"Den Menschen Hoffnung geben“

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Das Gespräch führte Anna Maria Steiner

Der Imam Driss Tabaalite arbeitet für den "Verein zur Förderung von muslimischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern in Gefängnissen und Haftanstalten in Österreich“. Er ist Seelsorger in der Justizanstalt Graz-Karlau. Mit Gefangenen zu arbeiten erfordert nicht nur menschliches Gespür - es macht auch glücklich.

Die Furche: Herr Tabaalite, seit fast zehn Jahren sind Sie Gefängnisseelsorger in der Justizanstalt Graz-Karlau. Wie und warum arbeiten Sie dort?

Driss Tabaalite: Jeden zweiten Freitag kommen ein Kollege und ich abwechselnd. Wir beginnen mit Gebet und Predigt, dann wird gefragt, persönliche Probleme werden erzählt. Für mich ist das eine sehr schöne Aufgabe. In der Justizanstalt bin ich glücklich, weil ich spüre, dass die Häftlinge dort während meines Aufenthalts glücklich sind.

Die Furche: Welche Rolle spielen Gott und Religion im Gefängnis?

Tabaalite: Viele Häftlinge haben ein traditionelles Religionsverständnis - Gott wird auf den Strafaspekt reduziert. Verstärkt wird das, weil die Häftlinge durch die Legislative ja tatsächlich bestraft wurden. Danach, so denken viele, kommt die Hölle im Jenseits.

Die Furche: Kann der Koran helfen?

Tabaalite: Im Koran gibt es die Geschichte von Yussuf - Josef, der auch bei den Christen eine große Rolle spielt. Er landet auch im Gefängnis, hat aber trotzdem ein gutes Leben geführt, weil Gott nicht auf ihn vergessen hat. So versuche ich den Häftlingen klarzumachen, dass sie ebenfalls nicht verlassen sind und ihre Zeit hier nicht als Strafe sehen sollen, sondern als ein Moment, in dem sie überlegen sollen, wie es für sie weitergeht - hier und außerhalb des Gefängnisses.

Die Furche: Was ist die größte Herausforderung für Sie als Gefangenenseelsorger?

Tabaalite: Menschen, die lebenslänglich bekommen, Hoffnung zu geben - ihr Geduld-Thermometer nicht nach unten sinken zu lassen. Die ständige Frage nach dem Menschen ist wichtig. Sie müssen spüren, dass es wen gibt, der an sie denkt, weil sie vergessen, dass Gott an sie denkt. Neuankömmlingen erzähle ich oft davon, wie ehemalige Häftlinge hier etwas Positives hinterlassen haben: Einer hat eine Minbar, eine Kanzel, errichtet. Ein anderer hat viel für den Zusammenhalt untereinander getan. Einer hat das theologische Fernstudium gemacht und ist jetzt Imam. Ich versuche ihnen zu zeigen, dass sie selbst hinter Gitter wirken können.

Die Furche: Wo sind Sie als Imam im Gefängnis theologisch besonders gefordert?

Tabaalite: Im Islam heißt es ja: Wenn du eine einzelne Seele getötet hast, hast du die ganze Menschheit getötet. Und umgekehrt, wenn du eine einzelne Seele wiederbelebt hast, hast du alle Menschen wiederbelebt. Mit einem simplen Religionsverständnis kann das gefährlich werden. Man muss Menschen die Möglichkeit geben, ein primitives religiöses Verständnis zu überdenken. Die Häftlinge kommen aus unterschiedlichen islamischen Rechtsschulen. Ich versuche ihnen zu zeigen, dass es nichts bringt, einander vorzuwerfen, falsch zu beten oder zu fasten. Deshalb predige ich meist über Toleranz und die Barmherzigkeit Gottes.

Die Furche: Was sind die nächsten Schritte Ihrer Arbeit als Gefängnis-Seelsorger?

Tabaalite: Das Interesse der Häftlinge wächst. Anfangs waren es noch fünf, jetzt kommen etwa zwanzig zu den Treffen. Sie wollen uns wöchentlich sehen. Manchmal sagen sie, sie freuen sich auf uns "wie die Kinder auf die Mama“.

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