsüber absolviert er ein paar Stockwerke höher ein Praktikum auf der Onkologie. Gleich bei Dienstantritt erfolgt der erste Schock, als er seine Jugendliebe unter den Patienten entdeckt. Ambros heißt Benjamins Ex-Freund, er hat ein Melanom am linken Schulterblatt, Metastasen im ganzen Körper, "Clark Level IV, pT3aN0M1" nennt sich das in der Fachsprache, "kurz: Scheißprognose" nennt es Benjamin, der nun in die unangenehme Situation kommt, Arzt und Angehöriger gleichzeitig zu sein. Zwischen Rückblenden in die Schulzeit, in der Benjamin und Ambros sich ineinander verliebten, wird vom Stationsalltag erzählt, ohne zu beschönigen, aber auch ohne zu dramatisieren.

Auf der Suche nach dem eigenen Weg

Für die Erzählung der beginnenden Liebesgeschichte erhielt David Fuchs 2016 den von FM4 verliehenen "Wortlaut"-Preis für Kurzgeschichten. Dann gelangte sein bei Haymon erschienener Roman "Bevor wir verschwinden" neben Ljuba Arnautovićs "Im Verborgenen" und Marie Gamillschegs "Alles was glänzt" auf die Shortlist des Österreichischen Buchpreises für das beste Debüt und das völlig zu Recht.

Eigentlich sollte man nicht hervorheben müssen, dass es sich bei der aus Benjamins Perspektive erzählten Liebesgeschichte um eine zwischen zwei Männern handelt, doch das hieße, eine große Stärke des Romans zu verschweigen. Die Homosexualität der Protagonisten erscheint mehr oder weniger zufällig, sie muss nicht permanent problematisiert werden oder das eigentliche Sujet des Textes darstellen. Genauso wenig wird so getan, als entstünde daraus kein Konfliktpotential. Das ist immer noch selten und ein wichtiger Schritt zur Normalisierung. Nicht übersehen lässt sich eine gewisse Klischeehaftigkeit und Stereotypie bei der Charakterisierung der Figuren und auch bei der Konstruktion des Plots, was allerdings nur die Glaubwürdigkeit erhöht, ist doch der Ich-Erzähler erst Mitte 20 und auf der Suche nach seinem eigenen Weg. Popkulturelle Narrative geben da schon einmal Halt. Hin-und hergerissen zwischen den Vorstellungen der kollegial-mütterlichen Krankenschwester Ed und des leicht schrulligen Oberarztes Pomp, lenkt sich der angehende Mediziner mit dem Soundtrack von "Scrubs" ab, Realitätsflucht und -abgleich gleichermaßen. "Wenn man seinen ersten Nachtdienst als Student mitmacht, malt man sich aus, wie es sein wird. Ich mache das jedenfalls: haufenweise Patienten, Blut, Nadeln, Stress, Schlafmangel. Wie im Fernsehen. Das Krankenhaus bei Nacht, Drama, Action."

David Fuchs, 1981 in Linz geboren, ist Oberarzt auf der Onkologie, er weiß also, wovon er schreibt. Geschickt spielt er mit medial vermittelten Vorstellungen vom Krankenhausalltag à la "Greys Anatomy" und der oft wenig glamourösen Realität zwischen aufzuwischenden Körperflüssigkeiten und lähmender Langeweile, aus der man brutal gerissen wird, wenn man plötzlich funktionieren soll. "Ich habe ihr die Augen nicht zugemacht. Ich habe überhaupt noch nie einem Toten die Augen zugemacht. Aber man sollte einem Toten die Augen zumachen, dann die Uhrzeit sagen. Und die Handschuhe in die Ecke schleudern. Wie im Fernsehen eben. Aber was ich im Fernsehen noch nie gesehen habe: dass der Arzt barfuß über den Gang schleicht, mit den blutigen Birkenstocks in der Hand."

Lektüre auch für jugendliche Leser

Obwohl Fuchs den Wortlaut-Preis für die Passagen in Rückblende gewonnen hat, liegt die Stärke des Romans in der Gegenwartsebene. Ästhetisch und sprachlich ist häufig eine Nähe zum Jugendbuch spürbar, gerade in den Rückblenden, die auch etwas flach und holzschnittartig geraten sind. Dieses Schwanken zwischen Jugend-und Erwachsenenbuch (nicht, dass man das zwangsläufig trennen muss) scheint nicht unbedingt intendiert, hat aber den erfreulichen Vorteil, dass das Buch auch als Lektüre für jugendliche Leser und Leserinnen taugt und schwer verdauliche Themen für ein junges Publikum zugänglich macht, ohne den sonst im Jugendbuch häufig anzutreffenden pädagogischen Impetus. Ein kleines Manko ist die fehlende sprachliche Originalität. Diesen Stil, die kurzen, einfach gehaltenen und oft mündlich wirkenden Sätze, kennt man zur Genüge. Sie erfüllen natürlich ihren Zweck, helfen zu visualisieren, sie suggerieren Authentizität und erzeugen Nähe zu den Figuren, sie haben aber leider keinen Wiedererkennungswert, so dass es egal erscheint, wer diese Geschichte erzählt, wer hier tatsächlich spricht. Das ist es aber eben gerade nicht, denn David Fuchs hat etwas zu sagen und das merkt man.

"Bevor wir verschwinden" erzählt vom Umgang mit Krankheit und Tod, sowohl aus der professionellen Perspektive des Arztes, der erst lernen muss, den schmalen Grat zwischen Empathie und sich selbst schützender Distanz zu meistern, ohne völlig abzustumpfen, und jener des hilflosen Angehörigen, der neben der eigenen Trauer und dem Verlust auch mit den Ängsten des geliebten Menschen umgehen muss. Adelheid nennt Benjamin eines der Schweine, an denen geforscht wird. Etwas zu benennen, ist immer ein Schritt der Annäherung, und so wenig Benjamin den Versuchstieren indifferent gegenübersteht, so wenig kann er sich seine Patienten vom Leib halten, schon gar nicht Ambros. Welche Konflikte aus der Reibung dieser verschiedenen Ebenen und widerstrebenden Gefühle entstehen, das erzählt Fuchs berührend, aber nie kitschig. Die Figur des Arztes, der auch ein Angehöriger ist, ist ein Kunstgriff, der das Schwanken zwischen Individualität im Umgang mit dem Tod und der Übernahme kollektiver Symbole und Rituale sichtbar macht, eine Problematik, mit der sich jeder irgendwann auseinandersetzen muss. Am Schluss, in den traurigsten Sequenzen, gelingt es Fuchs dann doch, eine eigene Sprache zu finden. Zwischen der dokumentarischen, alle gleichmachenden Ärztesprache des Krankenhauses und der individuellen Sprache des Trauernden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung