Der drohende Verlust der Sprache

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Die Hitze ist gebrochen, der Sommer neigt sich dem Ende zu. Mit den Vorboten des Herbstes naht der Auftakt zur, genau, politischen Herbstarbeit. Die Regierung wird in zehn Tagen in Klausur gehen und als Erstes wohl festzustellen haben, dass sie zwar kaum etwas getan, sich aber dennoch einiges verändert hat. Und das ist, man nehme nur alles in allem, tief gehend und dramatisch genug.

Verpasste Jubiläen

Es ist ein salopper, negligierender Umgang mit Gedenktagen, der auffällt. Polens Solidarno´s´c feierte Jubiläum, Ungarn die Öffnung der Grenze zum Westen, die Wiener UNO-City den dreißigsten Jahrestag ihres Bestehens. Das Außenministerium und sein Chef bemühten sich da und dort, Flagge zu zeigen, aber die wirkungsvolle Geste, die tiefer gehende Rede, die Einordnung der Vorgänge in das gemeinsame Gedächtnis – dies alles blieb aus. Völlig zu Recht fragte der Journalist Hubert Wachter in diesem Zusammenhang: „Warum hält das offizielle Österreich zu diesen Jubiläen den Ball so flach?“

Fehlt das historische Bewusstsein?

Es fehlten etliche der höchsten Repräsentanten des Staates, als Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel an der österreichisch-ungarischen Grenze dem historischen Fall des Eisernen Vorhanges ihre Reverenz erwies. Sie fehlten ebenso, als der UNO-Generalsekretär an den Gestaden der Donau internationale Zusammenarbeit einmahnte, als sich die Diplomaten jener Länder, mit denen Österreich im UNO-Sicherheitsrat vertreten ist, in Alpbach trafen. Und zum Gedenktag des Ausbruchs des Zweiten Weltkrieges gab der Regierungschef in Danzig, nimmt man die Berichte zur Grundlage einer ersten Einschätzung, lediglich den stummen Gast.

Dem kritischen Befund mag man zweierlei entgegenhalten: Bundespräsident Heinz Fischer wird noch im September eine ganze Woche in New York weilen und bei sämtlichen wesentlichen Terminen und Konferenzen der Vereinten Nationen anwesend sein. Das ist gut so, auch wenn es, was möglich und wahrscheinlich ist, dem bevorstehenden Wahlkampf um eine zweite Amtsperiode in der Hofburg mindestens so dienlich ist wie der Repräsentation der Republik. Zum Zweiten kommen noch einige Gedenktage, etwa jene der samtenen Revolution, mit dem Herbst auf uns zu. Spätestens dann, darauf ist zu drängen, wollen wir den Eindruck, bei der gegenwärtigen Bundesregierung handle es sich um eine ohne jegliches historisches Bewusstsein, widerlegt sehen.

Die geistige und kulturelle, damit auch politische, Pflege historischer Gedenktage ist keinesfalls Lückenfüller einer ansonsten öden journalistischen Agenda. Gerade die Jahreszahlen 1939 und 1989 dokumentieren mit ihren Ereignissen die Bedeutung einer Friedens- und Verständigungspolitik. Diese ist stets mühsam, muss stets neu entworfen und erläutert werden, muss ständig um Worte ringen und sich um Gehör bemühen. Gelingt das nicht, geht mehr verloren, als man auf den ersten Blick am Umstand einer nicht gehaltenen Rede zu erkennen vermag. Denn Geschichtslosigkeit, und das ist Kritik und Vorwurf, nimmt der Gegenwart ihre Substanz und der Zukunft ihre Perspektiven. Sie zerreißt den Faden der Entwicklung. Sie verhindert, Erfahrungen zu verdichten, Erkenntnisse zu gewinnen, Lehren zu schöpfen, Konsequenzen zu ziehen.

Bittere Folgen der Sprachlosigkeit

All das, was hierbei also verloren zu gehen droht, besteht ja zudem nicht um seiner selbst willen. Ganz im Gegenteil. Es geht um die Vernunft, dank deren Gebrauchs sich die Dinge des Lebens zum Besseren wenden lassen. Das gelingt keineswegs immer, aber es gibt keinen anderen Weg. Also hat man an Ereignisse zu erinnern, die Dinge zu benennen. Sprachlosigkeit der Politiker ist der erste Schritt zu einer Entpolitisierung der Öffentlichkeit. Die Folgen dieses Vorganges sind bitter, wie Oskar Negt und Alexander Kluge in „Maßverhältnisse des Politischen“ schreiben: „Öffentlichkeitsverlust der Sprache geht jedoch einher mit der Zementierung von Privilegienstrukturen.“

Genau: Weil es eben schreiendes Unrecht gibt, weil 1939 ein Massenmorden entzündet wurde, weil 1989 Unrecht überwunden wurde, dürfen der Politik die Worte dafür niemals fehlen.

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