Dein Ja sei ein Ja

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Solange es die da oben nicht zu bunt treiben, wird Korruption in der Politik toleriert. Leider!

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Solange es die da oben nicht zu bunt treiben, wird Korruption in der Politik toleriert. Leider!

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Korruption ist eher tolerierbar als Fanatismus. Zu dieser Feststellung gelangte in Renaissance-Zeiten der Staats- und Machttheoretiker Niccolo Machiavelli. Seine persönlichen Erfahrungen mit den machtbesessenen Borgia-Päpsten und dem asketischen Bußprediger Savonarola brachten ihn zu dieser Einsicht. Savonarolas Eifer bringe nur Rückschritt und Zerstörung. An den Höfen der Borgia hingegen, wo Betrug ein Vergnügen darstellt, blühen Künste und humanistische Gelehrsamkeit.

Machiavellis Lob auf eine korrupte Politik ist nach 500 Jahren nicht verstummt. "Politische Landschaftspflege" lautet der Euphemismus, mit dem Bestechung, Betrug und Verhaberung in der deutschen Politik beschönigt werden. Bonn und Wiesbaden sind an die Stelle von Rom und Florenz getreten; die CDU stellt jede noch so verkommene Renaissance-Dynastie in den Schatten; und in der Rolle Machiavellis sind heute die Jetzt-erst-recht-Getreuen, die die Integrität ihres Übervaters Helmut Kohl verteidigen.

Verständlich: So schnell läßt man sich nicht das politische Vorbild aus der privaten Ideologiefront herausschießen. Unverständlich: Irgendwann wird das Ignorieren stichhaltiger Vorwürfe, das Übertönen der Beschuldigungen mit trotzigen "Helmut, Helmut"-Chören zur Farce. Unrecht wird dadurch nicht zu Recht, und weißer als weiß wäscht nur die Waschmittelwerbung.

Kohl hat seine Macht mißbraucht, hat gegen Gesetze verstoßen und damit seiner Partei und der Politik im allgemeinen Schaden zugefügt. Seine unbestrittenen Verdienste kaschieren diese Vergehen keineswegs. Nicht einmal für den Einheitskanzler gibt es Immunität auf Lebenszeit. Deutschland ist ja auch sonst sehr stolz darauf, nicht Rußland zu sein.

Rußland, Stichwort um die eingangs erwähnte These erneut in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen. Wie lange haben russisches Volk und westliches Ausland die korrupte Politik im Land toleriert, ja hofiert, allein froh darüber, die Jahre mit den Fanatikern an der Macht hinter sich gelassen zu haben? Wie schnell ist die Angst zurückgekehrt, als der neue Mann mit dem Atomkoffer nationale Töne anschlug und einen Eifer an den Tag legte, der mit Geld allein nicht zu beschwichtigen scheint?

Korruption und Fanatismus, zwei Pole im Versuch den Begriff und das Faktum Wahrheit in der Politik zu definieren. Freilich einer Politik, die sich damit begnügt, das geringere Übel als Maximalforderung anzusehen. Kein Himmel auf Erden, kein Utopia, kein Traum einer gerechten Gesellschaft sind die Zielpunkte in diesem Politikverständnis. Ein wohlkalkulierter, unfanatischer Pragmatismus ersetzt jeden kategorischen Imperativ; und die Forderung, daß ein Ja ein Ja und ein Nein ein Nein sein soll, wirkt in diesem Kontext bestenfalls archaisch, eher jedoch antiquiert. Nicht einmal jene Partei, die sich mit dem programmatischen C im Kürzel schon genug aufgebürdet hat, kann man auf eine solche Schwarz-Weiß-Malerei mehr verpflichten.

Doch weg von den Parteien, den Politikern. Hat nicht der Souverän, das wählende Volk, es über Jahrzehnte so gewollt? Wird nicht bei den Wahlen die vorherrschende Politik sanktioniert? Kohls patriarchale Herrschaft beruhte auf dem Prinzip von Leistung und Gegenleistung. Und diese wechselseitige Nutznießerschaft umfaßte nicht nur die CDU, sondern das ganze Land. Sicherheit und Kontinuität versprach der CDU/CSU-Block noch bei den letzten Bundestagswahlen. Bloß keine Experimente eingehen. Wer weiß, was die Nachfolger (die roten und grünen Fanatiker!) mit der Kapitalsteuer, den Atomkraftwerken und dem Benzinpreis anstellen? Wäre das Wahlvolk dieser Einladung gefolgt, Deutschland wäre jetzt nicht bloß Zeuge einer Parteidemontage, sondern stünde in einer formidablen Staatskrise.

Der Umstieg auf die Neuen wurde den Wählern ja auch leicht gemacht. Weg mit zuviel Spitzen, Ecken und Kanten. Die gehören an den Rand. Die Macht aber liegt in der Mitte und wer dort hinwill, muß rund und berechenbar sein. Das Publikum ahnt es, daß man die Hand zwischen den einzelnen Parteien nicht umdrehen muß: Jeder hat Dreck am Stecken, und Gauner sind sie alle. Unterschiede gibt es nur in der Größenordnung und in der Geschicklichkeit. Erwischen dürfen sie sich halt nicht lassen. Wie soll einer den Staat führen können, wenn er nicht imstande ist, diesen Staat professionell zu betrügen? Außerdem, den größten Schaden fügt eine Regierung dem Land nicht mit Korruption, sondern mit einer falschen Politik zu.

Wahrheit in der Politik? Irgendwo zwischen Korruption und Fanatismus. Auf keinen Fall immer ein Ja für ein Ja und ein Nein für ein Nein. Bestenfalls ein Jein, meistens nur mehr das mittlerweile berüchtigte Kohlsche Ehrenwort. Und die Wähler werden weiterhin dieser Politik ihre Stimme geben. Solange es die da oben nicht zu bunt treiben. Solange es bei den unsauberen Machtspielen bleibt, das Staatsschiff trotzdem Kurs hält. Noch ein paar vor Empörung flammende Leitartikel. Danach herrscht wieder Ruhe in deutschen Landen. Korruption ist nämlich tolerierbar, sagte schon Machiavelli. Leider gibt ihm die Realität recht.

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