"Den Stress der Vertriebenen senken"

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Das Rote Kreuz ist die größte Hilfsorganisation der Ukraine. Nach dem Ersten Weltkrieg gegründet, ist es 100 Jahre danach wieder mit Kriegsleid und über 1,5 Millionen intern Vertriebenen konfrontiert.

DIE FURCHE: Frau Generaldirektorin Bilous, wie hat der Krieg im Osten der Ukraine die Arbeit des RK verändert?

Liliia Bilous: Mit dem Krieg wurde alles anders! Bis dahin waren unsere größten Herausforderungen Tschernobyl oder die Überschwemmungen in der Westukraine, und wir hatten natürlich die täglichen Noteinsätze zu managen. Mit dem Krieg standen wir aber plötzlich vor der Aufgabe, über eineinhalb Millionen intern Vertriebene zu versorgen. Und wir mussten lernen, wie wir mit einem gefrorenen und vergessenen Konflikt umgehen, der nach wie vor fürchterliche Folgen zeitigt. Der Druck auf das Land und die Menschen ist enorm. DIE FURCHE: Was ist das Drängendste?

Bilous: Die Integration der intern Vertriebenen ist für uns die größte Herausforderung und gleichzeitig die wichtigste und nachhaltigste Maßnahme. Die Ukraine ist ein großes Land, natürlich gibt es da Unterschiede in der Mentalität zwischen Menschen aus Donezk oder Luhansk und anderen Teilen des Landes. Hinzu kommt der enorme Druck auf die Gemeinden im Schulwesen, in der Gesundheitsversorgung. Wohin mit den vielen neuen Schülerinnen und Schülern? Was tun, wenn im Wartezimmer eines Arztes nicht mehr 20, sondern 50 Patienten auf eine Untersuchung warten?

DIE FURCHE: Wie unterstützen Sie die Integration der intern Vertriebenen?

Bilous: Wir geben Hilfe zur Selbsthilfe, unter anderem durch kleine Kredite, oft nicht mehr als 1000 Griwna, umgerechnet 30 Euro, zur Anschaffung eines Hühner-Brutkastens zum Beispiel -damit können wir aber schon einen Anstoß zur Selbstständigkeit geben. Der Stress ist besonders bei den Alten, bei den Kindern und bei den Menschen mit besonderen Bedürfnissen am größten. Die Schwächsten der Schwachen leiden am meisten unter den Folgen des Krieges. Unsere Aufgabe ist es vor allem, auf diese Menschen zu schauen. DIE FURCHE: Sie haben von einem gefrorenen Konflikt gesprochen.

Bilous: Es ist kein Krieg im ursprünglichen Sinn, es ist kein Bürgerkrieg im ursprünglichen Sinn, es ist ein Hybridkrieg, eine Mischform. Das heißt, wir müssen mit unserer Hilfestellung ebenfalls flexibel sein und immer wieder neue Aktivitäten setzen, um positiv in die Gesellschaft hinein zu wirken. Die Erfahrungen unserer internationaler Partner sind da sehr hilfreich, um von ihnen zu lernen und sie auf unsere Situation zu adaptieren. In jedem Land gibt es einen eigenen Kontext, eigene Herausforderungen. Es ist ein learning by doing. DIE FURCHE: Gehört zu dieser Flexibilität bei der Hilfe auch auf Clowns zu setzen?

Bilous: Ja, wir arbeiten mit Red Noses seit Jahren zusammen, und wir haben die besten Erfahrungen gemacht. Die Clowns üben einen sehr guten Einfluss auf unsere Klienten aus. Aufgrund der positiven Resultate legen wir jetzt generell den Fokus auf psychosoziale Unterstützung. Von Red Noses haben wir gelernt, wie wichtig Unterhaltung ist, wie hilfreich es ist, eine heimelige, friedliche und sichere Umgebung zu schaffen, wo auch gelacht und damit der Stress abgebaut wird. Das wirkt sich auch positiv auf die Integration in der neuen Umgebung aus. Wir fördern jetzt die psychosoziale Unterstützung und bemühen uns, sie in unsere tägliche Arbeit einzubauen.

DIE FURCHE: Was ist das Schwierige dabei? Bilous: Aus den Zeiten der Sowjetunion hat psychosoziale Unterstützung bei uns einen schlechten Ruf. Viele Menschen haben Angst vor psychischer Unterstützung, sehen darin die ersten Schritte Richtung Klapsmühle. Wir arbeiten daran, diese Stereotype und Vorurteile abzubauen. Denn es ist wichtig, positive Emotionen zu wecken und den Stresslevel unserer Klienten zu senken.

DIE FURCHE: Was stresst die intern Vertriebenen am meisten?

Bilous: Es mangelt ihnen an Geld, an Rückzugsorten, an der vertrauten Umgebung, Freunden, Verwandten, und die meisten haben mit ihrer Heimat auch die Hoffnung verloren. Ihre Kinder hat der Krieg aus einer normalen Kindheit gestoßen. Sie haben das Lachen verlernt. Die Clowns zeigen ihnen, wie sie wieder lachen lernen, gleichzeitig öffnet das Lachen ihren Geist, ihr Gemüt, ihre Gedanken. Mir war das vorher selbst nicht bewusst, was Lachen für eine Bereicherung ist. Ich hätte niemals gedacht, dass Lachen so wichtig ist. Der positive Einfluss der Clowns auf die Kinder und ihre Eltern ist riesig. Red Noses wecken positive Emotionen und danach ist der Gemütszustand und der generelle Zugang zum Leben anders, spürbar besser. Die Kraft des Lachens zu nützen, ist ein unersetzlicher Teil unserer psychosozialen Arbeit gegen die Kriegs-Traumatisierungen geworden.

Mit dem Krieg in der Ostukraine standen wir plötzlich vor der Aufgabe, über eineinhalb Millionen intern Vertriebene zu versorgen. Der Druck auf das Land und die Menschen ist enorm.

Liliia Bilous

Die Generaldirektorin des Roten Kreuzes in der Ukraine kümmert sich mit ihrem Team vor allem um die Versorgung und den Schutz von Zivilisten, die Opfer der Kämpfe geworden sind.

Vermintes Gebiet

Mitarbeiter des Roten Kreuzes stellen in der Ostukraine Warnhinweise an Straßenzügen auf, an denen Sprengfallen vermutet werden. Der Konflikt in der Ukraine hat je nach Bericht 5000 bis 50.000 Todesopfer gefordert.

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