"Den Jungen droht Abstieg, und das macht Angst"

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Ingrid Kromer vom Österreichischen Institut für Jugendforschung über das (rechte) Wahlverhalten und die Zukunftsängste der Jugendlichen.

Ein Drittel der 16- bis 30-Jährigen hat bei der Nationalratswahl die FPÖ gewählt. Driftet die Jugend also nach rechts? Eine allzu simple Erklärung, meint Ingrid Kromer, Mitautorin der Österreichischen Jugend-Wertestudie, im FURCHE-Interview.

Die Furche: Frau Kromer, hat Sie das Wahlergebnis bei den unter 30-Jährigen überrascht?

Ingrid Kromer: Ja, weil wir wissen, dass die Erstwählerinnen und Erstwähler bei der Wiener Landtagswahl 2005 mehrheitlich die SPÖ und die Grünen gewählt haben. Aber wenn es die Tendenz gibt, jemandem zu vertrauen, der schnelle Lösungen anbietet - warum sollen dann ausgerechnet die Jugendlichen nicht diesem Populismus anheimfallen?

Die Furche: Kann man mittlerweile von einer "rechten Jugend" sprechen?

Kromer: Nein. Von rechter Jugend würde ich auf keinen Fall reden: Wir wissen, dass das Verhältnis der Jugendlichen zur Politik sehr zwiespältig und negativ konnotiert ist. Sie sind zwar nicht politikverdrossen, weil sie sich sehr wohl regional und lokal engagieren. Aber sie sind politikerverdrossen. Von daher ist das Wahlergebnis vor allem als Protest zu verstehen.

Die Furche: Aber warum konnten nur die rechten Parteien von dieser Protesthaltung profitieren?

Kromer: Vermutlich haben sie die Angst und die Unsicherheiten der Jugendlichen am besten aufgegriffen. Sie waren auch am präsentesten: Strache ist durch die Discos gezogen und auf die Jugendlichen zugegangen. Bei den anderen Parteien ging es abgehobener zu.

Die Furche: Auch bei den Grünen. Kann deren enttäuschendes Abschneiden auch daran liegen, dass man mit Alexander Van der Bellen - einem "hässlichen alten Mann", wie der Meinungsforscher Bernhard Heinzlmaier gemeint hat - in die Wahl gegangen ist?

Kromer: Van der Bellen ist zwar eine ältere Person - kommt aber deshalb nicht weniger an. Er steht einfach für weniger Emotionen, für Sachpolitik - und die ist bei Ängsten nicht gefragt. Er hat auch gesagt: Solidarität ist gefordert. Doch wenn wir in der Wertestudie festgestellt haben, dass sich die Jugendlichen ohnehin benachteiligt fühlen - und auch tatsächlich benachteiligt werden -, dann passt diese Antwort einfach nicht.

Die Furche: Kann der blaue Zulauf auch damit zu tun haben, dass Jugendliche gern das tun, was ihre Eltern am meisten provoziert?

Kromer: Das ist plausibel. Gerade bei den jungen Wählerinnen und Wählern wissen wir, dass es einerseits eine Anpassung an das Wahlverhalten der Eltern gibt, aber andererseits auch großen Protest dagegen. Und die Rechten zu wählen, provoziert am meisten. Das kennen wir aus den Jugendkulturen: Ein Hakenkreuz schreckt immer - auch wenn der Träger gar nicht mit der dahinterstehenden Ideologie sympathisiert. Daneben gibt es aber sicher auch eine Gruppe von Jugendlichen, die in ihrer Unsicherheit wirklich geglaubt hat, dass die FPÖ die Lösungen für sie bringt.

Die Furche: In der Jugend-Wertestudie wünschen sich immerhin 37 Prozent "einen starken Mann, der sich nicht um ein Parlament und um Wahlen kümmern muss".

Kromer: Würden wir eine aktuelle österreichische Wertestudie von allen Menschen haben, würden wir eine ähnliche Tendenz auch bei den Erwachsenen feststellen. Es ist aber richtig und soll uns auch nachdenklich machen, dass jeder fünfte Jugendliche meint, dass die Demokratie nicht die beste Lösung sei. Viele Jugendliche, vor allem die Burschen, glauben, dass endlich jemand kommen soll, der eine Ahnung hat: Ein Experte - oder eben ein starker Mann. Dies muss aber vor allem als massive Kritik an der politischen Praxis interpretiert werden.

Die Furche: Zudem scheinen die Jungen auch in erschreckend hohem Maß xenophob zu sein: Laut Jugend-Wertestudie stimmen immerhin 61 Prozent der Aussage "Fremde provozieren durch ihre Lebensweise selbst Fremdenfeindlichkeit" sehr oder eher zu.

Kromer: Wir haben in der Wertestudie festgestellt, dass hier der Bildungsfaktor wesentlich ist. Wer keine Matura hat, als Hilfsarbeiter arbeitet oder keine Zukunftsperspektive hat, vertritt verstärkt solche Positionen.

Die Furche: Wobei die Jugend ja eine durchschnittlich höhere Ausbildung genossen hat als die mittlere und ältere Generation …

Kromer: Aber zugleich wurden die Bildungsabschlüsse entwertet. Die Jungen wissen: Wenn ich keine Matura habe, habe ich kaum Chancen. Aber auch das reicht nicht mehr: Man muss Fremdsprachen beherrschen, mobil sein. Und selbst das garantiert keinen Job. Wenn dann jemand sagt: Ich werde dafür sorgen, dass du Arbeit bekommst - und nicht dein eingewanderter Nachbar -, dann fällt das auf fruchtbaren Boden.

Die Furche: Welche Politik wäre notwendig, um den Jungen ihre Ängste zu nehmen?

Kromer: Dazu ist eine repräsentative Umfrage aufschlussreich. Demnach sagen 70 Prozent der Jugendlichen: "Politik spart gerade dort, wo es um unsere Zukunftschancen geht." Das zeigt: Politik wird derzeit an den Jugendlichen vorbei gemacht. Es braucht also eine Politik, die Jugendliche ernst nimmt. Es hilft nichts, ihnen zu sagen, dass sie im Wohlstand aufwachsen. Sie stehen nämlich vor dem Problem, diesen Wohlstand halten zu müssen. Während die Älteren Aufsteiger waren, sind sie potenzielle Absteiger. Und das erzeugt Angst, Druck und Unsicherheit. Es geht also wieder um die Existenz.

Die Furche: Dass Jugendliche deshalb eine Protestpartei wählen, wundert nicht. Aber waren den 16- und 17-Jährigen auch die Konsequenzen ihrer Wahl bewusst? Ketzerisch gefragt: War die Absenkung des Wahlalters im Nachhinein betrachtet wirklich klug?

Kromer: Ja. Und all jene, die jetzt fragen, ob die 16- und 17-Jährigen denn schon reif genug gewesen sind, frage ich: Sind denn die 80- und 90-Jährigen reif, zu durchschauen, was sie mit ihrer Stimme anrichten? Ich bin jedenfalls überzeugt, dass es richtig war, Mädchen und Burschen dieses Grundrecht an politischer Mitsprache zu geben. Wählen gehen heißt schließlich, erwachsen sein und ernst genommen werden.

Das Gespräch führte Doris Helmberger

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