Der griechische Kanarienvogel

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Der Notfallplan der EU-Regierungschefs zur Rettung Griechenlands aus seinen Finanznöten ist nur wenig überzeugend. Vor allem die Rolle des Internationalen Währungsfonds ist unklar. Zur Verhütung des Schlimmsten kaufen Staatsbanken nun von Athen ausgegebene Staatsanleihen.

Der Kanarienvogel ist nicht nur ein possierlicher Pfeifer in Wohn- und Kinderzimmern. Er verfügt auch über hervorragende Sensoren für giftige Grubengase. So kam es, dass über Jahrhunderte Bergleute mit einem kleinen Käfig untertage fuhren. Saß der Vogel dann in der Grube unbekümmert auf seinem Sprießel, konnte ruhig gearbeitet werden, fiel er tot zu Boden, war Flucht angesagt. An den Vogel erinnerte unlängst der US-Ökonom Daniel Roubini, als er von Griechenlands Finanzmisere sprach und das Land mit einem „Canary in a Coalmine“ verglich. Wobei er Hellas nicht als Lebensretter, sondern als erstes Opfer einer Katastrophe verstand, die andere Volkswirtschaften in Europa mitreißen könnte.

Roubinis Aussagen stehen in krassem Gegensatz zur Meinungsfärbelung der europäischen Staats- und Regierungschefs, die sich erst vergangene Woche berühmten, dem von Schulden, Streiks und Demonstrationen zermarterten Euro-Mitglied Griechenland mit einer „Versicherung“ für den Ernstfall aus der Patsche geholfen zu haben.

Dieser Erwartungshaltung stehen aber immer noch die Grunddaten des Desasters entgegen: Rezession von minus zwei Prozent bis über 2010 hinaus, Gesamtstaatsverschuldung von 114 Prozent des BIP (153 bis 2014), Zinslast bis 2011 allein 53 Milliarden Euro, bis 2014 (laut Economist) 75 Milliarden Euro. Die von der Regierung ins Werk gesetzten Maßnahmen, Kürzung der Beamtengehälter und Pensionen, Erhöhung der Mehrwertsteuer, dürften erst der Anfang eines langen Weges der Konsolidierung sein, gepflastert mit hoher Arbeitslosigkeit und Firmenpleiten wegen zu hoher Kreditzinsen.

Dass die internationalen Investoren lieber dem negativen Szenario anhängen, zeigte sich schon am Montag, als sich die Regierung Milliarden Euro per Anleihen von den Finanzmärkten holen wollte. Investoren meldeten gerade einmal Interesse für sieben Milliarden Euro an, ausgegeben wurden schließlich fünf Milliarden, die mit stattlichen sechs Prozent Zinsen ausgestattet sind. Wer meint, das Kapital dafür käme aus privaten Taschen, irrt: Der Löwenanteil der Anleihen wurde von französischen und anderen europäischen Staatsbanken bezahlt. Damit befinden sich derzeit über 400 Milliarden Euro griechischer Schulden (privat und staatlich) im Besitz europäischer Staaten oder Banken.

„Dümmlicher Mischmasch“

Wäre man ungnädig mit Europas politischen Häuptern, würde man ihnen vorwerfen, vor den Medien einen Ernstfallnotplan zu diskutieren, den die Realität längst in Kraft gesetzt hat. Jim O’Neill, Chef der Wirtschaftsanalyseabteilung der Investmentbank Goldman Sachs, nennt den Beschluss der Regierungschefs denn auch ein „etwas dümmliches Mischmasch, geboren in dunklen Konferenzräumen um drei Uhr früh“.

Ähnlich kritisch sehen Experten die Diskussion um die Rolle des Internationalen Währungsfonds IWF bei der Bewältigung der Krise. Europas Staatschefs wollen dem Fonds, in den sie selbst großzügig einzahlen, zunächst erst nach langem Hin und Her eine „entscheidende Rolle im Ernstfall“ einräumen. Doch was bedeutet das in konkreten Zahlen? Hier ein ernüchternder Ausblick: Der IWF könnte Griechenland im äußersten Fall mit einem Gesamtdarlehen von zehn bis zwölf Milliarden Euro helfen. Doch im Falle Griechenlands erscheint das etwas zu wenig. Daniel Gros vom Brüsseler Center for European Policy Studies: „Griechenland hat einen Bedarf von etwa 50 Milliarden bis Ende dieses Jahres. Der IWF würde aber nach seinen Richtlinien das Geld nur in Tranchen überweisen, also 3–5 Milliarden in den kommenden Monaten ausschütten können. Die Summe reicht also bei Weitem nicht.“

Werden also doch die Bruderstaaten in Europa Solidarität in Milliardenhöhe zeigen müssen, wie Nobelpreisträger Joseph Stiglitz fordert? Wie oben beschrieben, tun sie es indirekt bereits. Doch können sie weitere Milliarden leihen? In einer Zeit, da sich viele Haushalte der „Schuldensättigung“ (FAZ) nähern, keine unberechtigte Frage. Wie viel Luft haben wir noch für Griechenland? Hier kommt im negativen Fall wieder der Kanarienvogel im Kohlebergwerk ins Spiel. Nouriel Roubini meint: „Die Unterstützung für Griechenland muss kommen. Sollte Griechenland fallen, könnten Spanien und Portugal angesteckt werden, das Desaster würde in vieler Hinsicht nur noch größer werden.“

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