„Der da oben meint es gut mit mir“

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Markus Michelbacher ist nicht gerade auf die Butterseite des Lebens gefallen. Nach 20 Jahren Alkoholabhängigkeit, nach zahllosen Gewaltexzessen, Delogierungen, einer gescheiterten Ehe und der Abnahme seiner Kinder wagt er nun einen Neubeginn.

Hier soll das Kunststück endlich gelingen. Hier, in dem schmalen Zimmer mit Blick auf die Wilhelmstraße, soll das neue Leben des Markus Michelbacher seinen Ausgang nehmen. Die Glücksbringer für das Projekt Neustart sind längst installiert: Ein Poster der Popsängerin Simone ziert die Wand vis-à-vis des Bettes. Und Sylvester „Rocky“ Stallone, sein Heroe seit Kindertagen, prangt mit erhobenen Fäusten neben dem Spind. Ein kleiner Tisch, zwei Sessel, ein Regal, ein CD-Player und eine Bizepsfeder auf dem Fensterbrett: Viel mehr hat nicht Platz in der neuen Bleibe, die der durchtrainierte 39-Jährige mit der sanften Stimme erst vor drei Wochen bezogen hat. Und doch wirkt er an diesem frühen Abend regelrecht euphorisch: Jetzt und hier, in der von Cecily Corti initiierten Wohngemeinschaft für abstinente Alkoholiker in Wien-Meidling (siehe unten), will er es allen und sich selber zeigen, dass er nicht verloren ist.

Wer die wechselvolle Geschichte des Markus Michelbacher kennt, möchte das nicht für möglich halten: Zu viele Niederlagen hat er kassiert, zu viele Menschen enttäuscht. Zig Mal war er stationär auf Entzug, rührte monatelang keinen Tropfen an – und stürzte wie das Amen im Gebet nach der Entlassung wieder ab. Im Vorjahr war es die reinste Hochschaubahn: Sechs Monate Trockenheit auf der Station für alkoholkranke Männer im Otto-Wagner-Spital – und Rückfall noch am Tag der Entlassung am 2. Juni inklusive Polizeieinsatz; drei Monate Trockenheit im burgenländischen Therapiezentrum Schloss Weisspriach – und Rückfall schon bei der Heimfahrt in Wiener Neustadt; bis 19. Februar Trockenheit in Kalksburg – und im Anschluss Rückfall samt Suizidversuch. „Ich habe immer gedacht, ich bin eh stabil“, sagt der Mann im Muskelshirt. „Dabei hätte ich wissen müssen, wie der Hase läuft.“ Wie nach jedem Absturz wendet er sich auch dieses Mal an jene Frau, die ihm noch Halt zu geben vermag: Es ist Petra Weilguni, Sozialarbeiterin im Otto-Wagner-Spital. Michelbacher kommt zurück auf die Baumgartner Höhe, absolviert eine drei-monatige Langzeittherapie, bekommt einen Sachwalter für finanzielle Angelegenheiten zugewiesen, der ihm 40 Euro pro Woche von der Notstandshilfe lässt – und wird von seinen Betreuern in einem Anfall letzter Hoffnung für die WG in der Wilhelmstraße vorgeschlagen. Die Einbettung in eine familiäre Struktur und das Wohnen mit Männern, die Ähnliches durchlitten haben, sollen ihn diesmal vor dem Absturz bewahren. Michelbacher selbst will es vor allem seiner „Mama Weilguni“ zuliebe schaffen. „Für diese Frau lohnt es sich, trocken zu bleiben“, sagt er voll Überzeugung. Für sie will er wiedergutmachen, was in seinem bisherigen Leben alles schiefgelaufen ist.

Da kommt einiges zusammen: Schon seine Kindheit in der Großfeldsiedlung im Norden Wiens ist von Alkoholismus und Gewalt geprägt. „Da hat es jeden Tag Schlägereien und Messerstechereien gegeben“, erinnert sich Michelbacher. „Und ich und mein Bruder waren mittendrin.“ Die Eltern sind den Kindern keine Stütze: der Vater Alkoholiker, die Mutter instabil. Nach der Sonderschule beginnt er eine Maler-Lehre. Doch nach einem gescheiterten Berufsschul-Test ist Endstation – wie auch in der Fleischhauer-Lehre danach. Orientierungslos springt der junge Mann von Job zu Job, wird „Packerlschupfer“ bei der Post, Pistazienverpacker oder Bauarbeiter, vertreibt sich mit Mutproben die Zeit, greift regelmäßig zur Flasche – und wird ständig arbeitslos. Schließlich heiratet er seine Jugendliebe, bekommt mit der psychisch labilen Frau einen Sohn und zwei Töchter, liefert sich ständig Schlägereien, wird mit Kind und Kegel delogiert und am Ende geschieden. 2007 nimmt ihm das Jugendamt auch noch die Kinder weg: Die älteren kommen in eine Betreuungseinrichtung, die Jüngste zu Pflegeeltern.

„Saufen kann ich im nächsten Leben“

All das kann Markus Michelbacher nicht ungeschehen machen. Doch zumindest die Zukunft soll rosiger sein. Um das Besuchsrecht für seine Kinder hat er sich redlich bemüht – mit Erfolg: Alle zwei Wochen fährt er den heute zehnjährigen Sohn und die siebenjährige Tochter besuchen. Schon demnächst will er ihnen sein neues Zuhause in der Wilhelmstraße zeigen und mit ihnen in den Tiergarten fahren. Auch das Projekt Arbeitssuche steht am Programm: Mehrmals schon hat er sich als Möbelpacker vorgestellt – pünktlich und nüchtern, ganz gegen seine frühere Art. „Jetzt passe ich mich den Leuten an, die ordentlich sind“, sagt er hoffnungsfroh, „denen, die einen Fahrschein zwicken, die nichts stehlen und keinen anderen niederschlagen.“ Mit all dem sei jetzt Schluss. Und mit dem Alkohol sowieso. „Saufen kann ich auch noch im nächsten Leben.“

Die Kraft für diesen Neubeginn bekommt er auch aus dem Glauben. Früher hat er darum gebetet, nicht verprügelt zu werden. Heute besucht er jeden Sonntag den Gottesdienst der Caritasgemeinde am Schedifkaplatz und bittet Gott um eine zweite Chance. „Der da oben meint es gut mit mir“, meint dieser Mann ohne jede Ironie. Die Blutwerte seien in Ordnung, das offene Magengeschwür verheilt, die Suizidversuche überlebt. Er ist kräftig, hat Pläne und will seinen neuen Wohnungskollegen im Ernstfall zur Seite stehen. „Schließlich war ich auch einmal ganz unten“, sagt der muskulöse Mann in seinem Zimmerchen. „Das darf man nicht vergessen.“

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