Denken ohne Fesseln

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Als Lehrer für Philosophie hat Friedhelm Moser gelernt, Kompliziertes einfach zu erklären.

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Als Lehrer für Philosophie hat Friedhelm Moser gelernt, Kompliziertes einfach zu erklären.

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Jeder von uns habe eine philosophische Ader. Bloß sei sie bei dem einen "ein Kapillargefäß am kleinen Zeh, beim andern eine Puls- oder Krampfader", schreibt Friedhelm Moser in seiner eben erschienenen "Kleinen Philosophie für Nichtphilosophen".

Bei diesem Autor ist die philosophische Ader eine Hauptschlagader. 13 Jahre Schuldienst im Fach Philosophie waren offensichtlich ein gutes Training im Darbieten von Inhalten, die den Ruf haben, abstrakt zu sein. Mosers Buch ist das Gegenteil, überschäumend von Lebendigkeit, lustig, verständlich.

In 21 Abschnitten greift er Themen auf, die jeden wachen Geist beschäftigen. Da wird gefragt nach dem Ich: wie wird das kleine, kindliche ich zum großen Ich, also wie erlangt der Mensch Selbst-Bewußtsein? Moser will wissen, was Wahrheit ist, Liebe, warum die einen die Einsamkeit suchen und die anderen sie nicht aushalten. Er macht sich unkonventionelle Gedanken über die Arbeit, die Evolution, die Mystik, die Freiheit, den Tod, die Logik, die Zeit, die Gleichheit, den Krieg, das Reisen, das Lachen, die Sprache, die Informationsgesellschaft: "Der gebildete Mensch war in der Geschichte zu Hause. Heute ist er selbst schon fast Geschichte. Der informierte Mensch weiß alles von heute, einiges von der letzten Woche, kaum etwas vom letzten Jahr, und was vor seiner Geburt geschah, verschwindet im Grau der Prähistorie. Information zerreißt die Zusammenhänge und begräbt die Geschichte unter einer Flut von Neuigkeiten."

Ein einigermaßen philosophisch Gebildeter wird den Kopf schütteln. Wie kann man heute so unbeschwert hinter den österreichischen Revolutionär unter den Philosophen, Ludwig Wittgenstein, zurückgehen, der schon vor fast einem Jahrhundert erklärt hat, daß die tiefsten Probleme der Philosophie eigentlich gar keine sind? "Die Säulenheiligen von Sokrates bis Hegel wurden als Hochstapler bloßgestellt, die mit einem aberwitzigen Aufwand an Gehirnschmalz und Lampenöl nichts als pompöse Seifenblasen produziert hatten.

Nach Wittgenstein sollte die Philosophie einen prinzipiell anderen Charakter haben: Alle Philosophie ist ,Sprachkritik' Sie ist ,ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel der Sprache'." Friedhelm Moser stimmt Wittgenstein nicht zu. Philosophieren ist eben nicht nur Verkleidung der Gedanken in Sprache, und es geht fundamental an der menschlichen Natur vorbei, wenn Philosophen eine Zeichensprache verwenden, welche die Philosophie vor Verwechslungen und Irrtümern schützen will. Längst hat sich die einst so interessierte Öffentlichkeit von den Sprachspielereien der Fußnoten-Philosophie verabschiedet, läßt die leider oft arroganten Universitäts-Philosophen ihren Staub alleine schlucken, hat sich abgewandt von der Philosophen-Mumien-Sezierung.

Mit diesem Buch verhält es sich anders. Wer Unternehmungslust und ein wenig Muße mitbringt, braucht sich nicht zu sorgen, er könnte seine Zeit verschwenden. Man muß nur Schopenhauers Ratschlag beherzigen: "Zu Papier gebrachte Gedanken sind überhaupt nichts als die Spur eines Fußgängers im Sande: Man sieht wohl den Weg, den er genommen hat; aber um zu wissen, was er auf dem Wege gesehen, muß man seine eigenen Augen gebrauchen." Sprich: selber denken! Nach dem Motto "Die Theorie ist der natürliche Feind der Praxis" geht Moser stets von konkreten Beobachtungen aus: "Heidelberg. Irgendein Shakespeare-Jubiläum. Die Buchhandlung an der Bushaltestelle hatte das Schaufenster entsprechend ausstaffiert. Zwischen den Werkausgaben grinste, auf schwarzem Samt gebettet, ein Totenkopf. Nun kamen zwei Kinder daher, schätzungsweise vier und acht Jahre alt. Sie blieben stehen und schauten ins Fenster. ,Was is'n das?' fragte der Kleine. ,Ein Totenschädel', sagte die Achtjährige. ,Und was is' das?' ,Das ist im Kopf drin. Das haben alle Menschen.' Der Knirps schaute zu dem Mädchen auf, Schock im Blick: ,Wir aber nicht!' ,Doch', sagte sie, ,wir auch.'" Wir auch, aber wir verdrängen, haben Angst. Dabei hat vor allem die griechische Philosophie geradezu elegante Antworten bereit, etwa Epikur. Er behauptete, der Tod gehe uns nichts an, "denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr. Er geht also weder die Lebenden an noch die Toten; denn die einen berührt er nicht, und die anderen existieren nicht mehr." Indem der Autor zu jedem Thema Vertreter origineller Gedanken Revue passieren läßt, vermittelt er einen unangestrengten Einblick in die Geschichte der Philosophie. Doch das ist längst nicht alles. Immer bekennt er selbst Farbe. Nach mehreren schweren Herzoperationen kann er bestätigen, was alle Menschen, die dem Tod noch einmal von der Schaufel gesprungen sind, berichten: "Sterben scheint wie Crash-Kurs in Weisheit zu wirken. An die Stelle von Lebenssucht und Todesangst treten Lebensfreude, weniger Sorgen, Aspekte des Lebens, gewachsenes Selbstvertrauen, Unabhängigkeit und Zielstrebigkeit, intensive Wünsche nach Alleinsein und Meditation, Freude an der Natur sowie Toleranz und Mitgefühl für andere."

Moser weiß: Ein Gedanke, von einem Sonderling im stillen Kämmerlein ausgebrütet, kann die Welt auf den Kopf stellen. Er lädt in klarer Sprache ein, das Denken nicht nur anderen zu überlassen. Die Folge ist eine Horizonterweiterung, wie sie kaum eine Reise in der äußeren Welt erbringen kann.

Kleine Philosophie für Nichtphilosophen. Von Friedhelm Moser Verlag C. H. Beck, München 2000. 219 Seiten, brosch., öS 218.-/e 15,84

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