Der Gegenwart einen Schritt voraus

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Dass das Thema Zukunft boomt, zeigen allein schon die Spätabend-Sendungen im Fernsehen. Neben Quizzshows und Einkaufsfernsehen locken nämlich Kartenleger, Wahrsager und Sterndeuter mit der Aussicht,Licht in die Zukunft der Anrufer zu bringen (die natürlich zuvor eine Mehrwertnummer gewählt haben). Die Furche hat auf das Angebot verzichtet und geht im folgenden Dossier lieber anderen Fragen zur Zukunft nach. Wobei natürlich auch Prognosen nicht völlig fehlen dürfen. Allerdings ganz ohne Karten, Glaskugel und Horoskop. Redaktion: Claudia Feiertag Matthias Horx ist einer der bekanntesten Zukunftsforscher im deutschsprachigen Raum. Der Furche erzählte der Gründer und Inhaber des Zukunftsinstitutes, wie sein Beruf funktioniert.

Matthias Horx ist ein zuversichtlicher Mensch. Und sieht als solcher eine durchaus positive Zukunft auf sich und die Menschheit zukommen. "Er wird kommen, der Moment, an dem kein Diktator, kein Oberbrüllaffe eines wie auch immer gearteten Clans mehr morden und wüten lassen kann. Der Moment, an dem ein Gerichtshof für Menschenrechte auch in Addis Abeba, Peking und Pjöngjang funktioniert", prognostiziert der Zukunftsforscher in seinem Buch "Wie wir leben werden". Dort kann man auch nachlesen, dass im Jahr 2050 etwa 15 Prozent aller Kinder im Reagenzglas gezeugt werden, dass die Reproduktionsspanne mit 13 Jahren beginnt und mit 70 endet, dass der Durchschnittsmensch am Ende seines langen Lebens zwei bis drei Familien gegründet und vier bis fünf Berufe ausgeübt haben wird. Und sogar, dass dereinst 30 Prozent aller Liebesbeziehungen "glücklich im weitesten Sinn des Wortes" sein werden.

Bücher, Bücher, Bücher

Und natürlich, dass die Mobilität weiter zunimmt. Matthias Horx ist heute schon sehr mobil. Schließlich ist der gebürtige Düsseldorfer mit Wohnsitz in Wien permanent unterwegs im Sinne der Zukunft, hält jährlich hundert Vorträge, schreibt und sammelt Bücher. An die 5000, sagt der Zukunftsforscher, habe er in den Regalen in seinem Zukunftsinstitut stehen. "Und alle gelesen", fügt er hinzu für den Fall, dass man daran gezweifelt haben sollte. Als "Datenfresser" bezeichnet sich der 50-Jährige selbst, der in den vergangenen zehn Jahren rund 2500 Großsstudien ausgewertet habe über Demografie, Bildungsniveaus, Familienstrukturen, technischen Entwicklungen, Konsum... Dass er einmal Soziologie studiert hat, ist in seiner Branche auch kein Nachteil. Genügen würde das freilich längst nicht. "Ich habe den Anspruch, alle Wissenschaften zu kennen", sagt er nicht ohne Stolz, wenngleich er natürlich in keiner Spezialist sei. "Aber ich weiß, wie man Teilchen über die Donau beamt und kann mit Ihnen gerne über 14-dimensionale String-Universen (Rechenmodelle, mit denen Quantenmechanik und Gravitationslehre in Einklang gebracht werden sollen, Anm.) diskutieren."

Monat für Monat bringt er seine Erkenntnisse über künftiges Leben, Lieben und Konsumieren in Form des "Zukunftsletters" an die interessierte Kundschaft, mehrheitlich Unternehmer und Manager, die wissen wollen, wie sie ihre Produkte ausrichten sollen. Verlässliche Vorhersagen zu machen sei dabei gar nicht so schwierig, meint er: "Mein Job ist eine Art Gegenwartskunst, in der ich Wirkkräfte darstelle, die heute zu spüren sind. Ich spiegle sozusagen die Gegenwart wieder und die Denkweisen und Systeme, die sie bestimmen." Dann nur noch die Gegenwart in die Zukunft fortschreiben, passende Namen für künftige Entwicklungen finden (etwa "Selfness", wie Horx den Trend zu permanenter Selbstveränderung nennt), und fertig ist die Prognose.

Wer also einmal Entwicklungen der Vergangenheit seriös analysiert und gesellschaftliche Wandlungsprozesse verstanden habe, könne gar nicht mehr irren, ist er überzeugt. Anfang der 90er etwa habe er angekündigt, schlechter Geschmack würde zur Kultbewegung. Eine gewagte Ansage für eine Zeit, in der sich alles um schickes Design drehte. "Damals war von DJ Ötzi und dem Big-Brother-Container-Star Zlatko noch nichts zu hören, und es hat auch keiner geglaubt, dass dieser Trend tatsächlich kommen würde." Außer Horx eben. Der auch den Markt für Billigprodukte kommen sah, als die halbe Welt ihr Geld noch in teure Prestigeobjekte steckte. Da wundert es schon fast nicht mehr, dass er von Anfang an dem New-Economy-Hype skeptisch gegenüberstand. Er ist sich allerdings bewusst, dass von eingetretene Prognosen niemand etwa hören will. "Da heißt es ja nur, ich sei ein Besserwisser."

Überhaupt scheint der Beruf des Zukunftsforschers ein undankbarer zu sein. "90 Prozent der Leute bei meinen Vorträgen haben zu Beginn mir gegenüber eine negative Haltung", ist er überzeugt. Allerdings mache das auch den Reiz seines Berufs aus. "Ich versuche, bei den Leuten Irritation zu erzeugen, indem ich ihre Weltanker erschüttere." Schließlich bestünden gegen evolutionäre Tendenzen immer Regressionen im Kopf, die es zu zertrümmern gelte. "Da verstehe ich mich durchaus als Entwicklungshelfer." So kann der ehemalige Journalist beispielsweise die Vorbehalte gegen die Globalisierung überhaupt nicht teilen. Sie seien Ausdruck der - zyklisch auftretenden - allgemeinen Zukunftsangst, erklärt er und meint verächtlich: "Im tiefen Tal der Globalisierungsängste ist die Vorstellung von der Zukunft geprägt von der Furcht vor Vogelgrippe und den Chinesen."

Keine Brüche

Allerdings könnten solche Ängste die Entwicklung genausowenig aufhalten wie weltbewegende Ereignisse. "Die großen Events werden unheimlich überschätzt. Auch der 11. September", als Flugzeuge ins World Trade Center krachten und eine ganze Nation in ihren Grundfesten erschütterten. "Und was ist passiert? Die Welt ist immer noch nicht untergegangen. Im Grunde genommen gibt es keine Ereignisse, die wesentliche evolutionäre Stränge verändern würden."

WIE WIR LEBEN WERDEN

Unsere Zukunft beginnt jetzt

Von Matthias Horx

Camus Verlag, Frankfurt a.M. 2005

397 Seiten, geb., e 25,60

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