"Den Job mache ich, solange ich aufrecht gehen kann“

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Flüchtlingshelferin Ute Bock ist 70 geworden. Vielmehr als ihren Geburtstag hat sie die Einweihung des neuen Asylheims in Favoriten gefeiert.

Sie ist seit 12 Jahren in Pension, doch von Ruhestand kann keine Rede sein: Soeben ist Ute Bocks Wohn- und Integrationsverein in die Zohmanngasse 28 übersiedelt. Das von Unternehmer Hans Peter Haselsteiner gekaufte und renovierte Haus bietet Platz für 70 Kleinstwohnungen, Beratungseinrichtungen und Kursräume. Bock führt das Haus mit überwiegend ehrenamtlicher Hilfe und lebt auch selbst dort.

Die Furche: Die Asylgesetze haben sich in den vergangenen Jahren klar verschärft, etwa durch das Fremdenrechtspaket 2005. Welche zusätzlichen Probleme ergeben sich dadurch für Sie und die Betroffenen?

Ute Bock: Es gibt Unmengen von Obdachlosen, täglich stehen neue Leute vor der Tür. Viele sind jahrelang obdachlos, haben keine Arbeit. Diesen Leuten müsste der Staat dringend Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten verschaffen. Jenen, die hier bleiben wollen, sollten die Schritte ins normale Leben ermöglicht und erleichtert werden. Das System ist aber leider darauf ausgerichtet, es den Menschen so schwer wie möglich zu machen, damit sie von selbst wieder gehen oder gar nicht erst kommen.

Die Furche: Wäre Ihre Arbeit eigentlich Aufgabe des Staats?

Bock: Auch wenn es Privatinitiativen immer wird geben müssen: Für Grundbedürfnisse wie Unterkunft oder Krankenversicherung sollte der Staat sorgen. Im Idealfall sollte mein Haus überflüssig sein. Politik und Behörden entziehen sich immer mehr ihrer Verantwortung. Parteien wie die SPÖ sehen einfach weg, weil sie eine wahnsinnige Angst vor Stimmenverlust haben.

Die Furche: Wie ergeht es Ihnen mit Polizei und Behörden?

Bock: Im zehnten Bezirk kenne ich fast alle Polizisten, die Kooperation funktioniert gut. Es gibt auch weniger gute Beamte, wie überall, aber genauso viele sehr kooperative und faire Polizisten. Gerade hat ein Polizist angerufen, dass sich ein Heimbewohner trotz Meldepflicht nicht meldet. Er könnte auch einen Haftbefehl herausgeben, aber er ruft zuerst bei mir an.

Die Furche: Welche Folgen hat das Arbeitsverbot für Asylsuchende?

Bock: Die Arbeitslosigkeit ist das Tödlichste. Ich habe hier im Haus in jeder Familie eine Person, die nicht mehr richtig tickt, weil das Nichtstun und die Sinnlosigkeit unerträglich werden. Vor allem Männer aus patriarchalen Kulturen genieren sich, beginnen zu trinken. Sie schicken die Frauen vor, um mit mir zu reden. Plötzlich müssen diese Männer, die ständig von ihrer "Ehre“ reden, eine alte Schachtel wie mich um Hilfe bitten. Die Leute wollen keine Bittsteller sein. Sobald sie ein bisschen Geld haben, ziehen sie in eine eigene Wohnung.

Die Furche: Mit welchen alltagspraktischen Problemen sind die Menschen konfrontiert?

Bock: Das Sozialamt zahlt erst nach fünf Monaten das erste Geld aus. Inzwischen müssen die Leute stehlen gehen. Wenn sie keine Grundversorgung erhalten, sind sie auch nicht krankenversichert. Dann schick ich die Kranken zu den Barmherzigen Brüdern oder zur Diagnose ins AKH, woraufhin ich die Krankenversicherung kontaktiere.

Die Furche: Wie steht es denn um die Gesundheit der Leute?

Bock: Viele sind bei ihrer Ankunft schwer krank, haben Hepatitis oder TBC. Speziell aus Krisengebieten sind viele behinderte Kinder dabei. Unversichert werden die Leute immer seltener behandelt. Letztens hat sich ein Kind beim Radfahren einen komplizierten Schulterbruch zugefügt. Der Arzt hat die Behandlung verweigert, bevor die Oma nicht unterschreibt, die Kosten von 4.800 Euro zu tragen. Was ist das bitte für ein Arzt?

Die Furche: Anrainer haben sich über die Ansiedlung des Asylheims in Favoriten beschwert, die FPÖ hat gegen Sie mobilisiert. Mit welchen Reaktionen sind Sie im Alltag konfrontiert?

Bock: Die Anfeindungen von älteren Menschen werden mehr. "Ihre Enkelkinder werden Sie verfluchen für das, was sie tun“, musste ich mir letztens anhören. Es gibt immer mehr bissige alte Schachteln. Wenn jemand etwas Blödes zu mir sagt, sag ich halt etwas noch Blöderes zurück.

Die Furche: Wie geht es Ihnen mit den täglichen tragischen Geschichten?

Bock: Die Geschichten verfolgen mich nicht bis in den Schlaf. Mir ist es wichtig, nicht abgebrüht zu werden, wenn ich dieselbe Geschichte zum hundertsten Mal höre. Ich versuche, die Dinge nicht so tragisch zu nehmen. Den Menschen hilft ein flapsiger Witz mehr als ein mitleidiger Blick. Diesen Job mache ich, solange ich stehen kann. Ich bin jeden Tag bis drei Uhr wach, falls noch wer kommt oder es nachts Probleme gibt.

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