"Der internationale Kinderhandel blüht"

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Es mehren sich die Meldungen von Kindesmißbrauch, Kinderpornographie und Kindesmißhandlung. Die UNO-Menschenrechtskonvention hat diesen katastrophalen Mißständen den Kampf angesagt. Anläßlich ihrer heurigen Frühjahrstagung sprach Die Furche mit der philippinischen Berichterstatterin über die internationale Lage der Kinder.

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Es mehren sich die Meldungen von Kindesmißbrauch, Kinderpornographie und Kindesmißhandlung. Die UNO-Menschenrechtskonvention hat diesen katastrophalen Mißständen den Kampf angesagt. Anläßlich ihrer heurigen Frühjahrstagung sprach Die Furche mit der philippinischen Berichterstatterin über die internationale Lage der Kinder.

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Die Furche: Frau Calcetas-Santos, was hat Sie persönlich bewogen, sich als Sonderberichterstatterin der UN-Menschenrechtskomission für die Rechte der Kinder einzusetzen?

Ofelia Calcetas-Santos: Als Mutter von fünf erwachsenen und erfolgreichen Söhnen bin ich dankbar, daß ich in der Lage war, meinen Kindern eine unbelastete und harmonische Kindheit zu ermöglichen. Zahllosen Kindern ist dieses Glück nicht vergönnt, denn als schwächste Mitglieder der Gesellschaft sind sie stets gefährdete Wesen. Das trifft für Kinder aller Regionen und Milieus zu. Sei es in armen oder reichen Ländern, sei es im Norden, Süden, Westen oder Osten. Auch wenn ich mich manchmal frage, was meine Arbeit wirklich bewirken kann, bin ich überzeugt, daß sich schon der kleinste Einsatz für Kinder lohnt.

Die Furche: Warum haben Sie in Ihrem diesjährigen Bericht über die schockierenden Ausmaße des Kinderhandels, der Kinderprostitution und der Kinderpornographie Ihr Augenmerk besonders auf das Phänomen der interfamiliären Gewalt gerichtet?

Calcetas-Santos: Ich habe mich in den ersten Jahren meiner Arbeit für die Vereinten Nationen zunächst auf das Rechtssystem, die Erziehung und die Medien konzentriert. Das Schicksal eines Kindes hängt vor allem aber in erster Linie davon ab, wie gut oder schlecht das Zusammenleben in seiner Familie klappt. Hier nimmt alles seinen Anfang, leider auch die Kindesmißhandlungen. Wenn Kindern Gewalt von Fremden angetan wird, ist es schlimm genug. Aber der Schaden der ihnen von den eigenen Familienmitgliedern angetan wird, ist noch wesentlich größer.

Die Furche: Kann man sagen, daß das Leben vieler geschädigter Kinder häufig in einem fast ausweglosen Teufelskreis verläuft?

Calcetas-Santos: Ein großer Teil der Kinder, die später selbstmordgefährdet sind, die von Drogen und Alkohol abhängig werden oder unter Eßstörungen leiden, stammen aus Familien, in denen es zu Gewaltausbrüchen kam. Unsere Studien in Großbritannien, in Kanada und den Vereinigten Staaten haben gezeigt, daß dies in 28 Prozent aller geschlossenen Ehen vorkommt. Kinder die unter solchen gestörten Familienverhältnissen aufwachsen müssen, werden häufig nicht nur körperlich und seelisch geschädigt sondern auch sexuell mißbraucht.

Die Furche: Sind Buben und Mädchen gleichermaßen gefährdet?

Calcetas-Santos: Darüber liegen uns keine Statistiken vor. Wenn die Ansicht von Experten stimmt, daß sich hinter Gewalttätigkeiten auch Machtdemonstrationen gegenüber Schwächeren verbergen, dann sind Mädchen sicher mehr bedroht. Buben sind ab einem gewissen Alter besser in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Eine Studie in den USA hat gezeigt, daß die Hälfte aller obdachlosen Frauen und Kinder einem familiären Gewaltmilieu entflohen sind. Dazu kommt noch die Gefahr, daß sogenannte "schlaue Pädophile" es darauf angelegt haben, alleinstehende Frauen mit Kindern zu heiraten. 1998 hörte ich mir bei einem Kongreß in Kanada über den sexuellen Mißbrauch, das Zeugnis von Kindern und Jugendliche an. Viele meinten, ihr Leben zu Hause sei so unerträglich gewesen, daß sie sich als Straßenkinder wohler gefühlt hätten. Der Prostitution seien sie weniger des Geldes wegen nachgegangen, als aus Sehnsucht nach menschlicher Nähe und Wärme Die Furche: Welche Auswirkung hat die zunehmende Auflösung der Familien?

Calcetas-Santos: Auch hier hat ein weltweiter Umbruch stattgefunden. Die Zahl der Kinder, die ohne familiäre Wurzeln aufwachsen müssen, nimmt ständig zu. Die Ursachen sind unterschiedlich. In manchen Ländern liegen die Gründe vor allem in der Armut. Wenn sich die sozialen Netze von Großfamilien auflösen, dann werden Menschen gezwungen, als einzelne um ihr Überleben zu kämpfen. Das trifft sowohl für kriegerische Konflikte, als auch für Naturkatastrophen zu.

Die Furche: Wie sieht es in Ihrem Heimatland, den Philippinen aus, in dem an die 84 Prozent Katholiken leben?

Calcetas-Santos: Sicher bleiben gläubige katholische Ehepaare in schwierigen Zeiten oft wegen des Wohls ihrer Kinder zusammen. Heute hat aber auch hier ein Traditionsbruch stattgefunden. Viele Eltern können an die Kinder nicht mehr ihre eigenen Familienwerte vermitteln. Zudem haben fast in allen Teilen der Welt Jugendliche durch das Internet und das Fernsehen Zugang zu Informationen, die kaum im Kontext mit den Verhaltensnormen ihrer eigenen Kultur stehen. Dadurch verschwinden aber auch überlieferten Vorstellungen, die nicht unbedingt im Interesse der Kinder standen.

Die Furche: In Ihrem Bericht ist von der Gefahr die Rede, daß Adoptionen zu einer Form des Kinderhandels ausarten können. Heißt das, man bietet Kinder wie Waren feil?

Calcetas-Santos: Ja, leider. Eine Form des Kinderhandels läuft über Adoptionen. Das trifft zum Beispiel für Guatemala zu. Hauptabnehmer sind die USA, Frankreich, Kanada und Spanien. Wenn ein Kind innerhalb Guatemalas adoptiert wird, finden gewöhnlich direkte Absprachen zwischen der Kindesmutter und den Adoptiveltern statt. Tauchen Ausländer auf, dann schalten sich verschiedene Vermittler wie Taxifahrer, Notare oder Anwälte ein und die Preise steigen für guatemaltekische Verhältnisse ins Unermeßliche. Kostet eine inländische Adoption 300 Dollar, kann mit einer Adoption in ein westliches Land bis zu 30.000 Dollar erzielt werden. Zudem sind legal verlaufende Adoptionen eher die Ausnahme. Es gibt kriminelle Gruppen, die sich ganz auf den Kauf und den Verkauf von Kindern spezialisiert haben, die Geburtsurkunden fälschen, ja Kinder entführen.

Die Furche: Kann man den Mißbrauch der mit Adoptionen getrieben wird, international überhaupt kontrollieren?

Calcetas-Santos: Die Haager Konventionen legen zwar die Bedingungen für globale Adoptionen fest, sie verfügen aber über keine Möglichkeiten Mißachtung zu bestrafen. So hat Guatemala zwar die Konvention für die Rechte des Kindes auf dem Papier ratifiziert, unternimmt aber wenig, um die devisenträchtigen Geschäfte mit Adoptionen zu stoppen. Die Rechte der Kinder werden in vielen Ländern immer noch sträflich vernachlässigt. Kinder sind eben keine Stimmbürger. Politiker bemühen sich um die Stimmen von Frauen, aber sie setzen sich kaum für die Belange von Kindern ein.

Die Furche: Sprechen wir über Europa. Vor vier Jahren machte Belgien wegen des Kinderschänders Marc Dutroux erschreckende Schlagzeilen in der Weltpresse ...

Calcetas-Santos: Im letzten Dezember habe ich ein Rapport über Belgien und die Niederlande verfaßt. Dieser grauenerregende Fall hat jedoch bewirkt, daß 300.000 Menschen bei dem sogenannten "Weißen Marsch" von der Regierung sofortige Maßnahmen gefordert haben. Bei meiner Mission habe ich allerdings auch feststellen müssen, daß die beiden Benelux-Staaten zu einem Hauptumschlagsplatz des Menschenhandels geworden sind. So werden zum Beispiel afrikanische Knaben an Fußballclubs verschachert. Sie sind billiger auszubilden als die einheimischen Nachwuchsspieler. Erfüllen die kleinen Afrikaner die in sie gesetzten Erwartungen nicht, wirft man sie als illegale Einwanderer kurzerhand hinaus. Ein weiters trauriges Kapitel ist der Handel mit Kinderprostituierten. Es gibt Netzwerke die von der unstabilen politischen Situation des Balkans profitieren und minderjährige Mädchen aus dem Kosovo oder Albanien als Asylsuchende einschmuggeln. Wenn sie versuchen aus der Prostitution auszusteigen, dann bedrohen diese Banden ihre Familien zu Hause.

Die Furche: Was kann man Ihrer Meinung nach konkret tun, um global die Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen zu verbessern?

Calcetas-Santos: Die Heilung von Kindern ist eine wichtige Aufgaben von Kinderpsychologen und Kinderärzten. Aber noch wichtiger wäre es, alles zu tun, damit es erst gar nicht zum Mißbrauch von Kindern kommt. Das ist zudem auch viel weniger kostspielig. Denn es kostet sehr viel Geld, auch nur ein einziges Kind von seinen Schäden zu heilen. Wir sollten die Familie stärken, damit Kinder in einer gesunden Umgebung aufwachsen können. Das ist das größte Geschenk für jedes Kind. Daher sollten sich alle Sektoren der Gesellschaft für den Schutz der Familien einsetzen. Es besteht eine wichtige Interdependenz zwischen dem Wohl von Kindern, von Eltern und der Gesellschaft. Ob in reichen oder in armen Ländern, Liebe ist für jedes Kind am aller wichtigsten.

Das Gespräch führte Felizitas von Schönborn ZUR PERSON Anwältin und Mutter von fünf Söhnen Seit 1995 ist die philippinische Anwältin und Rechtsexpertin im Familienrecht Ofelia Calcetas-Santos Sonderberichterstatterin der UNO-Menschenrechtskomission (MRK), die jedes Frühjahr in Genf tagt. Im Kampf gegen den Mißbrauch und zum Schutz der Kinder bereist sie verschiedene Länder und analysiert in ihren Berichten die unterschiedlichen Faktoren des weltweiten Kinderhandels, der Kinderprostitution und der Kinderpornographie. Im diesjährigen Bericht richtet sie ihr Augenmerk auf den familiären Kontext dieser erschreckenden Mißstände. Ofelia Calcetas-Santos ist Mutter von fünf Kindern und leitet unter anderem FAIR einen nicht-staatlichen (NGO) Verein für das Interesse und die Rechte des Kindes.

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