„Demokratie ist keine Maschine, die Zufriedenheit erzeugt!“

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Der bulgarische Politologe Ivan Krastev über falsche Erwartungen an die Demokratie und warum der ständige Zweifel an der Herrschaft des Volkes so wichtig ist.

Das Wiener Institut für die Wissenschaften des Menschen ist erste Anlaufstelle für exzellente Wissenschafter aus Osteuropa. Deswegen forscht Ivan Krastev noch bis Sommer am IWM.

Die Furche: Herr Krastev, Sie sprechen der Demokratie ab, „Zufriedenheitsmaschine“ zu sein. Warum? Liegt nicht darin der Erfolg des demokratischen Modells, so viele wie möglich zufriedenzustellen?

Ivan Krastev: Demokratien sind keine „satisfaction machines“ – dafür gibt es genügend Beispiele: Demokratie garantiert genauso wenig eine gute Regierungsführung, wie sie per se Korruption verhindert. Demokratie führt auch nicht zwangsläufig zu Wirtschaftswachstum oder weniger Arbeitslosigkeit. Demokratie kann also nicht alle Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zufriedenstellen – das ist ein großes Missverständnis. Aber was Demokratie kann: Sie bietet unzufriedenen Bürgern die Möglichkeit, etwas gegen ihre Unzufriedenheit zu unternehmen.

Die Furche: Sie vertreten die Meinung, dass sich unsere Sicht auf die Demokratie mit dem Jahr 1989 radikal verändert hat.

Krastev: Im Gegensatz zur weit verbreiteten Meinung sehe ich den nachhaltigsten Effekt der Ereignisse von 1989 nicht in der Ausbreitung der Demokratie, sondern für mich ist entscheidend, dass mit 1989 eine Revolution unserer Erwartungen an die Demokratie stattgefunden hat.

Die Furche: Inwiefern?

Krastev: Eigentlich ist es paradox: Der mit 1989 einhergehende Triumph der Demokratie untergräbt nämlich den entscheidenden Vorteil von demokratischen Regimen. Woran die Demokratie heute am meisten leidet, ist der Mangel an kritischen Debatten über die Vorteile und Nachteile von demokratischen Gesellschaften. Seit 1989 ist die Demokratie unhinterfragt und scheinbar konkurrenzlos – und das ist nicht gut.

Die Furche: Sie meinen, wir haben es uns in unserem demokratischen Universum zu bequem eingerichtet?

Krastev: Zweifel an der Demokratie zu haben, darüber zu streiten, sie zu hinterfragen, unzufrieden zu sein – das ist essentiell für die Demokratie. Auch das Aussterben von Second-Hand-Buchgeschäften ist für mich ein Anzeichen, dass es an dieser Debatte mangelt.

Die Furche: Weil man keine gebrauchten Bücher mehr kauft, soll ein Indikator für den Niedergang der Demokratie sein?

Krastev: Ich sehe da mehr dahinter. Seit 1989 ist die Demokratie das unbestrittene Regierungsmodell. Vorher war das nicht so, deswegen musste man auch vorher mehr in die Vergangenheit schauen, um sich der Richtigkeit des eigenen Weges vergewissern zu können. Vor 1989 war die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass die Demokratie im Wettstreit der Systeme verliert. In Deutschland war es das Weimarer-Trauma, dass diese Unsicherheit verursachte. In Österreich oder den anderen europäischen Ländern gab es ähnliche Traumata. Seit 1989 aber steht der Sieger fest – und wird nicht mehr hinterfragt. Schauen Sie in die politische Fachliteratur. Wer wird dort heute am meisten zitiert? Heutige Autoren zitieren Autoren von maximal gestern, aber kaum jemand schaut weiter zurück. Unser Fehler ist: Wir stehen zu sehr im Jetzt und schauen zu wenig auf die Fragen und Antworten von früher.

Die Furche: Anstatt der Second-Hand-Buchläden ist aber das Internet als Fundgrube für politische Ideen geöffnet worden.

Krastev: Das erscheint nur auf den ersten Blick als Vorteil. Das Internet wird gerne als Feind der Autoritäten beschrieben, weil es angeblich die Vielfalt fördert …

Die Furche: Stimmt doch auch, siehe Iran.

Krastev: So eindeutig ist das nicht. Das Internet fördert nicht besser informierte Bürger, sondern es polarisiert die Bürger, bestärkt sie in ihren Vorstellungen und Vorurteilen.

Die Furche: Das müssen Sie bitte ausführen.

Krastev: Wir kommunizieren immer mehr mit Menschen, die genauso denken wie wir. Ich sehe in Europa die Tendenz, sich immer mehr in intellektuellen Ghettos einzurichten, in denen man gleichgültig gegenüber den anderen lebt. Wir müssen als Europäer wieder offener werden. Das Internet oder die anderen modernen Kommunikationsmittel sind uns dabei keine wirkliche Hilfe. Denn sich mit jemanden zu streiten, der anders ist, das ist einfach. Was heute fehlt, ist die Uneinigkeit und die konstruktive Diskussion und Infragestellung im eigenen Umfeld. Und das fehlt heute der Demokratie.

* Das Gespräch führte Wolfgang Machreich

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