Der Kampf um jeden Bürger

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Wer von Mödling nach Wien pendelt, wird zweimal mit der Volkszählung (Stichtag: 15. Mai) konfrontiert: "Wien zählt auf dich", so die Botschaft auf allen Stadteinfahrten. "Mein Mödling - Hauptwohnsitz für Sport und Kultur", liest er an der Stadtgrenze der Bezirkstadtim Süden Wiens.

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Wer von Mödling nach Wien pendelt, wird zweimal mit der Volkszählung (Stichtag: 15. Mai) konfrontiert: "Wien zählt auf dich", so die Botschaft auf allen Stadteinfahrten. "Mein Mödling - Hauptwohnsitz für Sport und Kultur", liest er an der Stadtgrenze der Bezirkstadtim Süden Wiens.

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Derzeit herrscht ein enormes "G'riss" um den Bürger. So lockt Linz mit einem Gratis-Semester-Ticket der Verkehrsbetriebe seine Studenten, sich für die Stadt an der Donau als Hauptwohnsitz zu entscheiden. Dieses Werben hat einen guten Grund: Die Daten der jetzigen Volkszählung (VZ) entscheiden darüber, wie der 75-Milliarden-Schilling-Kuchen an Steuermitteln im Rahmen des Finanzausgleichs unter den Gemeinden verteilt wird: Je mehr Einwohner, umso mehr Geld.

Rund 10.000 Schilling wird im Durchschnitt pro Kopf ausgeschüttet. Je größer die Gemeinde, umso "wertvoller" wird der Bürger allerdings: In kleinen Gemeinden bringt er 6.900, in solchen mit mehr als 50.000 Einwohnern beachtliche 11.900 Schilling. Man versteht den Eifer der Städte.

Allerdings ist jetzt schon absehbar, dass sie ab 2002 - dann liegen die VZ-Ergebnisse wohl vor - mit Einbußen rechnen müssen: Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhamer rechnet damit, dass dreistellige Millionenbeträge in Richtung kleinere Gemeinden fließen werden. Vor allem die im Umland der Städte gelegenen werden profitieren.

Was wird nun aber am 15. Mai alles erhoben? Zunächst der Hauptwohnsitz der Bürger. Bei 85 Prozent der Bevölkerung ist es ohnedies keine Frage, welcher Ort für sie der "Mittelpunkt der Lebensbeziehungen" ist - so der Gesetzeswortlauf. Die etwa 1,2 Millionen Österreicher, die an mehreren Orten leben, müssen sich entscheiden. Als Kriterien für den Hauptwohnsitz zählt das Gesetz auf: Aufenthaltsdauer, Arbeitsplatz, Ausbildungstätte, Wohnsitz der Familienangehörigen, Ausgangspunkt des Arbeits- oder Schulweges. Reicht all das nicht zur Festlegung, so kann die Person selbst entscheiden, zu welchem Ort sie ein "überwiegendes Naheverhältnis" hat (§ 1 Abs. 7 Meldegesetz).

Eine Neuerung gibt es bei der diesjährigen VZ: Die Information über die Zuordnung der Bürger geht nicht nur an die Gemeinden, die ja für das Meldewesen zuständig sind. Vielmehr werden die Daten in das neu zu errichtende Zentrale Melderegister im Innenministerium eingespeist. Dort wird es in Zukunft für jeden Bürger einen Datensatz geben, der folgende Informationen enthält: Name, Staatsbürgerschaft, Geburtsdaten und alle Wohnsitze. Die Errichtung dieses Registers ist heftig umstritten (siehe S. 2).

Umstrittene Fragen Im Rahmen der VZ wird jedenfalls eine Unmenge von Daten erhoben: Geschlecht, Familienstand, Staatsbürgerschaft, Zahl der Kinder, Ausbildung, Art der Berufstätigkeit, Weg zum Arbeitsplatz. Besonders von den "Grünen" wurden die Fragen nach der Umgangssprache, dem Religionsbekenntnis und der Stellung im Haushalt kritisiert. Das sei Privatsache, gehe den Staat nichts an. Alexander Van der Bellen etwa erklärte, er werde die beiden letzten Fragen nicht beantworten.

Die Statistiker halten dem entgegen, dass im Zuge der zwischen 1998 und 2000 durchgeführten drei Tests für die VZ kaum Bedenken gegen die Frage geäußert worden seien. Immerhin habe man in 27 Gemeinden 16.226 Haushalte mit den Fragen konfrontiert und 90 Prozent der Rückmeldungen hätten an keiner einzigen der gestellten Fragen etwas auszusetzen gehabt. Den Berichten zufolge habe es bei den Tests auch so gut wie keine Verweigerungen gegeben. Verwiesen wird auch auf die letzte Volkszählung, bei der 96,5 Prozent der Befragten Auskunft über ihr Religionsbekenntnis gegeben hätten.

Auch sei der Kernbestand der Fragen seit Jahrzehnten derselbe, erklärt Johann Ladstätter, der für Fragen der VZ zuständige Referent von "Statistik Austria" - ehemals "Statistisches Zentralamt". Seit der ersten VZ nach dem Zweiten Weltkrieg (1951) bleibe man - schon aus Gründen der Vergleichbarkeit - bei einem bewährten Programm, Manche Themenbereiche würden heute allerdings ausführlicher abgefragt. So gab es beispielsweise 1961 nur eine einzige Frage zur Ausbildung - nach Akademiker, Maturant, sonstige. In der Zählung 2001 findet man zu diesem Themenbereich hingegen eine ganze Seite mit Fragen. Im Vergleich zu 1991 sei vor allem das Thema Pendeln zum Arbeitsplatz ausgeweitet worden. Auf Wunsch der EU haben man die Frage nach dem Geburtsland einbezogen.

Um die internationale Vergleichbarkeit der Daten ist man sehr bemüht. Internationalen Organisationen (UNO, ECE, EU) veranstalten eigene Konferenzen, an denen Österreich seit Jahrzehnten teilnimmt, um die Klassifikationen und Definitionen der Länder aneinander anzugleichen. Der EU-Beitritt hat diesen Angleichungsprozess an die Statistik der Mitgliedsstaaten stark befördert.

Eigentlich sollten ja alle EU-Länder heuer zwischen Jahresbeginn und Ende Ende Mai ihre Volkszählungen durchführen. Drei Länder haben sich jedoch nicht an diese Vorgabe von "Eurostat" gehalten: Frankreich hat schon 1999 gezählt und Italien seine Erhebung für den Oktober angesetzt. Deutschland wiederum wird seine Zählung voraussichtlich erst in vier Jahren durchführen können, da es nicht rechtzeitig ein Volkszählungsgesetz zustandegebracht hat.

Eine Großzählung In Österreich läuft jedenfalls alles planmäßig. Mit Stichtag 15. Mai findet jedoch nicht nur eine Volkszählung statt, sondern auch eine auch eine Arbeitsstätten- sowie ein Gebäude- und Wohnungszählung statt. Das Ganze läuft unter der Bezeichnung Großzählung, werden doch umfassend Daten von über zwei Millionen Gebäuden, vier Millionen Wohnungen und Haushalten, über 8,1 Millionen Personen und 400.000 Arbeitsstätten erfasst.

Dass ein solcher Vorgang ziemlich aufwendig ist, wird niemanden überraschen. Die Kosten dieser Großzählung werden derzeit auf etwa 500 Millionen Schilling für den Bund geschätzt. 250 Millionen davon erhalten die Gemeinden als Refundierung für ihren Aufwand. Sie sind es ja, die diese Zählung tatsächlich durchführen. "Statistik Austria" hebt allerdings hervor, dass die Datenerfassung diesmal viel einfacher - und daher billiger - über die Bühne gehen sollte als vor zehn Jahren.

Bessere EDV-Nutzung Konnten bisher nur Markierungen und Ziffern direkt mittels EDV ausgewertet werden, so werden die Geräte bei der VZ 2001 auch Schriftzeichen verarbeiten können. Das soll im Vergleich zu 1991 eine enorme Einsparung von 29.000 Bedienstetentagen bringen. Das sei jedenfalls die Größenordnung, mit der man aufgrund der Probeläufe 1998 und 1999 rechnen dürfe. Hoffentlich stimmt's.

Wozu solche Zählungen gut sind? Sie sollen Daten für Planungen und Entscheidungen in der Verwaltung und Gesetzgebung liefern, sie werden von Banken, Meinungsforschungsinstituten und vor allem von der Sozialwissenschaft genutzt. 1991 ließ sich aus den Erhebungen unter anderem ablesen, * dass Österreichs Bevölkerung in den letzten 100 Jahren um 44 Prozent gewachsen ist; * dass Österreichs kleinste Gemeinde 50 Einwohner zählte (Gramais in Tirol), * dass in Österreichs Wohnungen für jeden Bewohner im Durchschnitt 33 Quadratmeter Fläche verfügbar waren - um 43 Prozent mehr als 1971, * dass 30 Prozent der Haushalte nur von einer Person bewohnt wurden, * dass von den Über-60-jährigen in Österreich nur 1,2 Prozent noch berufstätig waren.

Lohnt sich der enorme Aufwand einer Gesamterhebung für die Erfassung solcher Informationen? Die Frage bleibt umstritten. Schließlich lassen sich ja qualitativ fast gleichwertige Informationen durch Stichproben-Erhebungen - wie sie etwa im Mikrozensus durchgeführt werden - erfassen.

In Zukunft werde man ohnedies keine VZ mehr durchführen, erklären übrigens die Statistiker. Sobald man die Daten des Zentralen Melderegisters mit anderen Registern verknüpfen könne, etwa mit einem anzulegenden Bildungsregister oder den bestehenden Daten der Sozialversicherung, sei das nicht mehr nötig. Dänemark und Finnland ersparten sich jetzt schon auf diese Weise die Abhaltung von VZ. Eine solche Erfassung mag zwar billiger als eine Zählung sein, aber für Datenschützer ist diese Perspektive wohl kaum beruhigend.

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