#Der Bischof mit dem sechsten Sinn#

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John Okoro ist schwarz, tätowiert, Freudianer # und seit 2008 Oberhirte der 15.000 Altkatholiken Österreichs. Von einem Grenzüberschreiter zwischen den Kulturen, Disziplinen und Kirchen.

John Okoro kann man nicht vergiften. Wird ihm Essen serviert, dann spürt er sofort, ob es ihm bekommen wird oder nicht. Auch bei Räumen hat er so ein inneres Gefühl: Das Büro etwa, in dem er gerade sitzt, ist seiner Gesundheit nicht besonders zuträglich. Kein Wunder: Die Möbel sind alt und abgenutzt, notdürftige Zwischenwände sind eingezogen, elektrische Leitungen liegen frei. Von der katholischen Pracht seines Amtskollegen in der Wiener Wollzeile ist Okoros Büro am Schottenring weit entfernt. Und doch wirkt der 61-jährige Bischof der Altkatholischen Kirche Österreichs an diesem Tag sehr aufgeräumt: #Ich werde das renovieren#, sagt er mit einem strahlenden Lächeln. Vielleicht könne ihn der eine oder andere dabei unterstützen.

Die Sensibilität, Gesundes von Ungesundem unterscheiden zu können, hat der Bischof seinem Großvater zu verdanken. John Ekemezie Okoro ist drei Jahre alt, als seine Mutter unter mysteriösen Umständen stirbt. Die katholische Christin vom Stamm der Ibo hat im Nigeria des Jahre 1952 Unerhörtes gewagt: Statt die Leprakranken des Dorfes im Busch ihrem Schicksal zu überlassen, bringt sie die #Unberührbaren# nächtens ins Spital. Eines Tages kommt die 34-Jährige nicht mehr zurück. Man sagt, der Tabubruch habe die sechsfache Mutter das Leben gekostet: vergiftet durch Voodoo. Um zumindest die Kinder gegen den bösen Zauber zu wappnen, macht ihnen der Großvater eine kleine Tätowierung auf die Stirn.

Bei Gott ist kein Ding unmöglich

58 Jahre später lebt der Enkel des alten Animisten in einem fremden Land, spricht eine fremde Sprache und ist Bischof einer fremden Kirche. Im November 2007 hat ihn die Synode der Altkatholischen Kirche Österreichs als Nachfolger von Bernhard Heitz zum Bischof der rund 15.000 Gläubigen gewählt; und am 2. Februar 2008 hat ihn Erzbischof Joris Vercammen unter Assistenz zahlreicher Bischöfe der Utrechter Union geweiht. Der Wahlspruch des etwas anderen Würdenträgers bringt nicht nur seinen Glauben, sondern auch seinen Werdegang auf den Punkt: #Bei Gott ist kein Ding unmöglich.#

Es ist ein reichhaltiges, von vielen Abschieden geprägtes Leben, auf das der 61-Jährige bislang zurückblicken kann. Und es ist von Anfang an spirituell geprägt: Okoros Vater, ein Kaufmann, gibt seinen zwölf Kindern aus erster und zweiter Ehe durch beständiges Gebet das Gefühl, dass es einen Gott gibt, der zu ihnen gehört. Der junge John weiß sich getragen # auch im Biafra-Krieg von 1967 bis 1970 zwischen Christen und Muslimen, in dem der 18-Jährige auf Seiten der christlichen Biafraner Kriegsgefangene interviewen muss # und unversehrt bleibt. Geprägt von seinen Erlebnissen geht er ins Priesterseminar, studiert Philosophie # und erhält ein Stipendium, um im fernen Innsbruck katholische Theologie zu studieren. #Die Menschwerdung Jesu war für mich die größte Herausforderung#, erinnert sich Okoro. #Aber um den Menschen zu erkennen, muss man auch ein Fach studieren, das mit Menschen zu tun hat. Und das war für mich die Psychologie.# Besonders die Psychoanalyse und Freuds #primitive, aber geniale Sprache# haben es Okoro angetan. Der junge Student lernt, sich in der Be- und Verurteilung von Gesprächspartnern zurückzunehmen # und stattdessen lieber zuzuhören. 1977 wird er zum römisch-katholischen Priester geweiht, danach schließt er das Theologiestudium ab, promoviert in Psychologie und geht 1981 zurück nach Nigeria, um sich zum klinischen Psychologen ausbilden zu lassen und Psychologie sowie Ethik zu lehren.

Im Priesterseminar in Enugu kommt es dann zu jenem Erlebnis, mit dem die langsame Entfremdung Okoros mit der römisch-katholischen Kirche beginnt: Vor künftigen Priestern erzählt er vom tragischen Fall eines 14-jährigen Mädchens, das nach einer illegalen Abtreibung gestorben ist. Er fordert einen barmherzigeren Umgang mit ungewollt schwangeren Frauen # und wird prompt vor ein Tribunal zitiert. Von da an beginnt er sich von seiner Kirche zu distanzieren.

Er kehrt nach Österreich zurück, wird Seelsorger in Dornbirn, absolviert eine Lehranalyse und arbeitet fortan als Pfarrer wie als Psychotherapeut. Als Seelsorger im Doppelsinn, der 1994 auch österreichischer Staatsbürger wird, geht es ihm um den Umgang mit Abschied und Tod, um die Überforderung pflegender Angehöriger, um transkulturelle Psychotherapie.

Er selbst freilich hat zu dieser Zeit seinen Platz noch nicht gefunden. 1995 wird er Militärseelsorger für die österreichischen UNO-Truppen auf Zypern # und fühlt sich wieder nicht daheim. Er will traumatisierten Menschen helfen. Und er will selbst endlich authentisch leben.

Der katholische Priester hat 1995 Edith kennengelernt, eine geschiedene Mutter dreier älterer Kinder. Er muss die Liebe seines Lebens heimlich treffen. #Dieses Versteckspiel war nicht leicht#, sagt John Okoro. 1999 macht er Schluss damit: Er tritt zur Altkatholischen Kirche über, die sich 1870 aus Protest gegen das päpstliche Unfehlbarkeits-Dogma von Rom abgespalten hat, und er heiratet. Der Wunsch, seine Liebe öffentlich zu bekunden, ist freilich nicht der einzige Grund für diesen Schritt. #Auch die Macht der Bischöfe und die Unterdrückung der Frauen waren für mich nicht akzeptabel#, betont Okoro im Rückblick. #Ich dachte mir: Das ist nicht der Weg Jesu. Der Weg Jesu ist ein Weg der Befreiung, der Offenheit.#

#Eine mutige Entscheidung#

In der neuen Kirche kann er durchatmen # und wird zugleich herausgefordert. Als (ehrenamtlicher) Seelsorger muss er es aushalten, in einer kleinen Gemeinde von null zu beginnen. Ganze 20 Altkatholiken gibt es zu dieser Zeit in Vorarlberg. Doch die Zahl seiner Gemeindemitglieder wächst. Schließlich kommt der unorthodoxe Priester für jenes Amt ins Spiel, das er in seiner ursprünglichen Kirche um keinen Preis bekleiden wollte: jenes des Bischofs. #Es war schon eine mutige Entscheidung, einen Afrikaner zu wählen#, ist sich Okoro bewusst. #Aber vielleicht hat meine Art die Leute beeinflusst.#

Es ist die Art, sich der eigenen kulturellen Wurzeln bewusst # und zugleich offen für Neues zu sein. Und es ist das Gespür dafür, was die Menschen brauchen. #Sie brauchen vor allem Beheimatung und Geborgenheit#, sagt John Okoro. Es gehe um die Begegnung mit den Menschen. Und um Sensibilität.

Wie vor Kurzem, als der Bischof auf Bitte einer Frau die Beisetzung ihres Mannes leitete. Als der Sarg des Yoga-Lehrers vor der Kremierung in die Tiefe gesenkt wurde, begann Okoro spontan zu klatschen # und die Trauernden applaudierten begeistert mit. #Das sollte sagen: Danke, dass du uns beschenkt hast#, erzählt der Mann mit der dunklen Haut und dem strahlenden Lächeln. #Das sind Kleinigkeiten, die so wichtig sind.#

Die Sonne geht an keinem Dorf vorüber

Von Johannes Okoro,

Styria 2009, 135 S., Halbleinen, e 16,95

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