Der Kampf ums Überleben

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Vor 20 Jahren rückte das Schicksal der indigenen Bewohner Südamerikas in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Doch die Lage in vielen Regionen hat sich seither verschlechtert. Verantwortlich dafür: Krieg und Ökonomie.

Die Nasa oder Paéz sind mit etwa 120.000 Angehörigen die zahlenmäßig zweitstärkste indianische Ethnie Kolumbiens. Es ist ein Volk mit einer starken rebellischen Tradition, das nie von den spanischen Eroberern unterworfen wurde. Auch heute noch stehen sie an vorderster Stelle des Kampfes zur Verteidigung ihrer kulturellen Eigenständigkeit und der ihres Landes. Wegen ihrer Weigerung, sich dem Diktat der FARC-Guerilla zu unterwerfen, werden sie immer wieder von dieser attackiert: Seit Jahresbeginn sind 40 Aktivisten dieses Volkes ermordet worden, 24 seit Anfang Juli. Die Paéz stehen zwischen den Fronten - auf der einen Seite die rücksichtslosen Guerilla-Kämpfer, auf der anderen die kolumbianische Armee.

Wegen der starken militärischen Präsenz in ihrer Region beschlossen die Nasa, ein gewaltloses Zeichen des Protestes zu setzen. Mitte Juli drang eine Gruppe von ihnen in eine Militärbasis ein, welche die Armee am Fuß eines ihnen heiligen Berges errichtet hatte - und trugen die Soldaten händisch weg. Die Fotos von dieser gewaltlosen Aktion gingen um die ganze Welt und wurden von den kolumbianischen Medien zu einer Kampagne gegen die Indígenas wegen "Erniedrigung der Armee“ verwendet. Doch die Protestaktionen der Bevölkerung wurden immer stärker, sie forderten einen direkten Dialog mit dem Präsidenten Juan Manuel Santos - und nach anfänglichem Weigern gab dieser schließlich nach und besuchte in der dritten Augustwoche das nördliche Cauca.

Zweierlei Recht

Über 10.000 Menschen wohnten der Ansprache des Staatschefs bei, dieser hörte sich ihre Probleme an. Die Hauptanliegen der indigenen Sprecher und Sprecherinnen bezogen sich auf eine Einstellung der Kämpfe zwischen Armee und Guerilla auf ihrem Gebiet, auf eine Umsetzung des verfassungsmäßigen Rechtes auf Autonomie und auf eine Rücknahme der zahlreich vergebenen Bergbaukonzessionen.

Kolumbien ist der einzige Staat Lateinamerikas, in dem die indigene Bevölkerung unter den Auswirkungen des Kampfes zwischen Staat, rechtsextremen Paramilitärs und linker Guerilla leidet.

In der Regel liegen die Probleme in der Plünderung ihres Landes durch infrastrukturelle Großprojekte und durch die Plünderung von Rohstoffen. In Honduras leben insgesamt neun indigene Völker, deren Überleben an ihre Beziehung zum "Territorium“, zu ihrem Gemeindeland, gebunden ist. Seit dem Rechtsputsch Ende Juni 2009 wurde aber ein Drittel des honduranischen Staatsgebietes an private Unternehmen vergeben. "Häufig werden ganze Flüsse für meist 50 Jahre an ausländische Gesellschaften verpachtet. Für uns Indigene bedeutet das den Verlust der Autonomie, unseres Lebens, der Vielfalt von Pflanzen und Tieren“, sagt Berta Cáceres,, Koordinatorin eines Netzwerkes von indigenen und kleinbäuerlichen Organisationen. Ihre Vision ist der Aufbau einer Macht von unten. "Das ist nicht nur ein Kampf gegen transnationale Konzerne, Paramilitärs und Armee, sondern ein Kampf, der auf der Straße, in unserem Haus, in unserem Bett beginnen muss“, so die im vergangenen Juni in Deutschland mit dem Shalom-Preis für Gerechtigkeit und Frieden ausgezeichnete Menschenrechtsaktivistin.

In Brasilien ist zwar seit fast einem Jahrzehnt eine linke Regierung an der Macht, dennoch leiden die indigenen Völker unter der exportorientierten Wirtschaftspolitik der südamerikanischen Weltmacht. Das Staudammprojekt Belo Monte, in der Amazonas-Diözese von Bischof Erwin Kräutler gelegen, ist nur das Fanal für eine industrielle Erschließung der größten Sauerstofflunge der Welt: In der Amazonasregion ist der Bau von 48 weiteren Wasserkraftwerken geplant, mit katastrophalen Auswirkungen für die indigene Bevölkerung und die Ökosysteme.

Schrumpfender Lebensraum

"Der Schutz des Regenwaldes soll den wirtschaftspolitischen Gegebenheiten angepasst werden“, verkündete Präsidentin Dilma Rousseff bei der Konferenz Rio + 20 vor wenigen Monaten. Auf die Unterstützung der österreichischen Wirtschaft kann sie dabei zählen: Der steirische Anlagenbauer Andritz AG ist mit einem Volumen von 350 Millionen Euro beim Kraftwerksbau Belo Monte im Geschäft.

Neben Protestaktionen, um den Bau des Staudamms zu verhindern, hoffen Kraftwerksgegner auf rechtlichem Weg einen Baustopp zu erreichen. Die Verfassung von 1988 sichert der indigenen Bevölkerung erhebliche Rechte auf die ihnen zugeschriebenen Terrritorien zu. Doch die brasilianische Rechtspraxis lässt hier wenig Hoffnung zu. In der Vergangenheit wurden mehrfach Gerichtsurteile zugunsten der Kraftwerksgegner vom Obersten Gerichtshof wieder aufgehoben.

Doch die Gegner der Indigenen--Aktivisten schrecken auch vor Mord nicht zurück. Am 3. Oktober wurde Salatiel Méndez Secue, ehemaliger Gemeinderat von Toribío, dem Hauptort der Nasa-Region in Kolumbien und Vorkämpfer für die Anliegen der indigenen Bevölkerung von drei maskierten Männern erschossen. Die Vereinigung der Cabildos, der indigenen Gemeinderäte, gab später bekannt, es habe sich bei den Tätern um ein FARC-Kommando gehandelt.

Mord und Friedensgespräche

Am 8. Oktober begannen in Oslo die Friedensgespräche zwischen kolumbianischer Regierung und der FARC-Guerilla. "Ihr Herren von der Regierung, ihr Herren der FARC. Von welchem Frieden sprecht ihr denn, und welchen Frieden wollt ihr verhandeln, wenn unsere Gemeinschaften weiterhin wehrlos niedergemetzelt werden inmitten eines Krieges, den ihr erfunden habt?“, klagte der Cabildo-Rat der Nasa nach der Ermordung von Salatiel Méndez in einem Kommuniqué an.

Die Indigenen wollen weiter ihre Stimme erheben - wie sie das schon seit 1992 tun. Der 12. Oktober 1992 markierte einen Perspektivenumkehr in der Geschichte Amerikas und Europas. Das 500-Jahres-Jubiläum der "Entdeckung“ der Neuen Welt sollte als Feiertag begangen werden.

Doch durch eine Allianz von Persönlichkeiten, Initiativen und Organisationen, wurde dieser Jahrestag in einen Bedenktag umfunktioniert: Der "Tag der Rasse“ (Spanien) oder der "Columbus Day“ (USA) wurde in Lateinamerika und der Karibik zum Höhepunkt von "500 Jahren indigenem, schwarzem und Volkswiderstand“ ausgerufen. Der Versuch Europas, den Gedenktag unter das Motto einer "Begegnung zweier Kulturen“ zu stellen, konnte den Perspektivenwechsel nicht mehr aufhalten. 1992 traten die indigenen Völker Amerikas nicht nur aus dem Schatten des Eurozentrismus heraus, sondern sie eroberten sich ihre bislang verdrängte Erinnerung zurück. Das ursprüngliche, verborgene Amerika trat nach 500 Jahren wieder an die Oberfläche der politischen und historischen Auseinandersetzungen.

Die Verleihung des Friedensnobelpreises an die guatemaltekische Maya-Frau Rigoberta Menchú 1992 war wohl der sichtbarste Beweis des Paradigmenwechsels. Das so lange Unterdrückte trat mit einem Schlag siegreich ans Tageslicht. 1993 wurde von der UNO zum Aktionsjahr für die indigenen Völker gekürt. Und am 1. Jänner 1994 erhoben sich unter der Führung der Zapatisten in Mexiko die indianischen Gemeinschaften in Chiapas und begannen, ihr Konzept indigener Autonomie in die Praxis umzusetzen.

Zur Bilanz indigener Emanzipation zählt auch ihre globale Ausstrahlung. Im September 2007 wurde nach jahrelangem Ringen von der UN-Vollversammlung die Deklaration der Rechte indigener Völker mit überwältigender Mehrheit angenommen.

Die Indigenen und die Linkswende

Und auf nationalstaatlicher Ebene erfolgte im vergangenen Jahrzehnt die viel zitierte Linkswende in Lateinamerika, bei der die indigenen Völker eine wesentliche Rolle spielten. Hier zeigte sich jedoch, dass das an die Macht gekommene neue politische Establishment schnell auf die Grundsätze der indigenen Weltsicht mit ihrem alternativen Konzept von Entwicklung vergaß.

Zur globalen Ausstrahlung indigener Weltsicht gehört auch das in der andinen Region stark verankerte Konzept des "Buen Vivir“, des "Guten Lebens“, das in den letzten Jahren weltweit an Anziehungskraft gewonnen hat. Mit seinen Grundsätzen umweltfreundlicher Ökonomie, menschengerechter Entwicklung und sozialer Gleichheit erscheint es wie die Basis einer künftigen globalen Gesellschaft zum Fortbestand des Planeten.

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